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Musizieren allein verbindet nicht

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Über die Schwierigkeit, die Interessen freischaffender Musiker*innen zu bündeln und zu vertreten (Teil 1)
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Wer nach einer professionellen Musikausbildung die Hochschule verlässt, hat sehr unterschiedliche Vorstellungen vom zukünftigen Berufsleben. Die Ziele und angestrebten Tätigkeitsfelder sind so divers wie die Ausbildungswege und Interessenschwerpunkte. Eines ist den fertig ausgebildeten Musiker*innen jedoch gemeinsam: Abgesehen vom Bereich der Schulmusik, in dem Absolvent*innen angesichts des chronischen Mangels an qualifizierten Lehrkräften zumeist eine Festanstellung erwarten können, müssen sie sich mehrheitlich auf eine Laufbahn als Freiberufler*innen einstellen. Einem kleinen Teil der Absolvent*innen gelingt es, feste Verträge in Ensembles oder an Lehrinstitutionen zu erhalten. Alle Übrigen, also die weitaus meisten professionell ausgebildeten Musiker*innen, sind künstlerisch und/oder pädagogisch in der freien Szene aktiv, wobei Patchwork-Existenzen mit mehreren, teils stark diversifizierten und nicht selten prekären Einkommensquellen vorherrschen.

Da Honorarkräfte und Soloselbstständige meist nicht kontinuierlich oder nur in Teilzeit mit Orchestern, Theatern oder Ausbildungsstätten zusammenarbeiten, werden sie weder durch Personalräte noch durch Gewerkschaften vertreten. Es wäre also naheliegend, wenn die Interessen dieser Berufsgruppe in eigenständigen Musikverbänden oder Standesvertretungen gebündelt würden.
Dies ist aber nicht die Regel: gemessen am Format und an der Bedeutung der freien Musikszene, zumal in Großstädten, ist nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil der freischaffenden Musi­ker*innen und Musikpä­dago­g*innen berufsständisch organisiert.

Dieser Zustand hat verschiedene Ursachen. Im Musikleben gibt es eine für Berufseinsteiger*innen nicht leicht zu überblickende Vielfalt an Interessenverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen. Oft wissen die Betreffenden aber kaum etwas über die bestehenden Möglichkeiten, sich zu vernetzen und gemeinsam mit Kolleg*innen Lobbyarbeit im Interesse der eigenen Berufsgruppe zu betreiben. Auch Vorbehalte gegenüber einem Engagement, das über die künstlerische Vervollkommnung hinaus geht und dieses möglicherweise negativ beein­flussen könnte, spielen eine Rolle: „Es gibt noch zu viele Kulturschaffende, die aus Angst, Arbeit zu verlieren, nicht ihre eigenen Rechte wahrnehmen“, berichtet die Kölner Cellistin Ella Rohwer, zweite Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands Pro Musik.

Hier liegt ein Versäumnis der Ausbildungsinstitutionen vor, die oft nicht in ausreichendem Maße auf die Berufspraxis als freischaffende*r Musiker*in vorbereiten. „Das starke Machtgefälle an den Hochschulen dient nicht der Emanzipation der Studierenden,“ kommentiert die Pianistin Heike Michaelis, Vorsitzende des Tonkünstlerverbands Hessen, diesen Zustand. „Ein stärkeres politisches Bewusstsein zu schaffen wäre Aufgabe der Verbände, aber auch schon der Hochschulen.“ Gerade in den rein künstlerisch ausgerichteten Musikstudiengängen werden Studierende mitunter belächelt, wenn sie sich hochschul- oder kulturpolitisch engagieren, oder es wird ihnen sogar durch Lehrkräfte von diesen Aktivitäten abgeraten. So kann sich ein kritischer Blick auf den Arbeitsmarkt und das Ausbildungssys­tem vielerorts kaum entwickeln.

Anders als in vielen anderen Berufsgruppen existiert für künstlerische Berufe keine Kammer als berufsständische Körperschaft mit hohem Repräsentationsgrad. So bleibt als Status quo eine stark zerklüftete Verbandslandschaft, deren Akteur*innen sich zum Teil durch widerstreitende Partikularinteressen gegenseitig blockieren. Von dem Ideal einer gebündelten Interessenvertretung, bei der einzelne Individuen auf die Realisierung gemeinsamer Zielsetzungen hinarbeiten und an einem Strang ziehen, ist die Musikszene so weit entfernt wie kaum eine andere Branche.

Was ist ein Berufsverband?

Unter den Verbänden und kulturpolitischen Organisationen des Musiklebens zeigen die Gewerkschaften, von denen mehrere auch Kunst- und Kulturschaffende vertreten, die größte öffentliche Präsenz. Die Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di vertritt nach eigenen Angaben 4.500 in Musikberufen tätige Personen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat Mitglieder unter den Lehrkräften an Musikschulen, allgemeinbildenden Schulen und Universitäten; die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) mit rund 12.800 Mitgliedern widmet sich der Interessenvertretung der in Tariforchestern angestellten Musiker*innen sowie zum Teil der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen. Gewerkschaften agieren als klassische Arbeitnehmervertretungen, die vom Anstellungsverhältnis als Standardfall ausgehen. Damit sind sie in der Regel nicht der erste Ansprechpartner für freischaffend Tätige, an deren Belangen sie sich naturgemäß nicht orientieren. Zwar sind sie berechtigt, Tarifverhandlungen zu führen; allerdings kommen bessere Bedingungen für Tarifbeschäftigte bestenfalls indirekt den Freischaffenden zu Gute.

Als Berufsverband formal und inhaltlich für freischaffende Musiker*innen zuständig ist der föderal organisierte Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV). Gemessen an seiner Mitgliederzahl von 9.300 Personen weist er jedoch eine verhältnismäßig geringe öffentliche Reichweite und politische Repräsentation auf. Trotz vielfältiger Kooperationen dominieren hier meist noch traditionelle Berufsbilder und Zielsetzungen sowie eine starke Orientierung am künstlerischen und pädagogischen Schaffen, die erst nach und nach durch ein aktiveres, stärker nach außen gerichtetes kulturpolitisches Agieren ergänzt wird. Pro Musik, ein im Jahr 2020 neu gegründeter Verband freier Musikschaffender, ist sowohl inhaltlich als auch musikalisch-stilistisch breit aufgestellt und betreibt für derzeit rund 500 Mitglieder eine effiziente und gut vernetzte kulturpolitische Lobbyarbeit.

Außerdem existieren weitere, zum Teil regional agierende Organisationen für bestimmte Musiksparten, beispielsweise die Vereinigung Alte Musik (VAM), die initiative neue musik Berlin (inm) und die Deutsche Jazzunion. Es gibt zudem Interessengemeinschaften für bestimmte Berufsgruppen, etwa die Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (bklm), die Initiative Freie Ensembles und Orchester (FREO) und die Bewegung „art but fair“, die sich für angemessene Entlohnung der Arbeit von Künstler*innen einsetzt. Fast alle genannten Verbände und Initiativen sind im Deutschen Musikrat (DMR) oder in den jeweils zuständigen Landesmusikräten zusammengeschlossen. Die Musikräte bieten als Dachorganisationen zwar Potential zur Vernetzung, leisten aber selbst keine tatsächliche Interessenvertretung für freischaffende Musiker*innen, die in ihnen nur mittelbar über andere Organisationen Mitglied sind. Mitunter fehlt in den Musikräten und ihren Strukturen der Kontakt zur Basis: „Viele Funktionär*innen haben nur bedingt Verständnis für die Situation freiberuflich Tätiger, weil sie selbst in finanziell abgesicherter Position sind“, be­obachtet Heike Michaelis.

Problem Ehrenamtlichkeit

Ein grundsätzliches Merkmal – und Problem – von Musikverbänden auf allen Ebenen ist die Ehrenamtlichkeit: Vereinsvorstände und Verbandsführungen agieren meist unentgeltlich und nebenamtlich. In manchen Organisationen existiert eine in Voll- oder Teilzeit angestellte Geschäftsführung, häufig werden aber auch Verwaltungs- und Buchhaltungsaufgaben ehrenamtlich geleistet.

„Eine Professionalisierung der Verbandsarbeit ist unabdingbar“, meint Heike Michaelis. „Um das zu erreichen, braucht es institutionelle Förderung und stärkeres finanzielles Engagement der Mitglieder.“ Im Zuge solcher Bestrebungen müssten Verbände öffentliche Mittel in Anspruch nehmen dürfen, um Geschäftsstellen einrichten zu können, die zumindest mit einer fest angestellten Arbeitskraft besetzt sind – und idealerweise mit einer weiteren Stelle für Öffentlichkeitsarbeit.

Ein weiteres Problem der stark diversifizierten Verbandslandschaft ist, dass zu wenige Daten über die vertretenen Mitglieder vorliegen. Informationen darüber, welche Personen mit welchen Ausbildungen, Einkommensquellen und Tätigkeitsschwerpunkten vertreten werden, und was diese von ihren Verbänden erwarten, stehen in der Regel nicht zur Verfügung.

Eine Tendenz scheint aber feststellbar zu sein: Es gelingt bisher nicht in ausreichendem Maße, potentielle jüngere Mitglieder, also Absolvent*innen und Studierende, zu akquirieren und die an Ausbildungsinstitutionen und in der freien Musikszene vorhandene kulturelle, ethnische und musikalisch-stilistische Vielfalt auch in den Musikverbänden abzubilden.

Die Fortsetzung folgt in der Ausgabe 6/2022; die Langversion des Artikels ist zuerst erschienen im
VAN Magazin: www.van-magazin.de/mag/musik-interessenvertretung

 

 

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