Neulich sah ich einen Menschen mit einem T-Shirt, auf dem stand: „Das war mein zweitbester Sommer“. Als ich das las, wurde ich etwas nachdenklich. Der Sommer, ja, wo ist der eigentlich geblieben? Es fühlt sich an, als wäre er ausgefallen, jedenfalls im Sinne von Freizeit und Urlaub. Denn der Brandenburger Sommer war prallvoll gefüllt mit Fontane-Veranstaltungen. Fontane unterm Birnbaum, Fontane in der Scheune, Fontane im Schloss, Fontane hinterm Hühnerstall: Überall lasen Schauspielerinnen und Schauspieler die immer gleichen Texte aus den „Wanderungen“, Fontane, unser Brandenburger Fontane, er wird gelesen, gespielt, ausgestellt, gesungen und als Oper aufgeführt. Tafeln wurden aufgestellt mit Erinnerungssprüchen oder mit „Hier reiste Fontane am soundsovielten mit der Postkutsche durch…“. Und auch jeder Bürgermeister schaute noch mal ins Wanderungen-Buch rein, ob der Altmeister gar etwa was geschrieben hätte über das eigene Kaff.
Auch unser eigenes drittes Fontane-Programm lief prachtvoll. Als wir es in Bad Saarow spielten, begrüßte uns die charmante Pfarrerin gleich mit den Worten: „In Saarow jibts nüscht, in Pieskow jibts jar nüscht“. So hatte der Altmeister diese Orte beschrieben und war gleich wieder abgereist, falls er je da war. Denn Fontane ist nicht gewandert. Er reiste lieber bequem mit der Bahn oder gern mit dem Dampfschiff oder mit Pferd und Wagen, was sich die geschäftstüchtigen Brandenburger Bauern teuer bezahlen ließen.
Statt eines regelrechten Vorwortes setzte er seinen Büchern einige Gedanken über „Reisen in der Mark“ voran. Der schöne Text muss einfach in diesen Artikel hinein: „Ob du reisen sollst, so fragst du, reisen in der Mark? Die Antwort auf diese Frage ist nicht eben leicht. Und doch würd es gerade mir nicht anstehn, sie zu umgehen oder wohl gar ein ‚nein‘ zu sagen. So denn also ‚ja‘. Aber ‚ja‘ unter Vorbedingungen. Laß mich Punkt für Punkt aufzählen, was ich für unerläßlich halte.
Das Gute finden
Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu ‚Land und Leuten‘ mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen.
Der Reisende in der Mark muß sich ferner mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben. Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ – sagt das Sprichwort – ‚hat immer noch sieben Schönheiten.‘ Ganz so ist es mit dem ‚Lande zwischen Oder und Elbe‘; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß sie nur zu finden verstehn. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.
Drittens. Wenn du reisen willst, mußt du die Geschichte dieses Landes kennen und lieben. Dies ist ganz unerläßlich. Wer nach Küstrin kommt und einfach das alte graugelbe Schloß sieht, das, hinter Bastion Brandenburg, mehr häßlich als gespensterhaft aufragt, wird es für ein Landarmenhaus halten und entweder gleichgültig oder wohl gar in ästhetischem Mißbehagen an ihm vorübergehn; wer aber weiß: »hier fiel Kattes Haupt; an diesem Fenster stand der Kronprinz«, der sieht den alten unschönen Bau mit andern Augen an. – So überall.
Viertens. Du mußt nicht allzusehr durch den Komfort der ‚großen Touren‘ verwöhnt und verweichlicht sein. Es wird einem selten das Schlimmste zugemutet, aber es kommt doch vor, und keine Lokalkenntnis, keine Reiseerfahrung reichen aus, dich im Voraus wissen zu lassen, wo es vorkommen wird und wo nicht. Regeln sind nicht zu geben, Sicherheitsmaßregeln nicht zu treffen. Wo es gut sein könnte, da triffst du es vielleicht schlecht, und wo du das Kümmerlichste erwartest, überraschen dich Luxus und Behaglichkeit.
Fünftens und letztens. Wenn du das Wagstück wagen willst – ‚füll deinen Beutel mit Geld‘. Reisen in der Mark ist alles andre eher als billig. Glaube nicht, weil du die Preise kennst, die Sprache sprichst und sicher bist vor Kellner und Kutscher, dass du sparen kannst; glaube vor allem nicht dass du es deshalb kannst, ‚weil ja alles so nahe liegt‘. Die Nähe tut es nicht. In vielen bereisten Ländern kann man billig reisen, wenn man anspruchslos ist; in der Mark kannst du es nicht, wenn du nicht das Glück hast zu den ‚Dauerläufern‘ zu gehören. Ist dies nicht der Fall, ist dir der Wagen ein unabweisliches Wanderungsbedürfnis, so gib es auf, für ein Billiges deine märkische Tour machen zu wollen. Eisenbahnen, wenn du ‚ins Land‘ willst, sind in den wenigsten Fällen nutzbar; also – Fuhrwerk. Fuhrwerk aber ist teuer. Man merkt dir bald an, dass du fort willst oder wohl gar fort musst, und die märkische Art ist nicht so alles Kaufmännischen bar und bloß, dass sie daraus nicht Vorteil ziehen sollte. Wohlan denn, es kann dir passieren, dass du, um von Fürstenwalde nach Buckow oder von Buckow nach Werneuchen zu kommen, mehr zahlen musst als für eine Fahrt nach Dresden hin und zurück. Nimmst du Anstoß an solchen Preisen und Ärgernissen – so bleibe zu Haus.“
Musikalischer Rundgang
Auch wir wollten uns nicht lumpen lassen und buchten einen Kurzurlaub im Schloss Liebenberg für das Auftaktkonzert zum Fontane-Jahr am 31. März. Angekündigt war das folgende: „Das französische Streichquartett ARNAGO führt mit einem musikalischen Rundgang durch das Leben Theodor Fontanes.“ Schon die Konstruktionsweise des Satzes hätte uns Schlimmes ahnen lassen sollen. Aber wir wollten unbedingt erleben, wie man als französisches Streichquartett musikalisch durch das Leben eines deutschen Dichters führt. Schon die Konzerteinführung von Günter Rieger war eine Enttäuschung, denn seinem Thema „Fontane und die Musik“ widmete er sich so gut wie gar nicht. Weder erzählte er von Fontanes Abneigung gegen die Tonkunst, nichts von seinen misslungenen Versuchen, sich in Bayreuth Wagner-Opern anzuhören, nichts über seine vergeblichen Versuche, Brahms zur Vertonung seiner frühen Gedichte zu bewegen, nicht über das Musikmöbel, also das Klavier, auf dem Tochter Mete ab und zu übte, seinem Ratschlag an sie, sich die Freischütz-Ouvertüre einzuüben und auch nichts über seine späten Versöhnung mit der Musik. Vor allem aber fehlte das wichtigste Element, nämlich wie Fontane musikalische Vorlieben in seinen Romanen zur Charakterisierung der Figuren einsetzte.
Ein Muggenquartett
Dann folgte das Konzert. Für die Gestaltung hätte sich einiges angeboten: Fontanes von Carl Loewe vertonte Balladen oder Lieder von Philipp zu Eulenburg, der auf dem Schloss lebte und mit Fontane befreundet war. Aber ein Streichquartett hat zum Denken und zum Leben von Fontane eher wenig beizutragen. Das auftretende Quartett kam aus dem Baskenland und stellte sich in der musikalischen Qualität als höchstens zweitrangig heraus. Es war – wie wir Musiker so schön sagen – ein Muggenquartett. Und das, wo in 30 Kilometer Entfernung in Berlin einige der bedeutendsten und bekanntesten Streichquartette der Welt zuhause sind, die mit dem Auto hätten kommen können. Oder die Veranstalter hätten eines der hoffnungsvollen Studentenquartette der beiden Berliner Hochschulen engagiert. Jedes, wirklich jedes Berliner Quartett hätte besser musiziert. Das Programm dieses Quartettes bestand aus dem Streichquartett D-Dur op. 63 von Nils Wilhelm Gade, von dem die Musiker einen Satz schafften. Gade, der nur wenige Jahre in Leipzig studierte, hat mit Fontane überhaupt nichts zu tun. Es folgte das Streichquartett a-Moll op. 13 von Felix Mendelssohn Bartholdy, das so klang, als würde die lieben Kollegen es nach einer knappen Probe vom Blatt spielen. Fontane hat jahrelang in Leipzig und Dresden gewohnt, Mendelssohn war Berliner, das passt irgendwie ein bisschen zusammen. Es ist anzunehmen, dass dieser erste Teil des Konzertes ein Wunsch des Veranstalters war, um dem Thema „Fontane“ irgendwie gerecht zu werden. Es ist weiter anzunehmen, dass die Musiker diese Stücke nur widerwillig ins Programm genommen haben, um den Job zu bekommen.
Kein Bezug zu Fontane
Im zweiten Teil des Konzertes erklangen das Streichquartett F-Dur von Maurice Ravel und das Streichquartett g-Moll op. 10 von Claude Debussy. Diese beiden Stücke spielen die Musiker vermutlich seit ihren Studienjahren. Sie wurden besser interpretiert, aber auch hier wurden Sätze weggelassen und der Bezug zum Thema „Fontane“ war nicht vorhanden. Die Veranstaltung war eine Nullnummer, wie immer, wenn zu viele Kulturmanager/-innen, Ideenfinder/-innen und Projektentwickler/-innen das „Event“ verderben, wenn keiner der festangestellten Stiftungsmitarbeiter Ahnung hat und wenn man die, die Bescheid wissen und das notwenige Können haben, weder fragt noch einlädt. Leider wird das gesamtdeutsch Mode. Immer mehr Besserwisser/-innen und Mitverdiener/-innen schieben sich zwischen die kreativen Künstler/-innen und das Publikum und das allgemeine Kulturleben wird zu einem genormten, uninteressanten und unoriginellen Einheitsbrei. Das Publikum weiß es nicht besser und das bunte Künstlervölkchen muss sich diesen öden, aber durchsetzungsstarken Strukturen anpassen, um hin und wieder mitspielen zu dürfen und überhaupt noch ein bisschen Geld zu verdienen.
Es gab aber auch Erfreuliches. Die Havelländischen Musikfestspiele mit ihrem kreativen Team um Direktor Frank Wasser schrieben einen Wettbewerb für Schüler aus. „Sing den Theo“ hieß das Motto und etliche Teilnehmer fanden sich in Ribbeck zusammen, um den Theo zu gewinnen. So ein Wettbewerb ist schön und für die Schülerinnen und Schüler immer ein großes Erlebnis.
Aber das Ganze ist auch ein bisschen irreführend. Denn zehn- bis zwölfjährige Kinder können nicht wirklich einen Song schreiben. Sie sind froh, wenn sie vier Akkorde auf der Gitarre spielen und sich den Text merken können. Ohne professionelle Unterstützung geht es halt nicht wirklich. Schon die Textauswahl ist heikel: Ist das Thema des Gedichtes interessant; hat der Inhalt für die Gegenwart was zu bedeuten, könnte die Story die Schüler interessieren? Da bleibt an Texten nicht viel übrig.
Danach muss eine einfache Melodie gefunden werden, das heißt die Melodie muss den Kinder solange „zufällig“ vorgespielt und vorgesungen werden, bis sie das Lied als „eigene Schöpfung“ betrachten. Und sie haben zum Glück auch viele eigene Ideen. Und wenn diese Ideen dann ins große Ganze einfließen, dann entsteht tatsächlich ein kreativer Prozess in der Erarbeitung. Natürlich muss der Lehrer bereit sein, den höllischen Lärm im Probenraum, die unvermeidbaren Rangeleien und die manchmal plötzlich aufflammende allgemeine Unlust wegzulächeln und die probentechnischen Leerstellen mit Gummibärchen zu überbrücken.
Die zweite Hürde ist die Tonart. Eine Popband besteht nun mal in erster Linie aus Gitarren. Die Schüler können in dem Alter E-Moll, A-Moll, vielleicht H7, eventuell C-Dur und G7 greifen. Der Song muss diese Tonarten benutzen, sonst kann ihn keiner spielen. Diese wenigen Tonarten passen aber meisten nicht zu den sopranähnlichen Kinderstimmen, die blöderweise in F-Dur, B-Dur und D-Moll am besten klingen. Die Gitarren können mit einem Kapodaster tricksen. Der Bassist, der ja nur einen Ton spielen muss, war nach finaler Übergabe eines Computerspiels verhandlungsbereit. Und der arme Keyboarder drückte tapfer sein erstes „Es“. Hut ab!!! Die zwei Flötenmädchen, die wir auch noch mitgenommen hatten, spielen natürlich alles in jeder Tonart vom Blatt und sangen den Song nach zweimaligem Hören sauber mit.
Dann war der große Tag da. Der Lehrer wusste, dass es nur sechs Parkplätze vor dem Schloss gibt und war drei Stunden vorher da. Der sechste und letzte Parkplatz war für das Musikschulauto gesichert. Das Wetter war wie gemalt so schön, die Eltern hatten gute Laune, die Großeltern übernahmen das Catering, die Schüler waren unbekümmert und der Lehrer war angespannt.
Die Musikfestspiele hatten alles perfekt vorbereitet: Bühne, Technik, Catering, alles stimmte. Zu Recht gewonnen hat die band „Joker“ von der Musikschule Neuruppin mit dem selbstgeschriebenen Lied „Fontane und seine Frauen“. Darüber in der nächsten Ausgabe mehr.