Wie sehen die Perspektiven für angehende Musikpädagoginnen und -pädagogen aus? Und wie hat sich ihr Berufsbild in der Coronakrise verändert? Eine Tagung des Tonkünstlerverbands NRW zeichnete in Wuppertal Entwicklungslinien nach und für Corona-Verhältnisse war eine stattliche Anzahl an Interessierten erschienen. Heiner Fragemann, Bürgermeister der Stadt Wuppertal, begrüßte die Tagungsgäste: Die Forderung der Künstlerinnen und Künstler nach einer besseren Absicherung müsse langfristig gelöst werden, so der Bürgermeister: „Mit Ihrem Verband haben Sie eine wichtige Rolle in diesem Diskurs übernommen.“ Cornelia Sokoll, die Vorsitzende des Tonkünstlerverbandes NRW, und Organisatorin Hanna Krieger zeigten sich in ihren Begrüßungen dieser Rolle bewusst. Sie sind entschlossen, den Diskurs zu führen.
Antje Valentin, Direktorin der Landesmusikakademie, moderierte durch den Tag und kündigte gleich zu Beginn der Tagung einen jungen Pianisten an: Simon Vogel (16) trug den Kopfsatz aus Beethovens Sonate Es-Dur op. 27,1 und Chopins Ballade F-Dur op. 38 mit beeindruckenden Klangfarben an einem Steinway der Bergischen Musikschule vor. Raphael Amend, Leiter der Bergischen Musikschule, begleitete die Tagung. Er erwies sich als generöser Gastgeber des Tonkünstlerverbandes.
Drei Vorträge gab es: Matthias Schröder, Musikhochschule Detmold, fragte nach den Zukunftschancen von Musikern: „Beruf Musiker*in: Quo vadis?“ Viele Studierende an den Musikhochschulen lernen rein künstlerisch und wollen keine pädagogischen Fächer belegen, sie werden später aber mit großer Wahrscheinlichkeit musikpädagogisch arbeiten. Schröder zog eine ganze Anzahl von Studien heran: Die „Eiszeit“-Studie des Deutschen Musikrats befragte 2021 3.000 Musikerinnen und Musiker. Die Hälfte gab an, nur Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit zu beziehen. 28 Prozent hatten hybride Einkommen, 20 Prozent sind Angestellte. In der Künstlersozialkasse waren 2021 55.000 selbständige Musikerinnen und Musiker selbständig versichert. (https://www.musikrat.de/fileadmin/files/DMR_Musikpolitik/DMR_Corona/DMR…)
Die Vielfalt der Musikerberufe ist groß, die Tätigkeitsbereiche hat das Deutsche Musikinformationszentrum differenziert dargestellt. 49 Prozent der Befragten seiner Studien haben sich dabei im pädagogischen Bereich eingeordnet. (https://miz.org/de/themen/ausbildung-und-beruf)
Unter dem Strich steht: Musikpädagogik ist eine sehr wichtige Einnahmequelle für einen großen Anteil der Musikerinnen und Musiker. Den meisten Studierenden ist aber nicht klar, dass sie ohne Unterrichten wirtschaftlich nicht überleben werden können. Wer 500 Euro Honorar für einen Konzertauftritt bekommt, müsste 50 Konzerte pro Jahr akquirieren, um auf 25.000 Euro im Jahr zu kommen. Die „Eiszeit“-Studie fragte auch Einkommen ab und fand heraus, dass das Jahres-Brutto-Einkommen von angestellten Musikern vor der Coronakrise bei durchschnittlich 32.000 Euro lag, viele haben dabei gar keine 100-Prozent-Stelle. Bei den Selbständigen hatten 50 Prozent einen Jahresumsatz von gerade einmal 20.000 Euro.
Der Orchestermarkt in Deutschland ist weltweit führend, es gibt in 131 Kultur- und Kammerorchestern knapp 10.000 Planstellen. 6.000 Absolventen buhlen jährlich um diese Stellen. Von den insgesamt 9.000 Studierenden der Instrumentalmusik kommen 60 Prozent aus dem Ausland und drängen nicht unbedingt – viele aber auch – auf den deutschen Arbeitsmarkt. Und auch die übrigen allein wären zu viele für das Angebot. Deshalb haben sie oft ungünstige Abschlüsse, denn ihre Perspektiven liegen in der Pädagogik. Hier zeigt sich auch eine Inkongruenz an den deutschen Musikhochschulen: Das Fächerangebot und dessen Durchführung entspricht oft nicht den Bologna-Vorgaben. Die Forscherin Esther Bishop schrieb eine Studie, wie die Musikhochschulen in Deutschland die Vorgaben umsetzen. Ihr Ergebnis: Es wird überwiegend an den Curricula vorbei unterrichtet. Das Meister-Schüler-Verhältnis herrscht vor, ebenso das Motto: Wer gut ist, kriegt auch eine Stelle. (https://estherbishop.de/nicht-die-umsetzung-der-bolognareformen-ist-das…)
Sind Hochschulen in der Lage, digitales Unterrichten zu vermitteln? Oder digitale Erlösmodelle des Musizierens? Viele Hochschullehrerinnen und -lehrer sind hier überfordert. Es wird digitale Formate geben, mit denen Musikerinnen und Musiker Geld verdienen. 80 Prozent des deutschen Musikmarktes werden digital verdient. Das Streaming ist zum dominanten Geschäft in der Musikwirtschaft geworden, was die Hochschulen nicht berücksichtigen würden, so Schröder. Allerdings, so wäre Schröder entgegenzusetzen, kommen von den Streaming-Erlösen auch nur Bruchteile bei den Musikerinnen und Musikern an. Die Zukunft des Musikereinkommens liegt hier sicherlich nicht, folgt man einer Studie der GEMA zur Verteilung der Streaming-Erlöse. (https://miz.org/de/dokumente/musikstreaming-in-deutschland) Zweifelsfrei konnte man jedoch Schröders Fazit folgen: Die Zukunft von Musikerinnen und Musikern liegt in den Patchwork-Karrieren.
Der zweite Vortrag bestätigte einige von Schröders Thesen und die von ihm verwendeten Ergebnisse der „Eiszeit“-Studie des Deutschen Musikrats. Heiner Barz, Universität Düsseldorf, berichtete über die Ergebnisse der Studie „Die wirtschaftliche und soziale Situation von vollständig oder teilweise freischaffenden Musikpädagog*innen und Musiker*innen in NRW“, die er im Auftrage des Landesmusikrats NRW, angeregt vom Tonkünstlerverband NRW erarbeitet hatte. Es handelt sich um eine Monitoring-Studie, die mit Bezug auf 2019 und auf 2021 durchgeführt wurde.
Von den Befragten sind 81 Prozent mehrfach beschäftigt, die anderen rein freiberuflich tätig. 68 Prozent haben in der Corona-Krise staatliche Hilfen in Anspruch genommen. Das durchschnittliche Monats-einkommen war 2019 2.492 Euro, 2021 2.135 Euro, davon im Bereich der Musik und Musikpädagogik 2.028 Euro bzw. 1.611 Euro. Das durchschnittliche Monatseinkommen über alle Berufsgruppen hinweg liegt hingegen bei 4.000 Euro. Die Zufriedenheit der Musikerinnen und Musiker ist dennoch überraschend groß. Bei der zweiten Umfrage fiel sie etwas niedriger aus, doch gemessen an der wirtschaftlichen Grundlage immer noch erstaunlich hoch. Die Folgen der Corona-Krise werden von drei Vierteln der Befragten als hoch problematisch berichtet. Summen von bis zu 30.000 Euro werden genannt, die abrupt weggefallen sind. Als fast genauso dramatisch werden die sozialen und psychischen Folgen beschrieben, die durch fehlende reale Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen sowie Schülerinnen und Schülern zu sozialer Isolation führen.
Das Wegbrechen vieler Aufträge und Auftritte konnte von einigen durch Verlagerung der Tätigkeitsfelder, meist hin zu mehr Unterricht, zumindest teilweise kompensiert werden. Die für unsere Befragten oftmals typische Situation der Kombination verschiedener Tätigkeiten und dementsprechend verschiedener Einkommensarten wird dementsprechend von einer deutlichen Mehrheit als Schutzfaktor in der Corona-Krise bewertet. Damit wurde auch die musikpädagogische Tätigkeit zum Schutzfaktor.
(https://www.lmr-nrw.de/publikationen/online/berufsmusik)
Peer Abilgaard, Hochschule für Musik und Tanz Köln, referierte darüber, was Musikerinnen und Musiker auf dem Podium und auf dem Unterrichtsraum stärkt. So sein Titel.
Der Inhalt seines Vortrags ging weiter anhand eindrücklicher Fallbeispiele von drei Musikerinnen, deren Vorgeschichte tiefgreifende Psychotherapien erforderten. Abilgaard leitete aus den Fallbeispielen Thesen ab:
• Erziehung von Kindern muss gewaltfrei sein, sonst gibt es Folgeschäden. Das gilt auch für Kinder, die üben müssen; gewaltfrei meint jede Form von physischer und psychischer Gewalt.
• Musik sollte eine Alltagserfahrung werden ähnlich wie Sport. Das erfordert politische Entscheidungen und einen gesellschaftlichen Diskurs.
• Musik sollte als systemrelevant erkannt werden. Dafür müssen sich Musikerinnen und Musiker auch einsetzen.
• Es ist nützlich sich einzugestehen, dass Musikerinnen und Musiker Gehirnspezialisten sind, auch Emotionsexperten.
• Menschen auf der Bühne sind Persönlichkeiten und diese Persönlichkeit muss vorher optimal gestärkt werden. Für Lehrende und Lernende sollten Musikschulen und Musikhochschulen einmal die Woche Gruppenselbsterfahrungen initiieren.
Zwei Workshops von Steffanie Patzke und von Kerstin Weuthen erarbeiteten mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Konzepte gegen Lampenfieber und zum Umgang mit Leistungsdruck. Sie wurden zwar parallel angesetzt, doch wiederholt, damit alle von beiden profitieren konnten. Auf einem abschließenden Podium brachte Moderatorin Antje Valentin die Ansätze zusammen. Adelheid Krause-Pichler, Kerstin Weuthen und Peer Abilgaard waren Antje Valentins Gesprächspartner in der Ergründung der Frage, wo künstlerische Tätigkeit endet und Pädagogik beginnt.
Ergebnis war, dass Unterrichten eine höchst künstlerische Tätigkeit ist, wie Valentin mit einem Zitat von Gerhard Mantel untermauerte. Dass die Seite der rein künstlerisch tätigen Musikerinnen und Musiker dabei oft nicht realisiert, wie unabdingbar das Feld der Musikpädagogik inhaltlich, sozial und wirtschaftlich mit ersteren verflochten ist, darüber war sich die Runde einig. Hanna Krieger, Deutscher Tonkünstlerverband NRW, hatte die Tagung trefflich organisiert.