München. Die Maßnahmen und Reglementierungen zum Schutz der Gesundheit ziehen wirtschaftliche Folgen nach sich, die Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft, da sie vom Live-Publikum leben, hart treffen. Für Herbst und Winter 2021 prognostizierte die Kultur- und Veranstaltungsbranche eine Insolvenzwelle beziehungsweise die Aufgabe zahlreicher unternehmerischer und soloselbstständiger Tätigkeiten. Mit der Diskussion „Kultur in der Krise – Wie bewahren wir die Vielfalt der bayerischen Kultur- und Veranstaltungsbranche vor dem Point of no Return?“ diskutierten die Kulturmanagerin und jourfixe-Mitglied, Katrin Neoral und die freischaffende Sängerin Anamica Lindig mit Landespolitiker*innen und Kulturschaffenden am 28. September 2020 auf der Großen Bühne des Münchner Volkstheaters mit tatkräftiger Unterstützung der Kulturplattform jourfixe-muenchen e.V.. Der Einstieg war brisant. Die beiden Moderatorinnen ließen die fünf versammelten Mitglieder des Landtags in die Rolle unterschiedlicher Berufskreativer wechseln.
Auf der schwarzen Bühne gingen die Lichter aus, angestrahlt wurden nur noch die Moderatorinnen und Diskussionsteilnehmer*innen; die ausgedünnten Sitzplätze im Münchner Volkstheater machten fast Angst, als die Kulturmanagerin Katrin Neoral gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion den bayerischen CSU-Staatsminister Bernd Sibler mit der Frage „Was hätte der Kunstminister gemacht, wenn er freiberuflicher Jazzmusiker wäre, der vom Unterrichten und von Auftritten mit seiner Band leben würde?“ konfrontierte. Er kam ins Schleudern, stellte aber dennoch fest: „Es habe ihm „den Boden unter den Füßen weggezogen“, obwohl er den Sommer mit Freiluftkonzerten überbrücken konnte. Jetzt allerdings hätte er das Szenario verinnerlicht und sehe die hohen Infektionszahlen. Auch Rainer Ludwig von den Freien Wählern erlebte einen „echten Alptraum“ als Disco-Betreiber. Sanne Kurz von den Grünen sollte als Leiterin eines städtischen Theaters Rede und Antwort stehen, Volkmar Halbleib von der SPD versetzte sich in die Rolle eines bayerischen Großkonzertveranstalters und der frühere FDP-Kunstminister Dr. Wolfgang Heubisch fand sich in der Rolle eines Schwabinger Kabarettbühnenbesitzers absolut glaubhaft wieder. Es war ein absolut gelungener Einstieg und die Folge ergab eine hitzige Diskussion zwischen den elf Vertretern der Branche und den fünf versammelten Mitgliedern des bayerischen Landtags. Dem immens aufgebrachten Hausherrn und Intendanten des Volkstheaters Christian Stückl reichten die Einschätzungen der Landespolitiker*innen nicht. „Wenn das nur alles wäre!“ stellte er fest und beschrieb emotional aufgebracht diese Ausnahmesituation und was sie mit sich brachte. Er warf den Politikern ein „generelles Politikversagen“ vor und rief „Dann schmeißt mich halt raus!“ – „wenn ich auch noch ausrechnen soll, was es koste, wenn ich nicht spiele“. Dieter Semmelmann vom Veranstalter Semmel Concerts in Berlin musste in diesem Jahr bereits 1500 Veranstaltungen absagen oder auf 2021 verschieben und forderte ein Ende von Kapazitätsgrenzen mit einer klaren Ansage eines Datums. Für ihn ist es schlimm und emotional zu sehen, wie viele Leute verloren gehen, die über Jahre hinweg einen super Job gemacht haben und die uns danach vielleicht nie wieder zur Verfügung stehen werden. Am Beispiel der Salzburger Festspiele mit einer gut gelüfteten Halle und einer Mund-Nasen-Bedeckung für alle könnte man seiner Ansicht nach langfristig an eine 70-80-prozentige Auslastung denken, die für kommerzielle Anbieter wieder kostendeckend wäre.
Till Hofmann, Betreiber u.a. des Lustspielhauses und der Lach- und Schießgesellschaft München, brachte die sehr gute Idee ein, den vom Veranstaltungsverbot betroffenen Kreativschaffenden auf der Basis ihrer Steuererklärung der letzten drei Jahre eine Art Kurzarbeitergeld auszuzahlen, und erntete dafür erheblichen Beifall.
Mit dem Liedermacher und Kabarettisten Roland Hefter, dem Schauspieler und Regisseur sowie 1. Vorstand der Kulturplattform jourfixe-muenchen Sven Hussock und dem Vertreter des Tonkünstlerverbands Bayern Edmund Wächter ergriffen zuletzt die Künstler das Wort. Sie stellten die ausweglos erscheinende Lage vom Unterrichtsausfall, zum Auftrittsverbot, von der Corona-Soforthilfe zum mehrmals nachgebesserten Künstlerhilfsprogramm bis zur Grundsicherung dar und machten ihrer Frustration Luft. Die Auswertung der Corona-Umfrage der Tonkünstler München und des Tonkünstlerverbands Bayern zeigte eindeutige Ergebnisse: Es fehlte an Sofort-Maßnahmen, schnellen Überbrückungshilfen; wir landeten im Chaos von Förderungen, die mehrmals nachgebessert wurden und zu guter Letzt kam die Angst bei den Antragstellern: die Angst, eine der beantragten und erhaltenen Förderungen evtl. im nächsten Jahr wieder zurückzahlen zu müssen. Diese Angst nahm vielen den Mut, überhaupt zu beantragen. Ein Teil dieser Personen ging lieber gleich in die Grundsicherung. Soll das unser Ziel sein? Das kann nicht unser Ziel sein. Es müssen praxisnahe Lösungen für die Kreativschaffenden und für die Veranstaltungsbranche gefunden werden, schnelle Lösungen helfen uns nicht weiter. Eine gut durchdachte Einbindung in die Gestaltung einer Rückkehr zum Kulturleben – das ist das, was wir brauchen. Das Künstlerhilfsprogramm kann keine Erfolgsgeschichte aufweisen, pragmatische Lösungen für das Veranstaltungsleben fehlen. Nun heißt es aus der Staatsregierung, dass derzeit intensiv an Konzepten gearbeitet wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich sehe allerdings noch ein anderes Problem, welches bei dieser Veranstaltung kaum angesprochen wurde. Das Publikum hat Angst. Selbst die Bayerische Staatsoper und die Philharmonie, die derzeit als Pilotprojekt 500 Personen zulassen, bekommen die Säle nicht voll. Das sollte uns zu denken geben. Wir dürfen nicht nur an Großveranstaltungen denken, nein! Freie Ensembles, Bands, kleine Orchester und Formationen, Musikgruppen etc., Komponist*innen haben kein Einkommen. Mein Fazit aus dieser Veranstaltung ist: Haben Sie Mut und veranstalten Sie völlig neu, anders und kreativ. Gehen Sie in alternative Spielstätten, gehen Sie auch den Weg der persönlichen und individuellen Konzertformate. Vielleicht ergibt sich dadurch eine neue Chance, die wir aus dieser Krise mitnehmen können. Die Verunsicherung des Publikums ist groß, deshalb gehen wir in den Dreiklang mit der/dem Künstler*in, dem Veranstalter und dem Publikum und beginnen etwas Neues. Einer unserer Mitglieder teilte mir auf eine meiner letzten Rundmails zur Aussage des Kunstministers mit: „Er wäre NIEMALS Freiberufler geworden“, ihm fehlt der Mut zum Risiko. Unsere Mitglieder haben den Mut.