Biergartenwetter in München – nicht nur für ein Konzert mit Neuer Musik eine ernste Konkurrenz. Dennoch haben einige Zuhörer der sonnigen Verlockung widerstanden und sich im Veranstaltungszentrum Einstein Kultur eingefunden, um dem Jugendensemble für Neue Musik Bayern, JU[MB]LE, zu lauschen. Sie dürften ihre Wahl nicht bereut haben: Unter der Leitung von Johannes X. Schachtner präsentierten die jungen Musikerinnen und Musiker – alle zwischen 14 und 23 Jahre alt – ein Konzert auf hohem Niveau.
Aufbruch“ – das Motto des Abends ist gleichzeitig auch der Titel des ersten Stückes, das der Komponist Rudi Spring, inspiriert von Margarethe von Trottas Film „Die bleierne Zeit“, als Neunzehnjähriger verfasste. Gemeinsam mit Gästen aus dem Leopold-Mozart-Zentrum in Augsburg, die an diesem Abend die Blechbläsergruppe verstärken, nimmt JU[MB]LE das Publikum bei seinem „Aufbruch“ vom ersten Takt an mit – die Ostinato-Bewegung mit ihrem einprägsamen Rhythmus wird mit einer solchen Präzision ausgeführt, dass das unerbittliche Vorwärtsstreben der Musik für alle hör- und fühlbar wird.
Im Gegensatz zu früheren Konzerten widmet sich JU[MB]LE in der dritten Saison seines Bestehens erstmals ausschließlich dem Ensemblespiel. So steht auch im zweiten Stück, Pierre Boulez’ „Douze notations“ in einer Bearbeitung von Johannes Schöllhorn, die gemeinschaftliche Leistung im Vordergrund. Dass diese während des gesamten Abends überzeugt, liegt nicht zuletzt an der Arbeit Johannes X. Schachtners. Unter seinem Dirigat sind die jungen Musikerinnen und Musiker – allesamt bisher keine Vollstudenten an einer Musikhochschule – hervorragend aufeinander eingespielt und beweisen, dass sie neben der rein handwerklichen Ensembleleistung auch über eine gemeinsame interpretatorische Idee verfügen.
Gegenstand von Detlev Glanerts „Mahler/Skizze op. 20“ ist eine andere Form des Aufbruchs. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit und dem Tod, eine Erfahrung, die beide Komponisten in ihrem Leben und Schaffen beeinflusst hat. Das Ensemble fängt diese Stimmung eindrucksvoll ein. In ihrer ausdrucksstarken, fein ausgearbeiteten Interpretation erreichen sie tiefere Schichten des Werkes – in den Trauercharakter mischen sich immer wieder auch volksliedhafte Klänge und zärtliche, tröstende Töne.
„The Finale (Lite)“ bildet den Schlusspunkt des Konzertes – ein Werk des jungen russischen Komponisten Sergey Khismatov für großes Orchester, das an diesem Abend in einer gekürzten und für eine kleinere Besetzung bearbeiteten Version erstmals zur Aufführung kommt. Das Stück strebt über den Horizont des Publikums hinaus: Die Musikerinnen und Musiker erzeugen mit ihren Instrumenten sphärische Klänge, es entsteht ein dichter Nebel, aus dem sich doch immer wieder Strukturen hervorheben. Gegen Ende schwillt der Klang an, in einem großen Finale verdichtet er sich zu einem Strudel, der alles in sich hinein- zuziehen scheint. Eine Musik, der man sich nicht entziehen kann, so, wie auch JU[MB]LE an diesem Abend sein Publikum für sich einnimmt. Wer wollte da in den Biergarten?