Ausgerechnet ein Staatsbetrieb will einem Gesangverein per Vertrag vorschreiben, bei seinem Konzertauftritt nur GEMA-freie Werke vorzutragen. Die Nachricht löste Anfang August Empörung in den entsprechenden Musikfachverbänden aus. Aber im Handel und selbst bei Konzertveranstaltern ist es weit verbreitet, möglichst GEMAfreie Musik einzusetzen oder – unter der Hand – anzufragen.
Der Vertragsnehmer darf nur GEMA-freie Musikstücke vortragen. Eine Liste mit den Musikstücken ist (…) durch dem (sic) Vertragsnehmer vor Beginn der Veranstaltung auszuhändigen“, so der Wortlaut des Vertrags. Verfasser ist eine staatliche Verwaltungsbehörde, und gerade das mache den Fall „pikant“, so Enjott Schneider. Der Komponist und Münchener Hochschulprofessor ist Präsident des Deutschen Komponistenverbandes und seit 2012 Vorsitzender des GEMA-Aufsichtsrats. „Gerade ein Staatsbetrieb sollte sich eigentlich einem Kultur- und Bildungsauftrag verpflichtet fühlen und heimische Urheber – die nun mal meistens GEMA-Mitglieder sind – fördern.“
Oft ist Unwissenheit im Spiel
Im oben geschilderten Fall konnte der Betrieb schnell darüber aufgeklärt werden, dass es sich bei der GEMA nicht um eine Kultursteuer oder einen staatlichen Schutzzoll handelt, sondern um eine Lizenzgebühr, die zum größten Teil an Autoren und Verleger oder ihre Nachkommen geht.
Enjott Schneider kennt solche Fehleinschätzungen der 1903 unter anderem Namen gegründeten, staatlich legitimierten Verwertungsgesellschaft GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte), die als eine Art selbstverwaltete Genossenschaft Musikautoren und -verlegern deren Rechte vertritt. „Im gesellschaftlichen Bewusstsein fehlt leider das kulturelle Wissen, dass die GEMA keine ‚staatliches Finanzamt’ ist, sondern eine Selbstverwaltung kreativer Menschen“, deshalb müsse hier immer wieder Aufklärung geleistet werden.
Mit dem diffizilen System der Erfassungen von Wertnutzung (Inkasso) und Verteilung (Ausschüttung z.B. an die einzelnen Komponisten) steht die GEMA übrigens nicht allein, auch in 27 anderen europäischen Ländern gibt es solche Verwertungsgesellschaften, die stellvertretend die Rechte von Urhebern wahrnehmen, etwa die AKM in Österreich oder die SUISA in der Schweiz.
Musik zum Billigtarif
Wesentlich mehr Sorge bereitet dem GEMA-Aufsichtsratsvorsitzenden eine veränderte Einstellung zur Nutzung von Kunst, die mit der zunehmenden Digitalisierung einhergeht. Alles ist hier zum bloßen abstrakten, nicht mehr anfassbaren Datenfile geworden: Musik, Filme, Bücher, Fotos. Diese Entstoff lichung hat zu einer ausgeprägten Schnäppchen-Mentalität geführt, mit schwerwiegenden Folgen für Autoren und Verlage: Wo etwa bei „Aldi life Musik“ für 7,99 Euro im Monat über 30 Millionen Musiktitel und 10.000 Hörbücher abrufbar sind, die bei Bedarf auch heruntergeladen werden können, ist der einzelne Titel so gut wie nichts mehr wert. „Der Regelfall ist darüber hinaus ohnehin der, dass auf den werbefinanzierten Plattformen wie etwa Youtube und Facebook für Musiknutzungen überhaupt nichts bezahlt wird, – obwohl diese Betreiber dann über Werbefinanzierung milliardenschwere Profite einfahren.“
Die Wahrnehmung ist verrutscht, mahnt Enjott Schneider: Kulturschaffende studierten oft acht oder zehn Semester, um Schriftsteller, Schauspieler oder Musiker zu werden – nur um dann festzustellen, dass der Verdienst aus ihrer Arbeit nicht einmal für den eigenen Lebensunterhalt reiche, geschweige denn den einer künftigen Familie: „Hätte ich zum Beispiel Architektur studiert und vier Mietshäuser errichtet, könnte ich damit Geld verdienen und die Häuser später als Kapitalbringer vererben. Wenn ich aber als Komponist oder Musiker vier CDs produziere, sieht keiner ein, dass er für dieses ‚geistige Eigentum‘ extra bezahlen soll. CD-Nutzung soll gratis und gemeinfrei sein! Man setzt ja auch nicht voraus, dass nach dem Tod des Architekten alle mietfrei in den von ihm gebauten Häusern wohnen dürfen.“ Ihn als Präsidenten des Komponistenverbandes erreichen viele Hilferufe von Musikern, die wegen dieser „all for free“-Mentalität im freien Fall im Prekariat landen.
Einigung der Interessen
Hinzu kommen immer wieder rechtliche Kontroversen, wie in letzter Zeit mit der Google-Tochter YouTube wegen Vertragsbedingungen für bestimmte Videos oder mit Clubbesitzern und Discobetreibern wegen vereinheitlichter und damit gestiegener Lizenzgebühren. Selbst viele kreative Jugendliche oder künstlerisch Studierende, hat Schneider beobachtet, lehnen häufig die GEMA als vermeintlich staatliche Einrichtung ab – so lange, bis sie selbst ihre wirtschaftliche Zukunft planen müssen und erleben, dass eine Verwertungsgesellschaft etwas Tolles ist: „Kein Musiker ist in der Lage, all den Werknutzungen im Radio, Fernsehen, auf CD, DVD, im Konzertsaal etc. nachzugehen und die Verrechnung zu kontrollieren. Das macht zum Glück unsere GEMA!“.
Schneider sieht die Umwälzungen der Digitalzeit auch aus historischer Perspektive und vergleicht sie mit Einführung des Buchdrucks nach 1500, der ebenfalls den Zugang zu Wissen erleichterte, demokratisierte, die vormalige Bildungsdominanz der Klöster und der Kirche zurückdrängte. Der fortschrittliche Protestantismus und der Boom kritischen Denkens und neuer Naturwissenschaf ten kollidierte mit dem konservativen Katholizismus. Ganz Europa wurde gespalten und erlitt schlimmste Glaubenskriege, Massaker, Verbrennungen, Verwüstungen… bis hin zum Gemetzel des Dreißigjährigen Krieges, der erst 1648 ein Ende fand. „Ich hoffe nur, dass wir im Digitalzeitalter nicht auch 150 Jahre brauchen, bis es zu Toleranz, Fairness und dem Ende der unrechtmäßigen Räuberei kommt!“
Bezogen auf die GEMA heißt das: „Einerseits sollte sich bald die Einsicht durchsetzen, dass auch die kreative Leistung mit ihren nichtphysischen Arbeitsergebnissen (eben dem ‚geistigen Eigentum’) angemessen honoriert werden muss. Andererseits ist es natürlich unsere Aufgabe, den geeigneten Rechtsrahmen und simple Bezahlsysteme mit zu entwickeln. Statt des Unsinns, für jeden Klick auf einer Website eine Werknutzung einzeln zu bezahlen, brauchen wir intelligente und pragmatische (im unteren Bereich auch pauschalierende) Abrechnungssysteme: Dann kann die geniale Utopie eines digitalen Enzyklopädismus – Zugang zu jeglichem Kulturgut – konkrete Wirklichkeit werden!“
Denn die Digitalisierung hat unbedingt auch positive Aspekte, meint Enjott Schneider: „Transparenz ist das neue Stichwort. Alle Kriterien des Inkassos, der Verteilung und organisatorischer Prozesse sind digital niedergelegt und lassen eine Kontrolle nahezu auf Heller und Pfennig zu! Das ist auch das Gebot der Internationalisierung, denn gerade im Ausland wird nahezu argwöhnisch verfolgt, dass internationales Repertoire (z.B. die omnipräsenten angloamerikanischen Songs, Filme und TV-Serien) nicht benachteiligt wird.“
Der Artikel entstand auf der Grundlage eines Gesprächs mit Enjott Schneider. Weitere Informationen gibt es unter www.gema.de.