„Ich leide psychisch stark unter dem Fehlen unmittelbaren gemeinsamen Musizierens, der Unvorhersehbarkeit. Ich habe vor Corona überwiegend Kurse für Gruppen gegeben, Wochenendworkshops. Das geht momentan gar nicht mehr. Selbst wenn ich es plane und Räume miete, muss ich ständig mit Absagen rechnen, weil es wie jetzt verboten ist oder sich zu wenig Teilnehmer anmelden. Die meisten haben Angst. Das ausschließliche Unterrichten am Bildschirm führt zu körperlichen Beschwerden und Einsamkeit.
Da ich von Anfang an darum bemüht war, meine Verdienstausfälle durch Onlineangebote auszugleichen, habe ich so gut wie keine Unterstützungsgelder beantragen können, arbeite aber deutlich mehr als vor Corona, um das Einkommen stabil zu halten.“ Schlussanmerkung eines Teilnehmers der neuen Umfrage des DTKV Hessen. Der DTKV Hessen hat zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Umfrage unter Musikern in Hessen durchgeführt, um sich ein genaueres Bild von der aktuellen beruflichen Lage nach Ausbruch der Corona-Epidemie zu verschaffen. Erfreulich dabei war, dass die Beteilung diesmal etwas höher als bei der ersten Umfrage war und etwa 20 Prozent der Teilnehmer nicht aus den Reihen der hessischen Regionalverbände stammten. Der recht späte Termin für die Umfrage im November lag darin begründet, dass auch die aktuelle Entwicklung der Schülerzahlen berücksichtigt werden sollte. Nicht erfreulich waren dagegen die Ergebnisse dieser erneuten Umfrage: Die klassischen Konzertbuchungen sind fast komplett eingebrochen. Nachdem die Konzerte in diesem Jahr zum großen Teil abgesagt wurden, gibt es auch für die Zukunft kaum Aussichten auf Besserung. Die abgesagten Engagements wurden in der Regel nicht bezahlt. Nur 37 Prozent der Teilnehmer*innen haben Ausfallhonorare erhalten. An alternativen Konzertformate wie etwa bezahlte Online-Konzerte oder die in diesem Herbst entstandenen 1:1-Konzerte haben nur von 12 Prozent der Teilnehmer*innen der Umfrage teilgenommen.
Viele Kolleg*innen haben versucht ihr Instrumentalunterrichtsangebot während des kompletten Lockdowns im Frühjahr online aufrecht zu halten. Nach dem Lockdown sind viele jedoch wieder auf den Präsenzunterricht umgestiegen, da auch die SchülerInnen dies oft bevorzugen. Manche Kolleg*innen bieten inzwischen sowohl Online- als auch Präsenzunterricht an. Trotzdem ist die Schüleranzahl bei vielen Kolleg*innen rückläufig. „Durch Corona haben viele Menschen festgestellt: Das Leben geht auch ohne so viele Freizeitaktivitäten. Man bekommt mehr Zeit für sich zu Hause …“ Zitat aus den Schlussanmerkungen der Teilnehmer*innen. Die Hoffnung, dass viele Menschen den Wert einer sinngebenden musikalischen Ausbildung durch den Lockdown für sich entdecken mögen, scheint sich momentan jedenfalls nicht zu erfüllen.
Kolleg*innen, die ihr bisheriges Einkommen durch Workshops, Gruppenunterricht oder auch Chordirigate verdienten, haben in diesen Bereichen fast keine Einnahmen mehr erzielen können. Auch für die Zukunft scheinen hier die Prognosen sehr pessimistisch zu sein: Beim Gruppenunterricht scheitert es oft am Raumangebot. Viele Kolleg*innen klagen darüber, dass ihnen nicht genügend Räume zur Verfügung stehen, in denen ein Unterricht unter der Einhaltung der AHA-Regeln möglich ist. Und viele Chöre sind offenbar durch Corona in eine existenzielle Krise hineingeschlittert. Es ist zu befürchten, dass viele Chöre im nächsten Jahr aus finanziellen Gründen aufgeben werden und die dort beschäftigten Chorleiter dauerhaft ihre Beschäftigung verlieren. Insgesamt hat sich die Einkommenssituation der Musiker*innen in Hessen deutlich verschlechtert. Der Anteil am Haushaltseinkommen bei Vollverdienern hat sich von 46 auf nur 16 Prozent verringert. Auch die staatlichen Unterstützungen haben hier nicht helfen können. Viele Kolleg*innen sind hier durch das Raster gefallen. Lediglich die Corona-Soforthilfe macht mit 29 Prozent Inanspruchnahme einen nennenswerten Posten aus. Die in diesem Jahr verstärkt ausgeschütteten Stipendien sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Lediglich das Arbeitsstipendium der Hessischen Kulturstiftung wurde mit 41,67 Prozent der Teilnehmenden häufig genutzt. Viele Kolleg*innen gaben an, auf Unterstützung von Partnern, Familie und/oder Freunde angewiesen zu sein. Auf die eigenen Rücklagen für Krankheit und Alter haben viele Teilnehmer*innen zurückgreifen müssen. Über 60 Prozent der Befragten gaben an, nicht mehr genügend finanzielle Rücklagen für Krankheit und Alter zu haben. 11 Prozent der Teilnehmer*innen haben seit dem Ausbruch von Corona eine fachfremde Arbeit angenommen. Ein Teilnehmer berichtete in den Schlussbemerkungen gar, dass er sein Haus verkaufen musste, um seinen Lebensunterhalt weiter finanzieren zu können.
Die Aussichten für das kommende Jahr sehen viele Kolleg*innen als sehr kritisch an. 62 Prozent der Befragten gehen bestenfalls vom Halten des jetzigen (schlechten) Stands, tendenziell von einer Verschlechterung der Lage aus. 7 Prozent rechnen damit, ihre Tätigkeit als Musiker*in im kommenden Jahr aufgeben zu müssen. Wenn man dabei noch berücksichtigt, dass die Honorarentwicklung seit den 1990er-Jahren nicht mit den allgemeinen Preissteigerungen mitgegangen ist, zeichnet sich tatsächlich ein rabenschwarzes Bild ab. Ob die neuaufgelegten staatlichen Hilfen hier Verbesserung bringen werden, bleibt abzuwarten. Wichtig wären auch praktische Hilfen wie etwa bezahlbare Unterrichtsräume.