Am 9. Mai 2015 findet im Sendesaal des rbb in der Berliner Masurenallee die Uraufführung des Auftragswerks „Luftspiel“ der Komponistin Susanne Stelzenbach statt. Das „Frauenblasorchester Berlin“ feiert mit dieser außergewöhnlichen Komposition sein 10-jähriges Bestehen – die Karriere eines besonderen Laienorchesters, das die Klarinettistin Astrid Graf 2004 ins Leben rief. Die Laienmusikerinnen sind zwischen 19 und 75 Jahre alt, unter ihnen eine Ärztin, eine Apothekerin, eine Polizistin, eine Chemikerin, eine Sozialarbeiterin und eine Pfarrerin. Die erste Aufführung fand im BKA-Theater statt, inzwischen spielt das FBOB auch im Roten Rathaus und in großen Festsälen der Stadt, oft maßgeschneiderte Arrangements der Dirigentin. Adelheid Krause-Pichler sprach mit der Komponistin Susanne Stelzenbach über die Entstehungsgeschichte der Komposition.
neue musikzeitung: Ist dieser Auftrag für eine Komponistin eine besondere Herausforderung oder eher Bereicherung der kompositorischen Möglichkeiten?
Susanne Stelzenbach: Für einen bestimmten Interpreten zu schreiben ist für mich als Komponistin immer etwas ganz Besonderes – egal, ob die Musiker Laien oder Profis sind. Sofort entsteht ein Geben und Nehmen, man schreibt nicht mehr in einen „leeren Raum“ hinein. Die kompositorischen Möglichkeiten entstehen ganz von selbst, wenn man die zukünftigen Interpreten kennengelernt hat – 66 Laienmusikerinnen und ihre Dirigentin wollen auch gefordert werden und ihr Temperament zeigen. Das ist alles sehr inspirierend für den schöpferischen Akt des Komponierens.
nmz: Wieviel mehr Möglichkeiten ergeben sich bei 66 Bläsern im Klangspektrum?
Stelzenbach: Es ist die Masse der Musikerinnen, die hier fasziniert. Es werden dadurch ungewohnte Energien freigesetzt und eine Vielzahl von Klängen sind möglich ... tiefe, hohe, lange, kurze, laute, leise - um es mal so simpel zu formulieren. Es gibt in der Partitur 28 selbständig geführte Stimmen. Maximal drei Melodiestimmen lasse ich gleichzeitig klingen, damit es nicht zu komplex wird. Stellen, in denen ich eine Konfusion wünsche sind davon natürlich ausgenommen. Oft waren meine Klangideen für dieses Stück auch sphärischer Natur. Ich habe den fünf Teilen des Stückes Überschriften gegeben: Lichtblicke, Sternenhaufen, Wellen schlagen, Perplex und Atmosphären. Sie sollen die Phantasie der Musikerinnen anregen und den Umgang mit ungewohnten Klängen erleichtern.
nmz: War es schwierig, sich auf die Fähigkeiten von Laienmusikern einzustellen ?
Stelzenbach: Nein, warum? Das, was Musik für den einzelnen Menschen bedeutet ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Natürlich habe ich mir die Erwartungshaltungen und Hörgewohnheiten dieser Musikerinnen und ihres Publikums einmal durch den Kopf gehen lassen – aber beim Komponieren darf ich darauf dann keinerlei Rücksicht nehmen.
nmz: Gab es während der langen Probenphase einen intensiven Kontakt, Austausch, Änderungswünsche?
Stelzenbach: Ich habe versucht, die spieltechnischen Möglichkeiten der Musikerinnen zu berücksichtigen. Aber man kann nicht alles voraussehen, die Krux liegt im Detail. Das Orchester hat eine sehr kompetente und sensible Dirigentin. Es gab von vornherein die Abmachung, dass ich bis zur Aufführung zur Verfügung stehe, die Partitur und die Stimmen den Fähigkeiten der einzelnen Musikerinnen anzupassen und gegebenenfalls auch neu zu schreiben. Da muss man flexibel bleiben. Oft ist es sogar so, dass man beim Reagieren auf solche Änderungswünsche auch noch auf Ideen kommt, die das Stück besser machen.
nmz: Werden die einzelnen Bläsergruppen charakteristisch dargestellt ?
Stelzenbach: Jedes Instrument hat einen ganz bestimmten Charakter, eine gewisse Aura, oft korrespondierend zur Person der Spieler/-innen. Das ist ein großes Potential. Ich habe versucht, dies in meinem Stück zu nutzen und wünsche mir, dass die Musikerinnen mit den Sounds und Rhythmen des Stückes ihre Lebensintensität und Haltung zeigen.
nmz: Wann hast Du angefangen, in dieser spektralen Form mit Klang zu experimentieren ?
Stelzenbach: Ich habe erst sehr spät mit dem Komponieren angefangen – bin also eine relativ junge Komponistin. Ich war viele Jahre als Pianistin zeitgenössischer Musik tätig und habe auf diese Weise viele Stücke kennengelernt und analysiert. Diese Werke prägten meine Auffassung von Musik und meine Kompositionen. Ich schreibe Werke für Kammermusik, Musiktheater, Orchester, elektronische Musik und Texte. Meine Kompositionen werden vorwiegend von Interpreten, die sich auf Neue Musik spezialisiert haben, gespielt. Zeitweise und gern verlasse ich mit Projekten wie der Komposition für das FBOB oder der Unter- Wasser-Oper den Elfenbeinturm der Neuen Musik und setze mich einem „normalen“ Publikum aus.
nmz: Entwickelst Du mit Deinem Kompositionsstil eine neue Klangsprache? Gibt es eine Vorstellung von Symbolik oder Programm?
Stelzenbach: Es gibt kein Programm. Ich versuche für jedes neue Stück eine individuelle Klangsprache zu entwickeln. Ein Klang kann brüchig sein, glatt, unscharf, hell, dunkel - um nur einiges zu nennen. Ich brauche eine gewisse Ruhe zum Komponieren. Ich höre nach innen und außen und begebe mich auf die Suche nach bestimmten Ausdrücken und Sinnzusammenhängen. Ich gehe dabei nicht sehr planmäßig vor sondern eher chaotisch.
nmz: Seit Jahren leitest Du ein Festival für Neue Musik in Berlin Marzahn-Hellersdorf. Welcher Aspekt der Außenwirkung ist Dir am wichtigsten ?
Stelzenbach: Nun ja, der Bezirk wird nicht gerade mit der zeitgenössischen Kunst in Verbindung gebracht, sondern eher mit Ost-Tristesse und Plattenbauten „jottwedeh“, das steht in der Berliner Mundart für „ganz weit draußen“. Dieses Bild hält sich hartnäckig und ist – wie alle Vorurteile – eigentlich veraltet. Der Bezirk ist ein Zusammenschluss von fünf Dörfern. Da gibt es nicht nur Plattenbauten. Es gibt hier viele Künstler und viele Kulturinitiativen und viele, die ich kenne, leben wirklich gern hier, ich übrigens auch! Mit der „pyramidale“ verwirkliche ich meinen Traum von einem kleinen aber feinen Festival für zeitgenössische Musik. Ich versuche damit, ein kulturinteressiertes Publikum aus dem Stadtbezirk und aus ganz Berlin anzulocken. Das ist nicht einfach. Jedes Jahr müssen wir potenzielle Geldgeber von unserem Konzept überzeugen, dabei rennt man keine offenen Türen ein und der Einsparzwang in den öffentlichen Haushalten bereitet allen Zukunftssorgen. Ich bin aber davon überzeugt, dass das Festival, dass inzwischen auch international von sich reden macht, die Außenwahrnehmung des Stadtbezirks positiv mitgestaltet.
nmz: Hältst Du die Situation der zeitgenössischen Komponistinnen für akzeptabel? Was sollte man tun, um dem Beruf mehr Achtung und gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen?
Stelzenbach: Das ist ein weites Feld. Ich lebe von diesem Beruf, und das heißt auch, dass er in gewisser Weise gesellschaftlich anerkannt ist. Von einer Gleichberechtigung zwischen Komponistinnen und Komponisten würde ich zwar noch nicht sprechen, aber es hat sich auf diesem Gebiet eine Menge getan. Ich finde, Komponistinnen sollten sich mehr und weit vernetzen und alle Möglichkeiten nutzen, damit ihre Werke nicht nur in kleinen Kreisen gespielt werden.
nmz: Was sind Deine nächsten Projekte nach der „Luftspiel“-Uraufführung?
Stelzenbach: Im Moment arbeite ich an zwei kammermusikalischen Kompositionen, die noch 2015 aufgeführt werden. Zu den Weimarer Frühjahrstagen für Neue Musik wird meine Komposition „Auf blauem Grund“ für Jugendsinfonieorchester gespielt. Am 4. und 11. Juli präsentieren wir die pyramidale #14 | LIEBHABEREI.
Infos
Susanne Stelzenbachs „Luftspiel für großes sinfonisches Blasorchester“ wird am 09.05.2015 im rbb-Sendesaal mit dem Frauenblasorchester Berlin uraufgeführt.