Am 14. und 15. Juni 2002 fand in der Zeche Zollverein Essen der kulturpolitische Kongress „Menschen brauchen Visionen – Neue Anforderungen an die kommunale Kulturpolitik“ der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (Bundes-SGK) in Zusammenarbeit mit dem Kulturforum der Sozialdemokratie statt.
Am 14. und 15. Juni 2002 fand in der Zeche Zollverein Essen der kulturpolitische Kongress „Menschen brauchen Visionen – Neue Anforderungen an die kommunale Kulturpolitik“ der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (Bundes-SGK) in Zusammenarbeit mit dem Kulturforum der Sozialdemokratie statt. Die Bundes-SGK ist der Zusammenschluss der sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in der SPD, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, sozialdemokratische Grundsätze in der Kommunalpolitik zu verwirklichen. Dies geschieht durch die Entwicklung von Arbeitshilfen und Empfehlungen für die praktische Politik, die Interessenvertretung gegenüber dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung, die Durchführung von bundesweiten Fachtagungen, Konferenzen und Seminaren und die Kontaktpflege zu den kommunalen Spitzenverbänden auf der Bundesebene.Die Zeche Zollverein im Norden von Essen, von 1932 bis 1986 in Betrieb, zu ihrer Zeit das modernste Bergwerk Europas und die größte Zeche im Ruhrgebiet, förderte bis zu 12.000 Tonnen verwertbare Kohle täglich. Nach der endgültigen Stilllegung baute man dieses kulturhistorisch bedeutsame Bauwerk – entstanden 1932 nach Plänen der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer, unverkennbar vom Bauhaus-Stil inspiriert und mittlerweile zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben – mit der Gründung der Stiftung Zollverein im Jahre 1999 zu einem Museum, Tagungs- und Kongresszentrum und Veranstaltungsort für besondere kulturelle Veranstaltungen um. Daneben beherbergt die Zeche Zollverein die Probebühne für das Essener Aaltotheater, das Design-Zentrum NRW, ein Restaurant, eine Galerie sowie viele kleinere Betriebe und Werkstätten.
Nach der musikalischen Begrüßung durch das Bergbauorchester Essen eröffnete der Geschäftsführer der Bundes-SGK, Detlef Raphael, gemeinsam mit dem Kulturdezernenten der Stadt Essen und Präsidenten der Kulturpolitischen Gesellschaft, Dr. Oliver Scheytt, den zweitägigen Kongress, zu dem zahlreiche Vertreter der kommunalen Kulturpolitik und der Künste angereist waren.
Raphael betonte in seiner Eröffnungsrede vor allem die hohe Bedeutung der Kultur als tragende Säule einer jeden Gesellschaft, die unter allen Umständen gestärkt werden müsse. Kultur fördere sowohl Verständnis als auch Toleranz und stehe im 21. Jahrhundert vor vollkommen neuen Herausforderungen. Um diese zu meistern, sei man auf die engagierte Diskussionsbeteiligung der Künstler angewiesen. Der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Scheytt, formulierte dazu drei konkrete Forderungen an die Kulturpolitik: 1. Die besondere Berücksichtigung der aktuellen demografischen Entwicklung mit der Subkultur der Migranten, 2. die Herstellung von Homogenität qualitätssichernder Art mit einer nachfrageorientierten Ausrichtung und 3. die Akzeptanz und Integration neuer Kunstproduktionsmöglichkeiten im Bereich neue Medien und virtuelle Welten.
Nach einem künstlerischen Hochgenuss mit den Virtuosen Rafael Cortés (Flamenco-Gitarre) und Achmed Bektas (Türkische Laute und Percussion) beteiligte sich das Plenum in drei themenorientierten Foren an der Diskussion: Forum „Kulturelle Grundversorgung als öffentlicher Auftrag“, Forum „Kultur- und Stadtentwicklung für den öffentlichen Raum“ und Forum „Stellenwert öffentlicher und privater Partnerschaften in der Kulturförderung“. Als ein Ergebnis aus der regen Diskussion trat die Aufforderung an die Künstler hervor, unbedingt aktiv im Gespräch mit den Kulturvertretern zu bleiben, kooperative Netzwerke zu etablieren und dabei aktuelle Probleme zur Sprache zu bringen, Interesse bei den verantwortlichen Politikern zu wecken und keine Reduktion auf eine „kulturelle Grundversorgung“ zuzulassen, sondern Mut zu einem neuen politischen Diskurs zu haben und eigene Profile und Leitbilder zu entwickeln.
Wolfgang Thierse, Präsident des Deutschen Bundestages, stellvertretender Vorsitzender der SPD und Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie, betonte die Bedeutung der Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik, welche in der Entwicklung staatlicher Handlungsprogramme und in der Etablierung von Beschäftigungs- und Existenzgründungsprogrammen die Rahmenbedingungen für die Realisierung künstlerischer Visionen schaffen müsse. Kunst, so Thierse weiter, sei ein notwendiges „Lebensmittel“ der Gesellschaft und müsse die Themen der Zeit aufgreifen und sich der politischen Spannung stellen. Demokratie sei ohne Kunst nicht denkbar, die als Zukunftsvorsorge der Gesellschaft verstanden werden müsse. Daraus resultiere auch die Forderung nach kulturell gebildeten Politikern, die sich im Bereich der Kulturpolitik auf breiter Basis engagieren und die Auseinandersetzung mit den Künsten fördern müssen.
Scheytt forderte in diesem Kontext von der Kulturpolitik der Zukunft weiter, dass sie konkret Position beziehen müsse, nicht am Bestehenden festhalten und nicht bloßes Mittel zum Zweck sein dürfe. Vielmehr müsse aktive Kulturpolitik als öffentlicher Auftrag des Staates verstanden werden und als Leitbild fungieren. Auf Grund der Vielfalt ihrer Funktionen müsse sie Initiative ergreifen und als Motor der Kultur gesehen werden. Kulturelle Bildung sei für die Bildung von Allianzen in der Gesellschaft wichtig und müsse endlich weg vom Modellcharakter. Schließlich verstärke kulturelle Bildung die Orientierungsmöglichkeit einer Gesellschaft; den unbezahlbaren Wert der kulturellen Bildung müsse man endlich erkennen.
Die Aufführung des Films „Metropolis“, begleitet vom Orchester der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Frank Strobel mit der Musik des Bochumer Komponisten Bernd Schultheis, bildete im Rahmen der Zollverein-Konzerte der Stiftung Zollverein den kulturellen Höhepunkt des ersten Kongresstages.
Drei weitere Foren boten sich den Teilnehmern am zweiten Veranstaltungstag: Forum „Kultur und neue Medien – neue Herausforderungen für die Stadtgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung“, Forum „Kultur und Sport – Potenziale erschließen und bündeln“ und „Kultur für die Jugend – Jugendkultur“, die abermals den beteiligten führenden Politikern den dringend notwendigen Handlungsbedarf aufzeigten. Den Worten Wolfgang Thierses und Oliver Scheytts schloss sich auch der Staatsminister im Bundeskanzleramt und Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und Medien, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, an und hob vor allem die nunmehr stärkere Förderung kultureller Einrichtungen besonders in Ostdeutschland und Berlin, die Verbesserung der Lage der Künstler durch die Novellierung der Künstlersozialversicherung, die Reform des Urhebervertragsrechts, die Reform des Stiftungssteuerrechts, die Verteidigung der Buchpreisbindung, die Reform der deutschen Filmförderung, die Neukonzeption der auswärtigen Kulturpolitik sowie die Rückführung der Besteuerung ausländischer Künstler hervor. Die bereits von Willy Brandt und Günter Grass in den 70er-Jahren geforderte Kulturstiftung sei nun endlich eingerichtet und soll dabei helfen, Leistungen und Werke der Künste und der Kultur besser zu bewahren, zeitgenössische kulturelle Innovationen besonders zu fördern und die kulturelle Integration und den Austausch zu pflegen. Die kritische Einmischung und kreative Anregung von Künstlerinnen und Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen sei dabei ausdrücklich gewünscht. Die Kulturpolitik des 21. Jahrhunderts müsse besonders von Offenheit getragen sein.
Nach der Lesung von Tilmann Spengler, Schriftsteller und Mitherausgeber der Zeitschrift „Kursbuch“, aus seinem Werk „Meine Gesellschaft“, bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kultur – Bildung – Integration“ (Teilnehmer: Dr. Gerhard Langemeyer, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SGK und Vorsitzender der SGK Nordrhein-Westfalen; Willi Lemke, Senator für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen; Peter Lüchinger, Schauspieler, Bremer Shakespeare Company; Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin; Tilmann Spengler; Moderation: Carmen Emigholz, MdB, Kulturpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion des Landes Bremen) den Abschluss der Veranstaltung. Insgesamt verließ man den Kongress mit dem Eindruck, dass in Deutschland das Bewusstsein für die große politische Bedeutung der Kunst wächst und ein neues kulturelles Klima herrscht.