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Kurzsichtige Kulturzerstörung

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Die geplante Abschaltung von BR-Klassik im UKW-Netz geht die ganze Musikwelt an
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Seit Wochen wird diskutiert, dass BR-Klassik nur noch digital empfangbar sein und stattdessen der Jugendsender Puls über dessen UKWFrequenz ausgestrahlt werden soll. Dagegen wendet sich der Präsident des Bayerischen Musikrates Dr. Thomas Goppel in zahlreichen Interviews und mit einer öffentlichen Petition, die mittlerweile circa 60.000 Unterschriften gewonnen hat. Zahlreiche prominente Musiker wie der Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks Mariss Jansons oder Violinstar Anne Sophie Mutter, aber auch die Bayerische Akademie der Schönen Künste treten engagiert für BR-Klassik ein. Der Komponist, Rundfunkbeirat und ehemalige Präsident der Münchner Musikhochschule Robert M. Helmschrott startete in München eine Plakataktion. Doch BRIntendant Ulrich Wilhelm bleibt trotz allem bei seinem Vorhaben, BR-Klassik aus dem UKW-Netz herauszunehmen. Immerhin wurde wegen der großen Proteste die UKW-Abschaltung von 2016 auf 2018 verschoben und die Entscheidung des Rundfunkrates darüber auf den 10. Juli vertagt.

Kultur für alle oder nur für bestimmte Altersklassen?

Schon 2006 versuchte der damalige Intendant Dr. Thomas Gruber, den Klassiksender ins digitale Netz zu verlegen und stattdessen die „Junge Welle“ über UKW auszustrahlen. Er scheiterte damals an circa 40.000 Unterschriften und zahlreichen Protesten. 2014 wird wieder die „Klassik“ gegen einen Jugendsender, nämlich „Puls“, ausgespielt. Das Denkmuster ist dasselbe: jung gegen alt. Wer will nicht etwas für die Jugend tun? Aber das ist ein falsches Spiel. Klassik ist so wenig etwas nur für Alte wie zum Beispiel „Metal“ etwas nur für maximal dreißig Jährige ist. Ich zum Beispiel bin über 60 und höre ebenso Jazz, Metal, Klassik, Weltmusik oder Jazz, übrigens auch das BR-Programm „Puls“. Ich würde es im UKW-Bereich gerne den etwas angestaubten Programmen Bayern 1 und 3 vorziehen. Selbstverständlich bin ich nicht repräsentativ. Aber die Frage stellt sich schon: Wollen wir die Gesellschaft in Altersstufen partikulieren? Also bis 30 HipHop und Metal, dann Rock der 70er- bis 90er-Jahre, ab 50 Schlager der 50er- bis 70er-Jahre und dann ab dem Seniorenstadium schließlich Bach bis Brahms. Dass diese Denkweise ziemlich unsinnig ist, dürfte eigentlich klar sein. Zumindest, wenn es einem um Kultur geht; denn die Idee der „Klassik“ war ja einmal, dass an der Kultur alle teilhaben können. Mozarts „Figaro“ war in Prag so populär, dass die Melodien der Arien auf der Straße gesungen wurden. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden „Volkskonzerte“ veranstaltet, um allen Menschen den Zugang zu ermöglichen und an den ersten Rundfunkempfängern hingen die Ohren vieler, die sich keine Konzertkarten leisten konnten. Damals gehörte klassische Musik noch zur Bildung.

Quote contra Kultur

Seit der Einführung des kommerziellen Rundfunks geht es auch im öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht primär um Kultur, sondern um Quoten. Die Warnglocken beim Rundfunkmanagement läuteten, als bekannt wurde, dass der Bayerische Rundfunk weniger als 50 Prozent der Zuhörer hat, und die privaten Sender die Oberhand gewonnen haben! Das ist vermutlich der wirkliche Grund, warum BR-Klassik im UKW Bereich geopfert werden soll, da es täglich „nur“ zirka 260.000 Hörer hat, in der vagen Hoffnung, dass „Puls“ nun Quote macht und junge Hörer dem Bayerischen Rundfunk zufließen lässt. Doch wird es das wirklich? Das weiß niemand. Aber bei BR-Klassik geht es gar nicht um die Quotenfrage, sondern um unser Selbstverständnis. Wenn sich unsere Gesellschaft ihrer Tradition und Kultur bewusst sein soll, dann muss klassische Musik präsent sein. Dabei geht es auch um Qualität: das Hören einer Beethoven-Symphonie ist anspruchsvoller als zum Beispiel eines Beatles-Songs. Differenziert und komplex hören zu können, ist ein wichtiger Teil der Bildung und fördert menschliche Intelligenz sowohl im intellektuellen wie emotionalen Sinn. Neurologische Forschungen belegen die Bedeutung musikalischer Bildung.

Vertreibung der klassischen Musik aus der Öffentlichkeit

Die geplante Abschaltung von BRKlassik im UKW-Bereich ist also ein weiterer Beitrag zur Kulturzerstörung, wie sie von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts betrieben wird. Verschwindet nämlich BR-Klassik aus dem UKW-Bereich, wird es viele Hörer verlieren, da nur sehr wenige Menschen ein Digitalradio haben oder benutzen. Klassische Musik wird damit noch mehr aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Die Anstrengungen von Sinfonieorchestern, Opernhäusern und vielen anderen Bildungsträgern, Kultur, klassische Musik und anspruchsvolle, nicht kommerzielle andere Musik wie Jazz oder Weltmusik einem breiten, vor allem einem jungen Publikum nahe zu bringen, würden dadurch konterkariert. Selbstverständlich muss eine Rundfunkanstalt darauf achten, dass sie viele Hörer hat. Aber sie sollte keineswegs nur die Quoten im Vergleich zu den privaten Anbietern betrachten. Ebenso wichtig ist die Qualität, die sich im Bereich der Kultur eher umgekehrt proportional zur Massentauglichkeit, also zur Quote, verhält. Unterhaltung ist zwar auch eine Aufgabe des Rundfunks, aber keineswegs nur. Deshalb müssen Gesellschaft und Politik fordern, dass BR-Klassik, solange es noch UKW-Sender gibt, auch über UKW empfangbar bleibt. In seiner Verfassung versteht sich Bayern als Kulturstaat. Diesem Anspruch muss der öffentlichrechtliche Bayerische Rundfunk gerecht werden.

Welche Rolle hat der Rundfunk im Internet-Zeitalter?

Die gegenwärtige Diskussion ist freilich sehr kurzsichtig. Warum hören denn so wenige junge Menschen Rundfunk? Dafür gibt es einen einfachen Grund: Menschen des 21. Jahrhunderts wollen ihr eigenes Programm machen. Dazu gibt es die Möglichkeit, CDs einzulegen, bei iTunes Musik herunterzuladen, Spotify oder Napster zu benutzen. Das letztere machen vor allem junge Menschen. Sie wollen nicht durch Programmmacher bevormundet werden, was sie gerade hören sollen. Radio wird deshalb am meisten noch im Auto gehört. Aber mittlerweile haben viele neue Autos Internetanschluss und können nun auch auf Napster oder Spotify zugreifen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss in diesem immer schwieriger werdenden Umfeld seine eigene Rolle noch finden. Quotendenken als Erfolgsdefinition für Rundfunkmanager ist wahrscheinlich eher ein Selbstmordkommando. Denn die Quoten werden allemal sinken. Napster, Spotify und andere Streamingdienste kann der Rundfunk nicht mehr einholen (das wurde längst verschlafen).

BR-Klassik: Bildung und Unterhaltung

Wo sind aber die Stärken des öffentlich rechtlichen Rundfunks im Bereich der Musik? Seine Kernaufgaben sind Bildung und Unterhaltung, was sich übrigens auch in Deutschland nicht gegenseitig ausschließen muss. Dies hat BR-Klassik seit seiner Neugestaltung unter dem langjährigen Programmbereichsleiter Axel Linstädt in den letzten Jahren bewiesen. Dort wird über neue Entwicklungen und wichtige Musikereignisse informiert, werden neue Ensembles und Solisten vorgestellt und können Direktübertragungen gehört werden. Das geschieht fundiert und zugleich unterhaltend. Dieses Programm gibt Orientierungen, Hintergrundinformationen und regt zum Weiterhören an, etwa über CD, iTunes oder auch Napster. Wenn nun BR-Klassik aus Quotengründen aus dem UKW-Bereich entsorgt würde, würde das BR-Management gerade auf ein Programm verzichten, das im Musikbereich zukunftsträchtig ist. Man könnte dem Rundfunkrat und dem BR-Management, falls sie nun tatsächlich die Abschaltung von BR-Klassik beschließen, zu diesem Eigentor mit aller Ironie gratulieren, wenn es nicht so ernst wäre. Deshalb müssen wir alle an das Verantwortungsbewusstsein der Rundfunkräte und des Intendanten appellieren: Tragen Sie bitte nicht zur weiteren Kulturzerstörung bei!

(Die Petition des Bayerischen Musikrates läuft noch bis 27.9.2014.)

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