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Musik als Lebenselixier

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Die Komponistin, Pianistin und Klavierpädagogin Siegrid Ernst feierte ihren 85. Geburtstag
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Zwei Porträtkonzerte fanden im März dieses Jahres in Bremen aus Anlass des 85. Geburtstages von Siegrid Ernst statt. Konzerte, die gut 50 Jahre ihres kompositorischen Schaffens umrissen. Neben ihrer pädagogischen Tätigkeit an den Hochschulen in Heidelberg, Mannheim und Bremen sowie der Musikschule Bremen hat sie sich während ihres Studiums bei Gerhard Frommel, später durch Besuche bei den Darmstädter Ferienkursen und durch stets wache und neugierige Entdeckerlust intensiv mit verschiedenen kompositorischen Techniken auseinandergesetzt. Darüber hinaus galt ihr Interesse auch immer einer „Genderpolitik“, ganz lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab.

Ohne ihr Engagement würde es den Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik nicht geben, dem sie eineinhalb Jahrzehnte vorsaß. 1980 begleitete sie die Entstehung des „International Congress on Woman in Music“ in New York und richtete dieses Festival mit Konzerten und Vorträgen 1988 in Bremen aus.

Über diese großen Linien hinaus gilt ihr Wirken aber auch ganz beharrlich den kleinen Dingen, um gerade Komponistinnen verstärkt ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Und dass Mitte der 90er-Jahre Younghi Pagh-Paan als erste Frau in Deutschland eine Kompositionsprofessur an der Hochschule für Künste Bremen bekam, war sicherlich nicht zufällig. Bis heute ist Siegrid Ernst in Gremien und in Jurys aktiv und bereichert dort mit hellwachem Geist und jahrzehntelanger Erfahrung jede Sitzung.

Exemplarisch war das erste Gratulationskonzert in der Evangelischen Kirche in Bremen-Oberneuland mit dem Titel „Spuren im Weg“. Bei diesem Weg reichte der Bogen von Solo- über Kammermusikwerke von 1961 bis heute. Die „7 Miniaturen nach japanischen Haiku“ für Stimme, Violoncello und Klavier aus dem Jahr 1961 waren nach eigener Aussage der erste Versuch, sich dodekaphonische Kompositionstechniken anzueignen. Siegrid Ernst zeichnet sich auch dadurch aus, dass ihr jegliche Ideologismen fremd sind, weshalb sie diese Technik nicht im strengen Schönberg’schen Sinne benutzte, sondern ein wenig frei assoziierend den Texten anpasste. Kleine, sehr gestische Motive durchzogen diese Miniaturen, wobei der Ausdruck von poetisch zurückhaltend bis zur Dramatik ging, was zur Folge hat, dass diese Musik für den Hörer sehr gut nachvollziehbar ist. Sie stellte außerdem auch unter Beweis, dass man sogar musikalischen Humor zwölftönig darstellen konnte.

Die ursprünglich für pädagogische Zwecke 1963 geschriebene „Kleine Suite für Klavier“ reflektiert in ihren vier Sätzen Klanglichkeiten, die von Impressionisten, Strawinsky und Bartók geprägt sind; der rein klaviertechnische Aspekt wurde auch gewürdigt. Klangliche Aneignungen, die aber immer unter dem Primat des eigenen musikalischen Sprachgestus liegen.

Da ein Stück krankheitsbedingt entfallen musste, setzte sich Siegrid Ernst kurzerhand selber an den Flügel und spielte ihr Werk „Klangschatten“ aus dem Jahr 2004. Ihre langjährigen pianistischen Erfahrungen kamen ihr zugute – viele Jahre spielte sie mit ihrem Ehemann Konrad Meister im Klavierduo, vornehmlich zeitgenössische Musik – bei diesem Werk, das fein differenzierte Nachhallresonanzen unter Verwendung des dritten Pedals darbot.

Aus selbigem Jahr stammte das Werk „Para“ für Stimme, Flöte, Violoncello und Text. Die Stimme als Instrument, ohne Text, nur mit Lauten, die sich zuweilen faszinierend untrennbar mit den anderen Instrumenten in einander umschmeichelnden Cantilenen mischten. „Das Signal“, mit als Kommentar gesprochenen Texten von Rose Ausländer, für Sprecher und Orgel (2012), nahm mit sehr f lexiblen, die Texte subtil kommentierenden Melodiefragmenten ein. Die Ideologieferne von Siegrid Ernst wurde hier wieder hörbar – neben freitonalen und aleatorisch anmutenden Passagen wurden Melos und Rhythmus gleichwertig behandelt, was zusammen mit der großen Klangdifferenzierung der Orgel beeindruckte und die Texte aus der Sammlung „Im Atemhaus wohnen“ über die Sinnfindung im Leben vielschichtig unterstützte.

Ebenfalls für Orgel war „Gedenken“ aus dem Jahr 2013, eine Uraufführung. In Erinnerung an die 2013 verstorbene Kantorin und Dirigentin Elke Mascha Blankenburg gab es ein berührendes Stück absoluter Musik, das noch lange in den Ohren der großen Zuhörerschaft nachklang. Die Umsetzung der Werke lag mit Stefanie Golisch (Stimme und Gesang), Juliane Busse und Minako Schneegass (Klavier), Karsten Dehning- Busse (Violoncello), Christoph Riedlberger (Querflöte) und Katja Zerbst (Orgel) in allerbesten Händen. Dass die intensive Beschäftigung mit Musik oftmals als Lebenselixier bezeichnet wird und das Klavierspiel ein hervorragendes Gehirntraining ist, dafür könnte Siegrid Ernst als wandelndes Beispiel in ganz hervorragender Weise dienen.

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