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Meisterlich und beglückend

Untertitel
Friedrich Gauwerky spielte in der Martinikirche Werke für Violoncello
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Siegen. Wer nach der langen Lockdown-Pause endlich wieder ein Konzert live erleben wollte, konnte dies Anfang Juni in der Siegener Martinikirche tun. Allerdings waren die drei bekannten GGG-Hürden zu überwinden, sodass doch nur 28 Menschen die mit 500 Stühlen perfekt coronamäßig neu ausgerichtete Kirche „füllten“. Zu Hause konnte man im Livestream das vom Bachchor Siegen veranstaltete Konzert erleben, das unter dem Titel „Der Glaube – Spiritualität und Andacht“ Werke von Bach mit Neuer Musik verband.

Kantor Peter Scholl zeigte sich in seiner Begrüßung hocherfreut, mit diesem Konzertformat wieder ein Stück Normalität zurück zu gewinnen und mit dem Cellisten Friedrich Gauwerky einen großartigen Interpreten verpflichtet zu haben. Dieser ist in zahlreichen Konzerten des Siegener Studios für Neue Musik aufgetreten und als Cellist weltweit solis–tisch tätig. In Hamburg aufgewachsen, war er Student und Assistent von Siegfried Palm. Seither hat er bei zahlreichen Rundfunk-, CD- und Fernsehproduktionen mitgewirkt, hat Lehrtätigkeiten an Hochschulen und Universitäten unter anderem in Köln (seit 1978), London, Kalifornien und Adelaide (Australien) ausgeübt und ist neben barocker, klassischer und romantischer Musikinterpretation ein gefragter Spezialist für neue und neueste Musik.

Applaus, ein lang vermisstes Geräusch, empfing den Interpreten. Die sechs Sätze der vor 300 Jahren entstandenen „Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur, BWV 1007“ von Johann Sebas–tian Bach ging der Cellist allesamt, mit Ausnahme der bedächtig schreitenden Sarabande, mit Emphase, Virtuosität und agogischer Flexibilität an. Die das ganze Werk durchziehenden Dreiklangsbrechungen, mal tieftönend, mal sanft und hell, wechselten sich in „Prelude“ und „Allemande“ mit rasanten Läufen durch höchste Höhen und sonore Tiefe ab. Leichtfüßiger Dreiertakt in der Courante, energisch und soft zugleich, die beiden Menuette huschend und zupackend, und eine sich rasant im Kreise drehende Gigue begeisterten: großer Applaus!
Gauwerky betonte in seiner Moderation, dass es zu Bachs Zeiten nicht üblich war, das Cello als Soloinstrument zu spielen und dass die Komposition deshalb als eine in Bachs tiefem Glauben verwurzelte Innovation zu werten sei. Pablo Casals hat 1911 die Suiten uraufgeführt.

„Az Hit“ (Der Glaube) ist der 1. Satz eines ursprünglich für Solosopran komponierten Werkes des ungarischen Komponisten György Kurtág (* 1926), das auf Texten des barocken Priesters Péter Bornemisza basiert. Gauwerky gab den gesanglichen Melodien, Doppelgriffen und Verzierungen Intensität und atmosphärische Dichte.

Faszinierende Eigenart besaß das nächste Stück „Blues in B-flat“ von Volker Heyn (*1938). Gauwerky musste sein Cello umstimmen: drei Saiten auf den Ton b in Oktavabständen, eine Saite auf f. Das zehnminütige Stück bestand fast nur aus langen Einzeltönen, durch abrupte geräuschhafte Forteakzente unterbrochen und mit subtilen, irisierenden Obertoneffekten durchsetzt. Mit zwei Bögen streichend, klopfend, kratzend, zupfend und rutschend entstanden wahrlich unerhörte, verzaubernde Klänge. Die Zuhörer dankten mit langem Klatschen.

Den australischen Komponisten Peter Sculthorpe (1929–2014) lernte Gauwerky während seiner Lehrtätigkeit in Adelaide kennen. Dessen „Requiem“ ist laut Gauwerky von „originärer australischer“ Tongebung. Die sechs Sätze boten Raum für blühende Melodik, dunkelgründige Mehrstimmigkeit und virtuose Läufe. Der Cellist ließ die traurig klagenden Teile (Kyrie, Lacrimosa, Libera me) und die ätherisch verklärten Sätze (Qui Mariam, Lux aeterna) mit allen cellistischen Raffinessen und mit wunderbar süffigem Ton zu einem eindrucksvollen Konzertabschluss werden.

 

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