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Mindesthonorare für Musiker

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Agnes Krumwiede will Urheberrecht, Musikunterricht und soziale Lage der Musiker verbessern
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Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) ist Deutschlands einzige Bundestagsabgeordnete, die von Beruf Pianistin – und auch Mitglied des Tonkünstlerverbandes – ist. Sie lernte in ihrer ersten Legislaturperiode den Politikbetrieb aus der Opposition heraus kennen. Dass grundsätzlich alle Anträge ihrer Fraktion und somit auch die zu kulturellen Themen von den Regierungsfraktionen abgelehnt wurden, bestärkt sie in ihrem Wahlkampf für eine rot-grüne Regierungsmehrheit.

neue musikzeitung: Angenommen Ihre Partei würde an die Regierung kommen: Was würde sich für Musiker ändern?  
Agnes Krumwiede: Beispielsweise würde sich mit uns Grünen einiges am Urhebervertragsrecht ändern: Nur wenn Urheberinnen und Urheber sowie ausübende Künstlerinnen und Künstler in fairen Vertragsverhältnissen zu ihren Geschäftspartnern stehen, kann das Recht auf angemessene Vergütung in die Realität umgesetzt werden.
Deshalb fordern wir unter anderem eine Auskunftspflicht seitens der Verwerter und Vermittler über den Umfang und die Erträge durch Werk-nutzungen. Werkschaffende müssen wissen, wie oft und wo ihre Werke genutzt wurden, um einen möglichen Anspruch auf weitere finanzielle Beteiligung einfordern zu können. Außerdem wollen wir fördern, dass Vereinigungen von Urheberinnen und Urhebern sich mit Verwertern auf gemeinsame Vergütungsregeln einigen. Wenn keine Einigung erfolgt, muss ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden, dessen Ergebnis zukünftig verbindlich gelten sollte.    
An der GEMA gibt es viel zu kritisieren. Aber nicht, dass sie selbstbewusst ihren Job macht und nicht klein bei gibt, wenn ein milliardenschweres Unternehmen wie Youtube deutsche Komponistinnen und Komponisten  nicht anständig an der Verbreitung ihrer Inhalte beteiligt. Diese Praktiken von Internet-Unternehmen müssen dringend eingedämmt werden.

nmz: Das wird aber nur auf internationaler Ebene möglich sein?
Krumwiede: Ja, aber es ist auch Aufgabe des Gesetzgebers, deutlich zu machen, dass es in unserem Land Gesetze gibt, an die sich auch ausländische Unternehmen und befreundete Staaten halten müssen.

nmz: Die Grünen sind für die Ganztagsschule. Was geschieht mit dem außerschulischen Musikunterricht?
Krumwiede: Wir Grünen stehen für mehr Zeit und Raum für künstlerische Aktivität - von der Kita an! Wir brauchen ein neues Bildungssystem, das künstlerische Fähigkeiten im Vergleich zu jenen in sogenannten „MINT“-Fächern adäquat als Leistung anerkennt. Wir wollen die aktive Auseinandersetzung mit Kunst und Musik als integrale Bestandteile des Lernens stärken. Als Vorbild dient uns das kanadische Modell „Learning Through The Arts“ (LTTA), das künstlerische Elemente in Lehr- und Lernkonzepte einbezieht. Damit individuelles, kreatives Lernen und Inklusion gelingen können, sind zuallererst jedoch kleinere Schulklassen notwendig und eine „Entschlackung“ von Lehrplänen. Und vielseitige Anregungen: An Ganztagsschulen sollen Schüler ihren Neigungen entsprechend wählen dürfen – ob sie lieber Geige oder Schlagzeug, die Theatergruppe oder Poetry-Slam, Graffiti oder Fotografie belegen möchten. Kooperationen zwischen kommunalen Kultureinrichtungen wie den Musikschulen und den Bildungseinrichtungen wollen wir stärken. Auch die Arbeit mit „externen“ Künstlerinnen und Künstlern kann an Schulen sehr gut funktionieren, unter der Voraussetzung, dass die Künstlerinnen und Künstler entweder selbst eine pädagogische Qualifikation besitzen oder bei der Durchführung von Projekten neben der künstlerischen Leitung grundsätzlich auch eine Lehrkraft anwesend ist. Jene Ganztagsschüler, die trotz des umfassenden kulturellen Angebots an der Schule bei einer privaten Lehrkraft oder an einer anderen Bildungseinrichtung Instrumentalunterricht erhalten wollen, müssen dafür unbürokratisch und flexibel die Möglichkeit erhalten – das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt. Auch für das Üben am Instrument sollten innerhalb des Ganztagsschulsystems ausreichend Zeitfenster eingeräumt werden – Zeitfenster, die weniger Musikbegeisterte ja beispielsweise für sportliche Aktivitäten nutzen können.

nmz: Ein wichtiges Thema von Ihnen ist die soziale Absicherung von insbesondere freiberuflich tätigen Künstlern. Bei konzertierenden Künstlern ist die Spannweite sehr groß. Viele Musiker spielen für ein sehr geringes Honorar, wenige haben vier- bis fünfstellige Gagen. Dagegen richtet sich zum Beispiel die Initiative „Art but fair“. Was würden die Grünen gegen diesen Missstand tun?
Krumwiede: Die prekäre Situation vieler Künstlerinnen und Künstler hat diverse Ursachen: Honorare, die mit sittenwidrigen Löhnen vergleichbar sind; wechselnde kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse ohne Aussicht auf Festanstellung; kein Anspruch auf Krankengeld trotz Einzahlung in die Versicherung; unfaire Vertragsverhältnisse usw. Die schwarz-gelbe Koalition im Bund hat in dieser Legislaturperiode völlig verschlafen, notwendige Verbesserungen der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstlerinnen und Künstlern in die Wege zu leiten. Es besteht akuter politischer Handlungsbedarf. Die Grüne Bundestagsfraktion hat deshalb ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstlerinnen und Künstlern erarbeitet. Unter anderem fordern wir: Für die Dienstleistung aller ausgebildeten Interpreten, Bühnendarsteller und Lehrenden ohne Festanstellung in Kunst und Kultur muss es Mindestabsicherungen und Honoraruntergrenzen geben. Auch die Ausbeutung der Lehrbeauftragten an Hochschulen für Musik und Theater wollen wir beenden.
Ihre weit verbreitete Bereitschaft zur Selbstausbeutung sollten Musikerinnen und Musiker überdenken: Vor die Wahl gestellt, ein Konzert gar nicht oder eben ohne Gage zu spielen, würden sich die meisten sicherlich für den Auftritt entscheiden. Ich habe in dieser Legislaturperiode überlegt, ein „Fair-Trade- Siegel“ für den Kulturbereich einzuführen, also für faire Löhne im Kulturbetrieb, um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen. Das wäre sicher eine gute flankierende Maßnahme. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir für den Kulturbereich verbindliche branchenspezifische Mindestlöhne- und -honorare brauchen! Viele Veranstalter sagen, dann würde es weniger Konzerte geben. In Berlin haben wir einen Mindestlohn für Friseure, gibt es deshalb einen Mangel an Friseuren?! Wenn man ein Honorar erhält, kann man damit machen, was man will. Und sollte eine Inszenierung oder ein Konzert aufgrund knapper Budgets seitens der Veranstalter gefährdet sein, steht es dem Künstler jederzeit frei, sein Honorar zu spenden. Eines muss sich ändern: Hochqualifizierte Musiker und Künstler dürfen nicht länger die Bittsteller sein. Vom Applaus allein wird niemand satt und solange Dumpinglöhne im Kulturbetrieb an der Tagesordnung sind, kommen wir nie zu einem größeren Respekt gegenüber künstlerischen Leistungen!

nmz: Würde Ihre Partei auch dagegen etwas unternehmen, dass es so extrem hohe Spitzenhonorare gibt?
Krumwiede: Vom Steuerkonzept der Grünen wären natürlich auch die Spitzenverdiener im Musikbereich betroffen, nämlich jene ab einem Brutto-Jahreseinkommen von über 80.000 Euro, den Spitzensteuersatz wollen wir von 42 auf 49 Prozent erhöhen. Von unserem Steuerkonzept profitieren würden übrigens alle Musikerinnen und Musiker, die weniger als 80.000 Euro pro Jahr verdienen, also mindestens 90 Prozent aller Musikerinnen und Musiker: Wir wollen nämlich unter anderem den Grundfreibetrag erhöhen von 8.130 Euro auf 8.712 Euro.

nmz: Ihre Vorschläge werden Geld kosten. Wie würden Sie Ihre kulturellen Projekte finanzieren?
Krumwiede: Allein im Bildungsbereich wollen wir 20 Milliarden mehr investieren. Wir können bis ins Detail aufrechnen, wie wir die Umsetzung unserer grünen Ziele gegenfinanzieren wollen: Durch einen Abbau klimaschädlicher Subventionen und durch unser Steuerkonzept. Wir wollen die Erbschaftssteuer langfristig verdoppeln und uns bei den Ländern dafür einsetzen, dass ein bestimmter Anteil dieser Mehreinnahmen in die Kulturförderung der Länder fließt. Das Ehegattensplitting wollen wir abschmelzen und eine Vermögensabgabe (mit einem Freibetrag von einer Million Euro) einführen, deren Mehreinnahmen wir zum Schuldenabbau verwenden wollen. Durch unser Steuerkonzept wollen wir mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Spielraum zur Förderung von Kindern schaffen.

nmz: Frau Krumwiede, vor vier Jahren spielten Sie im Wahlkampf das Konzert-Programm „Starke Frauen“. Wie machen Sie dieses Mal Wahlkampf?
Krumwiede: Dieses Programm habe ich nicht nur im Wahlkampf gespielt, sondern immer wieder vor allem bei Grünen Veranstaltungen in der laufenden Legislaturperiode. Das war sehr wichtig, denn auch in den eigenen Reihen muss immer wieder das Bewusstsein für den Wert von Kultur geschärft werden. Und das kann man viel besser und authentischer durch Musik als durch Worte erreichen. Innerhalb dieses Gesprächskonzertes „starke Frauen“ habe ich hauptsächlich Werke von Frauen gespielt, von Fanny Hensel, Clara Schumann bis hin zu einer zeitgenössischen Komponistin, Mayako Kubo, die ich sehr schätze. Dazwischen hat eine Schauspielerin Briefe der Komponistinnen und von Zeitzeugen vorgelesen - das hat immer viel Spaß gemacht und war für mich ein schöner „Kontrapunkt“ zur Politik. Vor fünf Monaten ist mein Sohn Jonathan zur Welt gekommen. Nun mache ich mit ihm musikalische Früherziehung. Jonathan ist momentan mein einziger Konzertbesucher. Jetzt im Wahlkampf mit Baby würde ich es nicht schaffen, auf dem Niveau Klavier zu spielen, das meinen eigenen Anforderungen entspricht. Wahlkampf heißt: Mich einzusetzen für grüne Ziele in allen politischen Bereichen, auf Podiumsdiskussionen, Touren und Veranstaltungen, die ich teilweise mit meinem Team selbst organisiere. Aufgrund meiner Erfahrung als junge Mutter spielt für mich in diesem Wahlkampf auch die Frauen- und Familienpolitik eine große Rolle. 

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