Am 27. September startet auf Initiative des Hamburger Cellisten und DTKV-Mitglieds David Stromberg in der Hamburger Elbphilharmonie die 2. Emanuel Moór Konzertreihe. An seiner Seite: zahlreiche Förderer (zuvorderst Hans-Otto und Engelke Schümann-Stiftung, Hans Brökel Stiftung) und der DTKV Landesverband Hamburg als Kooperationspartner und Mit-Veranstalter. Im Mittelpunkt der Konzertreihe steht Emanuel Moór (1863–1931) in der Doppelrolle als Komponist und als Erfinder. Wie David Stromberg erst Moórs Musik für sich entdeckte, dann für den Konzertsaal das von Moór entwickelte zwei-manualige Duplex-Piano wiederentdeckte und wie er seine Rolle als Musiker in der Gesellschaft sieht, darüber haben wir mit ihm gesprochen
Mit dem Duplex-Piano in die Elbphilharmonie
neue musikzeitung: Mit dem Projekt „Das Duplex-Piano“ hauchen Sie und der Pianist Florian Uhlig einer vergessenen Idee der Musikgeschichte neues Leben ein. Sie erzählen die spannende Geschichte von großen Visionen, Begeisterung und künstlerischen Idealen und mit der Wieder-Entdeckung des Duplex-Pianos haben Sie für viel Aufsehen in den Medien gesorgt. Wie fing diese ungewöhnliche Geschichte an?
David Stromberg: Im Sommer 2017 suchte ich nach Literatur für zwei Celli und stieß dabei auf ein Doppelkonzert für zwei Celli und Orchester von Emanuel Moór – spätromantische Musik allererster Güte. Ich war gleich fasziniert von seiner Musik, seinem Einfallsreichtum und diesem tief empfundenen musikalischen Ausdruck! Also fing ich an, mich mehr und mehr mit Moórs Musik und seiner Lebensgeschichte zu beschäftigen. Aus der Begeisterung für seine Musik brachten der Cellist Sebastian Hess und ich 2020 eine Emanuel Moór CD auf den Markt, die Nürnberger Symphoniker unter dem Dirigenten Rudolf Piehlmayer waren mit von der Partie, der Bayerische Rundfunk war Produktionspartner.
nmz: War der heute nahezu unbekannte Emanuel Moór zu Lebzeiten ein bekannter Komponist?
Stromberg: Ja, Moór war ein hoch geschätzter Künstler. Die besten Musiker seiner Zeit führten seine Werke auf: Die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker, Alfred Cortot, Eugène Ysaÿe. Der Cellist Pablo Casals bezeichnete Moór in seinem Buch „Licht und Schatten auf einem langen Weg“ als ein Genie, konzertierte mit seinen Werken und war sein inspirierender Mentor und Freund. Tatsächlich schrieb Moór über 200 Werke: Opern, Sinfonien, Kammermusik und Konzerte. Und dann verstummte er als Komponist, das war um 1918 und er war gerade 55 alt. Fortan schrieb er keine einzige Note mehr. Stattdessen folgte er einer Vision. Er wollte mit dem Duplex-Piano das Klavier der Zukunft bauen.
nmz: Und was ist das Besondere an diesem Instrument?
Stromberg: Das Duplex-Piano hat zwei Manuale. Es ermöglicht auf dem unteren Manual die Verdopplung der Töne, wenn ein Pedal getreten wird. Jedem Ton wird dann der Ton eine Oktave darüber hinzugefügt. So kommt es zur enormen Klangfülle des Instrumentes. Über eine solche Klangverstärkung hatten vor Moór schon andere nachgedacht, Franz Liszt und Ferruccio Busoni zum Beispiel . Und durch die beiden Manuale werden Abschattierungen des Klanges möglich: Eine Hauptstimme lässt sich auf dem unteren Manual verdoppelt darstellen und die Nebenstimme unverdoppelt auf dem oberen.
nmz: Und war Moór mit seiner Erfindung erfolgreich?
Stromberg: Ja, Moór schaffte es auch als Erfinder bis in die höchsten Kreise. Die renommiertesten Klavierbauer fertigten sein Instrument: Steinway, Bösendorfer, Bechstein, Pleyel und einige andere. Und die besten Orchester der Welt nutzten den Flügel: die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker, das Amsterdam Concertgebouw Orchestra, amerikanische Orchester wie das Boston Symphony Orchestra, das Chicago Symphony Orchestra und das New York Philharmonic Orchestra gaben mit dem „Duplex“ Konzerte und viele weitere Orchester rund um den Globus.
nmz: War das Duplex für Moór auch wirtschaftlich ein Erfolg?
Stromberg: Es wurden zwar ab Mitte der zwanziger Jahre in kurzer Zeit rund siebzig Instrumente gebaut, ein Verkaufsschlager wurde das Duplex aber nicht, denn die Entwicklung kam jäh zum Stillstand. Auf der Webseite von Bechstein heißt es noch heute: Das Instrument verursachte „Begeisterung und rote Zahlen“.
nmz: Warum kam die Entwicklung zum Stillstand?
Stromberg: Das ist die Frage aller Fragen. Es wird mehrere Gründe gegeben haben. Moór verstarb 1931 und damit verlor die Bewegung ihren inneren Antrieb. Moór war Jude und die Nationalsozialisten förderten seine Erfindung natürlich nicht. Der 2. Weltkrieg kam und damit brach die Entwicklung ab. Ein anderer Grund mag das Stilideal der Neuen Sachlichkeit gewesen sein, das aufkam. Das Duplex-Piano ist ein Kind der Spätromantik. Man wollte Grenzen sprengen hin zu noch mehr Klang und musikalischem Ausdruck. Es manifestierte sich in ihm auch die Idee, mit einem Instrument ein ganzes Orchester zu imitieren. Und dafür war irgendwann die Zeit vorbei. Und heute entdecken wir das Instrument wieder. Wir betreiben „Historische Aufführungspraxis der Spätromantik“, indem wir die Musik der Spätromantik mit dem Instrumentarium dieser Epoche spielen. Und das führt zu wunderbarer Eindringlichkeit im musikalischen Ausdruck.
nmz: Woher stammt der Flügel, auf dem in der Konzertreihe gespielt wird?
Stromberg: Ich habe weltweit nach einem geeigneten Duplex-Piano gesucht. Aber die Instrumente, die ich auftat, waren alle nicht nutzbar. Schließlich fand ich doch eines ganz in der Nähe in einem Schloss in Schleswig-Holstein. In diesem Schloss lebte der Sammler Andreas Beurmann mit seiner Frau Heikedine Körting. Beurmann sammelte historische Tasteninstrumente. Später schenkten beide die Sammlung dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Das Duplex-Piano verblieb aber im Schloss. Es stand dort unter einem Blumenstrauß zur Dekoration. Seinen Wert hatte niemand erkannt. Heikedine Körting gab mir schließlich die Genehmigung, ihn zu nutzen.
nmz: Wie lief die Anspielprobe?
Stromberg: Beim allerersten Ausprobieren war der Flügel sehr verstimmt. Aber als Florian Uhlig und ich mit dem dann gestimmten Instrument im März 2021 erstmals gemeinsam probten, kam uns eine ungeahnte Klangfülle entgegen. Wir waren sehr erstaunt, dass auch filigrane Passagen sich auf eine neue Weise faszinierend transparent und durchsichtig darstellen ließen. Also haben wir den Flügel aufwändig restaurieren lassen und 2021 ein erstes Konzert mit dem Duplex beim Schönberger Musiksommer gegeben. Florian Uhlig und ich nahmen dann in Kooperation mit dem Deutschlandradio eine CD auf. Wir haben drei Sonaten von Emanuel Moór, Ernst von Dohnanyi und Richard Strauss ausgewählt, die besonders gut zum Flügel passen.
nmz: Nun realisieren Sie in der Elbphilharmonie in Hamburg eine eigene Konzertreihe. Was erwartet die Hörer*innen?
Stromberg: In der Emanuel Moór Konzertreihe steht natürlich das Duplex-Piano im Zentrum. Moór wurde in Ungarn geboren und das erste Konzert der Reihe am 27. September ist eine Referenz an den slawischen Kulturraum. Zu hören sein werden Werke von Smetana, Dvorák und Moór. Das zweite Konzert am 19. Februar 2024 spürt wichtigen Weggefährten von Moór nach. Moór nahm in Wien ja Unterricht bei Brahms, und dessen Einflüsse können wir auch in Moórs „Ungarischem Tanz“ hören. Mit Faurés expressivem Klavierquartett erinnern wir an die Freundschaft der beiden Komponisten. Das Werk ist wie geschaffen für das Duplex-Piano. Und zum Abschluss erklingt ein Klavierquartett von Brahms. Im letzten Konzert am 27. Juni 2024 steht dann das „Quartett vom Ende der Zeiten“ von Messiaen auf dem Programm. Dieses Werk vollendete Messiaen in deutscher Kriegsgefangenschaft im Lager StaLag 8A in Görlitz und führte es dort mit anderen inhaftierten Musikern erstmalig auf. Die ungewöhnliche Besetzung Klarinette, Violine, Cello und Klavier ergab sich auch aus den im Lager verfügbaren Musikern.
nmz: Herr Stromberg, Sie sind Konzertmusiker. Mit der Emanuel Moór Konzertreihe sind sie nun auch als Konzertveranstalter tätig. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Stromberg: Ich bin auf das Duplex-Piano gestoßen und habe es mir zur Aufgabe gemacht, es wieder auf die Konzertbühne zurückzubringen und seine Geschichte zu erzählen. Ich hatte anfangs die Vorstellung, dass andere die Veranstalterrolle übernehmen würden. Aber es wurde klar, dass ich es selbst tun musste. Ich konnte dabei viel lernen, denn von der Vision zur Umsetzung war es ein weiter Weg. Ich musste Konzepte schreiben, Förderanträge stellen, Förderer gewinnen und konnte dann das Projekt mit den Partnern umsetzen.
nmz: Das war vermutlich nicht immer einfach. Wie war das für Sie persönlich?
Stromberg: Das Projekt hat in den letzten Jahren mein Leben bestimmt. Es kommt mir in der Rückschau vor wie eine Reise, weil ich alles, was damit zusammenhing, erst nach und nach entdeckte: Erst die Aufnahme des Doppelkonzerts, dann die Suche nach einem spielbaren Flügel und nach Geldgebern für seine Restaurierung, schließlich die Organisation und inhaltliche Gestaltung der Konzertreihe. Es lief ja nicht alles glatt. Es gab Krisen und Umwege. Aber eine Vision war von Anfang an da: Ich wollte ein Festival oder eine Konzertreihe mit dem Flügel ins Leben rufen.
nmz: Eigeninitiative ist auch im Diskurs um Honorarstandards und Verdienstmöglichkeiten für Musikerinnen ein wichtiger Aspekt.
Stromberg: Die Frage nach der Vergütung für Kunst, oder im speziellen Fall der Musik, ist von jeher brisant. Viele Menschen möchten in einem kulturellen Umfeld leben. Sie schätzen es, dass es Konzerte gibt, dass Theater gespielt wird und Museen ihre Türen öffnen. Die kulturellen Angebote geben Lebensqualität. Wir Musiker können den Menschen durch unsere Musik und durch kreative Projekte Erlebnisse vermitteln, die sie wirklich bereichern. Wir wollen grade auch mit jungen Menschen unsere Begeisterung für Musik teilen, weil wir glauben, dass Musik und Kultur diesen großen Wert hat. Das Dilemma ist, dass sich diese Angebote nicht allein aus den Eintrittsgeldern finanzieren lassen. Wir müssen daher immer wieder ihren Wert verdeutlichen. Dann gelingt auch eine Finanzierung durch Förderer und eine angemessene Bezahlung der Musiker. Hamburg, die Stadt, in der ich lebe, hat mit der Elbphilharmonie ein Wahrzeichen geschaffen. Und dieses Wahrzeichen ist ein Ort der Musik. Daran lese ich ab, wie hoch die Menschen die Kultur tatsächlich schätzen.
nmz: Wie sehen Sie darin Ihre Rolle als Musiker?
Stromberg: Es fasziniert mich, Neuland zu betreten und kreative künstlerische Projekte zu gestalten. Letztlich möchte ich die Menschen mit Musik erreichen und innerlich bewegen.
Online-Einführung
Am Mittwoch, 6. September 2023 (9.30–11.00 Uhr), gibt der Cellist David Stromberg für interessierte Kolleg:innen aller DTKV-Landesverbände eine Online-Einführung in das Projekt „Das Duplex-Piano“. Unter anderem wird es um die Möglichkeiten auch unternehmerischen Engagements innerhalb eigener Konzert-Projekte gehen. Anmeldungen:infodtkv-hamburg.de ( info[at]dtkv-hamburg[dot]de). Es wird rechtzeitig ein Zoom-Link verschickt.
Weitere Informationen zum Projekt sind auf der Homepage zu finden:
http://duplexpiano.de und
http://www.davidstromberg.de
Konzertreihe
27.9.2023, 19.30 Uhr, Kleiner Saal: Niklas Liepe (Violine), Anna Kreetta Gribajcevic (Bratsche), David Stromberg (Violoncello) und Florian Uhlig (Duplex-Piano) spielen:
Friedrich Smetana: Klaviertrio g-Moll, op. 15
Emanuel Moór: Sonate Nr. 5 für Violine und Klavier op. 54
Antonin Dvorák: Klavierquartett Nr. 2 op. 87.
19.2.2024, 19.30 Uhr, Kleiner Saal: Andrej Bielow (Violine), Hartmut Rohde (Bratsche), David Stromberg (Violoncello) und Florian Uhlig (Duplex-Piano) spielen:
Gabriel Fauré: Klavierquartett Nr. 1 op. 15
Emanuel Moór: Cello Sonate für Cello und Klavier op. 53
Emanuel Moór: „Ungarischer Tanz” Nr. 2 op. 32 für Klavier solo und Johannes Brahms: Klavierquartett g-Moll, op. 25
27.6.2024, 19.30 Uhr, Kleiner Saal: Shirley Brill (Klarinette), Albrecht Menzel (Violine), David Stromberg (Violoncello) und Florian Uhlig (Duplex-Piano) spielen:
Emanuel Moór: Prélude op. 71 Nr. 4 für Klavier solo
Johannes Brahms: Trio a-Moll, op. 114 für Klarinette, Violoncello und Klavier
Olivier Messiaen: Quatuor pour la fin du temps (1941) für Violine, Klarinette, Violoncello und Klavier.
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