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Mit Pauken und Trompeten

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Musik an der Schule – über das Verschwinden eines Unterrichtsfachs (Teil 1)
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Allenthalben wird beklagt, dass gerade der Musikunterricht an den Schulen entweder nur sporadisch erteilt beziehungsweise von Seiten der Kultusbehörden zunehmend aus dem Fächerkanon entfernt wird. Die Sicherheit des Beamtenstatus und die vergleichsweise gute Bezahlung scheinen nicht ausreichend zu sein, um mehr junge Musiker für die Lehramtslaufbahn begeistern zu können. Die Ausbildung zukünftiger Schulmusiker, die Berufspraxis und veränderte Erwartungen seitens der Bevölkerung wirken eher abschreckend. Einem analytisch-reflexiven Umgang mit Musik wird dabei eine unreflektierte pseudo-gefühlige Gruppenmusizierpraxis einseitig bevorzugt, mit der Folge, dass der Musikunterricht nicht mehr als solcher zu bezeichnen ist.

Von vielen Seiten wird die Forderung aufgestellt, Kinder und Jugendliche zu einem bewussteren und qualitativeren Umgang mit Musik anzuhalten. Denn: „Insgesamt dominiert im Musikangebot für Kinder das Banale, das Triviale. Da Innovation, inhaltliche oder formale künstlerische Ambitionen verunsichern und damit bei Erwachsenen zum Kaufverzicht führen könnten, neigen alle marktführenden Anbieter zur Nivellierung auf möglichst niedrigem Niveau“, schreibt Horst Heidmann in seinem Artikel „Kinder wollen alles“ (in: Kinder und Musik im 21. Jahrhundert. Broschüre zum Kongress im Februar 2001 in Hannover; Starnberg 2001, S. 41). Ein Schutz vor den verflachenden Manipulationen einer VIVA- oder MTV-Orientierung wäre nur über eine qualitativ orientierte Aufklärung zum Beispiel der manipulativen Macht der Tonstudio­technik möglich. Dies ist ein wesentlicher Weg zur Heranbildung qualitativer Bewertungskategorien, nämlich der der bewussten Reflexion. Schon Grundschüler kann man (beharrlich) dazu anleiten, sich bewusster und kritischer mit dem eigenen Tun und dem anderer, seien es Komponisten oder Interpreten, auseinander zu setzen.

Mangelnde Reflexions-Kompetenz reduziert Musizier-Qualität

Musiktheoretisches Grundlagenwissen, analytisch-reflexives Betrachten und Durchdenken gehören untrennbar zum aktiven (!) Hören und Musizieren. Es ist beklagenswert, wie sich die mangelnde analytische Reflexionskompetenz Jugendlicher sofort in einer verringerten Qualität des Musizierens niederschlägt – wobei die Bewusstheit die Unbefangenheit des Auffassens nicht beeinträchtigt. Denn das erkennende Verstehen erhebt das sinnliche Wahrnehmen ‚zur ansprechbaren Bewusstheit’. Wenn man einen bewussten Umgang mit Musik als Unterrichtsziel formuliert, bedeutet dies, dass fach­orientiert Bewertungskategorien und Methodiken entwickelt werden müssen. Im Vordergrund steht dabei die musikalische Qualität, ihr Erleben und Durchdenken: zum Zwecke der Musik und nicht nur mit ihrer Hilfe! Je mehr man über Musik weiß, desto präziser kann man sie und ihre Interpretation beziehungsweise auch die eigene musikalische Tätigkeit sachorientiert und qualitativ bewerten. Wer je versucht hat, klassisch ausgebildete Musiker zu Jazz-Improvisationen anzuleiten, weiß von solchen Notwendigkeiten. „Hören ohne Wissen – um es auf eine grobe Formel zu bringen – ist nicht denkbar. Der Zusammenhang mit, zum Teil sogar die Abhängigkeit von bestimmten Kenntnissen bedeutet für das Hören nicht nur eine Erleichterung, sondern ist auch bisweilen seine unabdingbare Voraussetzung.“ (Clemens Kühn: Gehörbildung im Selbststudium. Kassel 1990, S. 10) Warum verfolgt man nicht stärker den Ansatz einer „musikalisierten” Theorie? Damit ist die direkte Verbindung von systematisierten musikalischen Strukturen und der musikalischen Praxis gemeint. Eine Tonleiterstruktur ist zum Beispiel evident musikalisch und expressiv: Die Spannungs- und Strebeverhältnisse von einem Ton zum anderen sind direkt für das aktive Musizieren von Bedeutung – wer weiß, dass ein zu spielender Ton eine Leittonfunktion und -spannung zum Folgeton enthält, spielt diesen Ton bewusster und präziser im musikalischen Kontext als jemand, der nichts davon weiß und diesen Sachverhalt bestenfalls diffus erfühlt, anstatt die Musik auf einem präzisen Wissensfundament basierend bewusst zu gestalten.

„Musikalisierte Theorie“ statt Demotivation

Die häufig beklagte „Theorielastigkeit“ des schulischen Musikunterrichts wird übersetzt mit stumpfem Einpauken und Abfragen von Theorie, was Schüler demotiviere. Hier böte es sich an, die Dinge auseinander zu halten: Eine unangemessene Methodik spricht nicht gegen den Inhalt, die Didaktik! Allerdings sollte man sich deutlich machen, woran ein solches Ziel – musikalische Bildung – zu scheitern scheint: Zunächst fehlt es häufig an einer geeigneten, nämlich substanziell musikorientierten Methodik der theoretischen Unterrichtsanteile. Es genügt nicht, eine Skalenstruktur als gegeben hinzunehmen und sie stumpf als nur noch „Quiz-fähiges“ Wissen einzupauken. Ihre genuin musikalischen Qualitäten sollten verdeut­licht werden. Oder um ein oft genanntes Beispiel zu zitieren: Ohne seine musikalische Bedeutung und die systematische Herleitung über die jeweiligen Skalenstrukturen ist der Quintenzirkel nur als totes Wissen vermittelbar. Um aber eine methodische Vorgehensweise entwickeln zu können, ist eine umfassende Sachkenntnis unumgänglich. Da die Vermittlung von Musiktheorie kritisiert wird und man die Defizite nicht der Sache an sich anlasten kann, scheint dieser stoffliche Aspekt bei etlichen Lehrkräften defizitär zu sein. Wenn aber zentrale Punkte des musiktheoretischen Wissens fehlen, ist es nicht möglich, inhaltliche Beziehungen zu knüpfen, erst recht nicht zur Musikpraxis. Erst die sachgerechte Didaktik eröffnet die Chance zur angemessenen Methodik: Methodik ohne Sachbezug kann es nicht geben. Hier setzt die Verantwortung der Hochschulausbildung ein: Wenn in den Hochschulen Tonleiterstrukturen als reines Abstraktum gelehrt werden, wird genau diese abschreckende Unterrichtsausrichtung eins zu eins in den Schulen weitergegeben. Theorie wird häufig musikfern, regelfixiert und abgekoppelt von der musikalischen Praxis der Studierenden unterrichtet, wobei die anfängliche Trennung beider Gebiete an sich ja sinnvoll ist, da zunächst ein bestimmter Wissensfundus aufgebaut werden muss, bevor die Anwendung in der Praxis umgesetzt werden kann. Insgesamt gilt es jedoch den Theorie­unterricht in den Hochschulen praxis­orientierter zu strukturieren und inhaltlich „musikalischer” aufzuarbeiten, denn die Bewältigung des Ganzen setzt nun einmal die Beherrschung des Details voraus. Es wäre begrüßenswert, wenn mehr Professoren ein solches Ansinnen unterstützen und die theoretisch-wissenschaftlichen Teildisziplinen nicht als vordergründig ‚unkünstlerisch’ abwerten würden.

Unsinnlich gleich unsinnig?

Stattdessen begibt sich ein Teil der Musikpädagogik auf die Flucht vor der Bildungsqualität, wobei das Klischee der „Theorielastigkeit“ als Buhmann aufgebaut wird beziehungsweise einer eher dürftigen Legitimation dient, um die theoriefreie Praxis als Königsweg der Musik verkündigen zu können; so werden fachliche Inhalte – statt sie fachlich-argumentativ zu kritisieren – rein rhetorisch als unsinnig, da unsinnlich und somit musikfern beiseitegeschoben und damit dem Verdikt der Wertlosigkeit unterworfen.
Ihren Verführungsreiz gewinnt die sich aus der Qualitätsflucht ergebende „Jeder kann mitmachen“-Pädagogik, indem sie die Musik aus dem Mittelpunkt des Unterrichts entfernt, sie als Instrument oberflächlich-gefühligen Gruppenmusizierens missbraucht zum Zweck der Inszenierung subjektiver oder kollektiver Befindlichkeitsnarzissmen der Beteiligten (siehe auch: „Kult der Subjektivität im ‚Haus des Lernens‘“ in: Hermann Gie­secke, Pädagogische Illusionen. Lehren aus 30 Jahren Bildungspolitik. Stuttgart 1998, S. 136 ff.); es reicht eben die Absicht einer als musikalisch etikettierten Betätigung, mit abschließender wechselseitiger Bestätigung des „Wie schön“ oder „Was haben wir für einen Spaß gehabt“. Am Ende steht ein institutionalisierter Dilettantismus, vor dem aus musikalischer Sicht dringend gewarnt werden muss, denn für einen qualitativen Umgang mit Musik reicht es nicht, wenn man sich ausschließlich einem „Wie schön“ hingibt: Praxis und Theorie bedingen einander. Und erst die umfassende theoretische Unterfütterung kann im Sinne einer bewussten Reflexionskompetenz die Musikpraxis qualitativ aufwerten. Die Kehrseite des oben genanntenVorgehens ist die Abwertung des Unterrichtsfaches als „weich“ und damit disponibel für Stundenkürzungen – ist damit die Infragestellung des Musikunterrichts nicht eine auch von der Musikpädagogik mit verursachte?

Institutioneller Dilettantismus

Vielleicht kommt man aber zum Kern der Sache erst, wenn man einen weiteren Aspekt mit einbezieht: das vielstimmige, auf Kongressen und in Artikeln vertretene Plädoyer, das „Lehrerhafte“ aus dem Unterricht zu entfernen – also als Lehrer Selbstverleugnung zu betreiben. Dabei ist es doch grundsätzlich durchaus nützlich, wenn Lehrkräfte mehr wissen und mehr können als Schüler. Sich auf dieselbe Ebene wie Schüler stellen zu wollen bedeutet, dass man nicht gewillt oder eben gar nicht erst in der Lage ist, von seiner Fachkompetenz Gebrauch zu machen. Oder andersherum: Wenn ich mich mit den Schülern auf eine Stufe stellen will, ist der Erwerb einer Fachkompetenz gar nicht erst notwendig. Mit dieser Herabstufung auf das Schülerniveau infantilisiert sich der Lehrer und erliegt damit der attraktiven Bequemlichkeit der Kompetenzvermeidung. Infantilisierung bedeutet hierbei auch, dass nicht mehr das Fach „Musik” im Vordergrund steht, sondern die subjektive Disposition des Hörers beziehungsweise Spielers. Daraus resultiert eine vollkommen hypertrophe Musizierpraxis, die sich letztlich ihrer Begründung verweigert.
Sich einer übersteigerten Gruppenmusizierpraxis zuzuwenden ist aber auch viel einfacher, da sie bei Denkfehlern folgenloser und weniger verifizierbar ist. Bleibt nämlich der Musikunterricht auf der Ebene eines oberflächlich-gefühligen Gruppenmusizierens eben jenseits einer „ansprechbaren Bewusstheit“ hängen, mutiert er zum Grundtopos der unreflektierten „Schüler-Rock-Band” (bzw. „Singen für alle” u.ä.): Buchstäblich jeder kann kommen und sich einbringen, sich verwirklichen. Jeder wird integriert, keiner wegen mangelnder Fähigkeiten diskriminiert und ausgegrenzt, da ja in den Kindern und Jugendlichen derlei Kenntnisse und Fähigkeiten bereits angelegt seien und sich nur noch zu entfalten bräuchten – ein Irrtum, dem eine zentrale Pädagogik­richtung seit Jahrzehnten anhängt. Da Musik ‚Spaß’ machen soll, scheint die Absicht einer als musikalisch bezeichneten Tätigkeit auszureichen – der Wille ist wohl entscheidend, nicht das Können.

Spaß ist kein Lehrfach

„Spaß“ als Positivfaktor steht außer Frage. Niemand fordert aber im Mathematik- oder Geschichtsunterricht primär „Spaß“. Anders im Fach Musik. Hier wird oft der „Spaß“ als zentrales Ziel genannt. Diese Abgrenzung, Gegenüberstellung und Abwertung des „weichen“, also unwichtigen Nebenfachs von den „harten“ Hauptfächern hat die zunehmenden Stundenkürzungen zur Folge. Prof. Dr. Hans Günther Bastian hat sich im Zusammenhang mit seiner Studie „Musik(erziehung) und ihre Wirkung“, bezogen auf mögliche Transferleistungen von Musik, vom „nichtintendierten Mehrwert“ des Musikunterrichtes gesprochen. Den Faktor „Spaß“ würde ich genau in diese Kategorie einordnen. Das bedeutet zugleich aber auch, dass „Spaß“ kein zentrales Unterrichtsziel sein kann: Vergnügen für sich genommen ist kein primäres Bildungsziel! Ansonsten würde sich Schule generell einer Disney-Event-„Kultur“ der Oberflächlichkeit ausliefern, die jeglicher inhaltlichen Orientierung entbehrt.
Musizierpraxis muss sein, aber mit einem hohen qualitativen sprich musikimmanenten „Anspruch“. Um diese Anspruchsforderung umzusetzen, scheint manchem Musikpädagogen das Handwerkszeug samt Anwendungserfahrung zu fehlen, darüber hinaus auch die Bereitschaft, dieses zu erwerben. Und wiederum die Kehrseite: Die Rollenverweigerung des Lehrers, verbunden mit der Weigerung, Kompetenz wahrzunehmen, bedeutet, den Schülern musikalischen Kompetenzerwerb zu verweigern – das Ziel eines solchen spaßorientierten Unterrichts wäre der im Musikunterricht musikalisch dumm gehaltene Schüler, dem Musik letztlich fremd bleiben soll, zumindest aber darf: die Herstellung musikalischer Unbewusstheit beziehungsweise Gedankenlosigkeit.

Stefan Lindemann
Der Autor ist freiberuflicher Musikpädagoge und Komponist sowie Mitglied im Vorstand des DTKV Bremen.
Teil 2 des Aufsatzes in der nmz 2-13

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