Wahrlich, wir Musiker und Musikschullehrer leben in anstrengenden und unsicheren Zeiten. Für mich war das immer eine Einheit: die selbstgelebte Praxis als Musiker und die Lehre – beides ergänzt und befruchtet sich gegenseitig. Nun gibt es aber seit einigen Jahren immer mehr die Tendenz, diese beiden Teilbereiche zu entflechten und damit zu trennen, was seit Jahrhunderten zusammengehört. Der jetzt tobende Konflikt um Festanstellungen und Honorartätigkeiten verstärkt diese künstlichen Trennlinien zusätzlich.
Musikschule weiter in der Dauerkrise
Damit mich niemand missversteht: ich gönne allen, die das wollen, von Herzen gutbezahlte Stellen und üppige Renten. Ich habe das erste immer verschmäht und das zweite logischerweise nicht bekommen, aber das war meine eigene Entscheidung! Die Situation jetzt, also das, was die Politik, die Gewerkschaft und die Rentenkasse gemeinsam unter der Losung der verbesserten Bezahlung und sozialen Absicherung der ach so armen freiberuflich dahinvegetierenden Musikschullehrer gerade unter dem Schlagwort „Herrenberg“ angezettelt haben, nimmt den Betroffenen die Möglichkeit der Entscheidung. Denn nach diesem Verständnis ist man entweder brav angestellt oder weg vom Musikschulfenster. So weit, so bekannt.
An dieser Stelle muss noch einmal ausdrücklich auf die Pressemitteilung des DTKV zur Erhaltung des dualen Systems vom 19. April 2024 verwiesen werden. Prof. Christian Höppner schreibt damals in dieser Erklärung: „Vor dem Hintergrund des Herrenbergurteils und des wachsenden Fachkräftemangels gilt es mehr denn je, das Duale System in der Musikausbildung mit festangestellten wie freiberuflichen Fachkräften zu verbessern und rechtssicher auszugestalten … Die Balance des Dualen Systems in der Musikausbildung ist die Voraussetzung für ein bedarfsgerechtes Angebot, weil nur im Miteinander von Festanstellung und Selbstständigkeit dem Fachkräftemangel wirkungsvoll begegnet werden kann. Weiterhin muss der Kriterienkatalog der Deutschen Rentenversicherung zur Abgrenzung von angestellter und freiberuflicher Tätigkeit entsprechend angepasst werden. Deshalb sollte der vermeintliche Negativkatalog zu einem Positivkatalog entwickelt werden, der es rechtssicher erlaubt, bei dessen Beachtung nicht an der Hürde der Scheinselbständigkeit zu scheitern. Dabei müssen auch branchenspezifische Gegebenheiten und Bedürfnisse mit beachtet werden“.
Am Krisentelefon ist Erstaunliches aus einer großen Kreismusikschule einer großen Brandenburger Stadt zu erfahren: Alle, so die Info, sind fest angestellt. Alle? Wirklich alle? Ja, auch der fast 80-jährige langjährige erfahrene Gitarrenlehrerkollege hat eine Festanstellung bekommen. Auch mein langjähriger Kollege aus einer großen sächsischen Stadt wurde mit 63 Jahren fest angestellt. Nach jahrzehntelanger ununterbrochener Tätigkeit an der gleichen Musikschule wurde er auf Probe bis Jahresende eingestellt mit der Erfahrungsgruppe 1: er wurde also nach 38 Jahren als Neuling in diesem Beruf eingestuft. Bei beiden Kollegen war das Hauptargument, dass ja dann ihre Renten steigen würden. Dieses Märchen wird oft und gern erzählt und sei hier ein für alle Mal entzaubert: Wenn die Rentenversicherung für einen Versicherten 9.000 Euro im Jahr einnimmt, bedeutet das einen Rentenpunkt zusätzlich.
Die Zahl ist gerundet, im Moment gilt eine krumme Summe um die 8.300 Euro. Aber Musiker können nicht so gut rechnen. Sonst hätten sie beruflich zur Sparkasse oder zum Finanzamt tendiert. Also 9.000 Euro, das sind 750 Euro pro Monat, geteilt durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind das 375 Euro für jede Partei. Diese Einzahlungen brächten dann einen Rentenpunkt, dessen Wert derzeit ungefähr bei 40 Euro liegt. Der festangestellte Musikschullehrer in Rente oder kurz vor der Rente zahlt also 375 Euro pro Monat ein, um 40 Euro mehr Rente zu bekommen. Er müsste also nach dem Beenden seiner Unterrichtstätigkeit noch 9 Jahre leben, um auf eine ausgeglichene Bilanz zu kommen und ab dem zehnten Jahr hat er dann wirklich 40 Euro mehr. Bei der derzeitigen Inflation, die vermutlich nie wieder runtergehen wird, ist das einfach nur ein Witz.
Das Telefon klingelt noch einmal und verkündet die folgende Zusatz-Info: Die Dozenten, die einmal im Jahr eine Weiterbildung oder einen kleinen Kurs machen, sie werden für die 2 bis 3 Stunden auch fest angestellt. Ach ja, und die Lehrer, die im Orchester der Stadt spielen, also die Streicher und vor allem fast alle Bläser, sie kriegen auch einen festen Vertrag, der aber weist Steuerklasse 6 aus, also 40 Prozent Abgaben. Fast alle haben abgelehnt und unterrichten jetzt privat weiter. Das Schulorchester ist Geschichte.
In zahlreichen Landkreisen im Osten
Deutschlands gibt es sowohl gute als schlechte Nachrichten. Denn die Festanstellungen sind für die Landkreise, die oftmals die Träger der Kreismusikschulen sind, mit erheblichen Kostensteigerungen verbunden. Man kann hier von kleinen bis mittleren sechsstelligen Beträgen ausgehen und diese Mehrkosten werden die Kreise erst einmal selbst tragen müssen. Künftig wird es mit Sicherheit deutlich höhere Gebühren geben. Kinder mit sozial schwächer gestellten Eltern lernen dann eben kein Instrument mehr. Musik wird zum Hobby für Bessergestellte.
Seit das Urteil gefällt wurde, steigt der Druck auf die Träger der Musikschulen. Und daher können viele Instrumental-Lehrer:innen aktuell ihren Schüler:innen auch nicht sagen, ob sie im Jahr 2025 noch an der Schule unterrichten werden.
Neben der am Anfang beschriebenen Entkoppelung zwischen Praxis und Lehre gibt es noch eine zweite gefährliche Entwicklung, die Entsolidarisierung. Denn die Gremien, Landesmusikräte, Gewerkschaft, Musikschulverbände und so weiter kämpfen fast ausschließlich nur um die „Rettung“ der öffentlichen Musikschulen. Viel schlimmer dran sind die freien Träger. Vereine oder private Einrichtungen, die sich nicht der Hoffnung hingeben können, irgendwie von der Kommune, vom Kreis oder vom Land gerettet zu werden, machen sich große Sorgen. Die Heizung ist zu bezahlen, der Strom, die Grundsteuer, die Straßenreinigung, und wenn noch Festanstellungen dazukommen, verdoppeln sich die Kosten für die Eltern. Das hätte zur Folge, dass die Schülerzahl enorm sinkt. In der Folge hat der Lehrer oder die Lehrerin dann eben keinen Nebenjob mehr und davon hätte die DRV nichts. Niemand hätte etwas davon. Und die Leidtragenden sind wie schon in der Pandemiezeit wieder mal die Kinder und die Jugendlichen.
Martin Behm, der Präsident des DTKV Brandenburg rackert unermüdlich, um Lösungen auch für private und kleine Vereinsmusikschulen zu finden. Er stellt fest: „Viele haben nur ein Ziel, flächendeckende Festanstellungen durchsetzen. Künstlerbedürfnisse - egal, private Musikschulen – egal! Wir haben mit Franziska Stoff, Generalsekretärin des LMR Berlin, gesprochen. Sie war sehr abweisend. Die Präsidentin des LMR Berlin, Frau Dunger-Löper, hat das Gespräch verweigert. Aber wir kämpfen weiter für die Möglichkeit, selbständig arbeiten zu können, wenn jemand das möchte. Das Vertrauen in den Rechtstaat verschwindet, weil die DRV rechtwidrig handelt, so ist es jedenfalls bei mir und bei vielen unserer Lehrkräfte.“ (Zitat aus einer privaten Mail an mich vom 6.9.2024).
Zum Schluss noch eine Frage in die Runde: In einer gemeinsamen Mail vom Landesmusikrat Berlin e.V., ver.di Berlin-Brandenburg, Berliner Musikschulbündnis e.V., Landeslehrervertretung der Berliner Musikschulen e.V., Landesmusikakademie Berlin, Unisono, Landeselternvertretung der Berliner Musikschulen, Dekan der Fakultät Musik der UdK Berlin, versendet von der Generalsekretärin Franziska Stoff stehen unter anderem folgende Sachverhalte:
- Viele Honorarkräfte haben Beauftragungen bis zum Ende des laufenden Schuljahres bekommen, z.T. jedoch versehen mit einer Klausel, die die Ergebnisse der weiteren Verhandlungen als Sonderkündigungsgrund festschreibt.
- Die Künstlersozialkasse-KSK hat inzwischen ebenfalls Prüfungen begonnen: ersten Lehrkräften wurde mitgeteilt, dass sie aufgrund der neuen Kriterien als abhängig beschäftigt gelten, auch wenn sie einen Honorarvertrag mit einer Musikschule haben. Das bedeutet, dass diese Lehrkräfte die Anteile der Sozialversicherungsbeiträge, die bislang die KSK übernommen hat, künftig selbst zahlen müssen.
- Andere Lehrkräften, deren Statusfeststellungsverfahren durch die DRV positiv beschieden wurde, also als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte eingestuft sind, haben die Kündigung ihres Rahmenvertrages erhalten.
Wer von den Leserinnen und Lesern der nmz hat eigene Erfahrungen zu einem oder zu allen dieser drei Punkte. Bitte teilen Sie diese uns mit, damit der DTKV vor dem Gipfeltreffen bei AM Heil einen möglichst großen Faktenüberblick über den Sachstand hat.
Antwort erbeten unter ThomasHeyngmx.de (ThomasHeyn[at]gmx[dot]de)
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