Mancher Zuhörer ließ seinen Blick im Raum schweifen. Rein stilistisch gesehen war jedoch kein Zusammenkommen zwischen dem filigran verschnörkelten Rokokosaal der Regierung von Schwaben und dem modernen Jazz, der Freitagabend dort gespielt wurde. Beides, der Rokoko und der Jazz, trafen sich allerdings in der Qualität: Das „Lars-Binder Quartett“ setzt sich aus exzellenten Mitgliedern zusammen und macht tolle Musik.
Vor allem Pianist Christoph Heckeler an Flügel und Korg-Piano, Bandneuling und Gitarrist Daniel Stelter, der schon mit Till Brönner und Jessica Gall musizierte, begeisterten mit ebenso atemberaubend virtuosen wie beredten und spannungsreichen Improvisationen über die sanft-modernen Kompositionen von Lars Binder, der ebenfalls faszinierend als Solist hervortrat. Der Schlagzeuger spielt im Cécile Verny Quartet und ist wie der hervorragende E-Bassist Markus Bodenseh Dozent an der Krumbacher Berufsfachschule für Musik. Auch der Pianist Stefan Kaller und Gitarrist Stefan Barcsay, beide Augsburger, arbeiten in Krumbach. Daher stammt der Kontakt, erklärte Barcsay. Der stellvertretende Vorsitzende des veranstaltenden Tonkünstlerverbandes Augsburg hatte die Idee zu den Jazzkonzerten des Verbandes im zweijährigen Turnus. „Richtig moderner Jazz und zeitgenössische Musik haben ja viele Parallelen“, sagte der Jazz-Fan. Die Überschneidungen reichen dabei von unkonventionellen Spielweisen bis zur Atonalität von Modern und Free Jazz. Auch die Minimal Music fand Zugang in den Jazz. Die fast unmerkliche Veränderung der wie hypnotisierenden Wiederholung in der Minimal Music lädt quasi zur Übernahme in den Jazz ein. Lars Binder verwendete die Minimal-Rotation für eine seiner Balladen, ihr beschwörender Puls verriet Einflüsse der afrikanischen Musik. Der harmonische und rhythmische Turnaround, im Barock eine vergleichsweise beliebte Form, war an diesem Abend ein prägendes Merkmal im Programm. „Pay Attention“ begann mit einem aufdringlichen Bass-Loop, der sich wiederholt in der ursprünglichen Form in Erinnerung brachte und permanent in raffinierten Varianten durchschimmerte. Dazu kamen Blues und Funk mit Sound und Beat der 70er unter kinderliedleichter Melodie. Den Einstieg machte Lars Binder am Schlagzeug, mit vielfarbigem, permanent rhythmischem Solo passend zum Konzertuntertitel „Modern Groove Jazz“, dem einzigen Solostück im Quartettprogramm. Das folgende Lullaby entfaltete einen beruhigenden Gezeitengang in seinem sanften Fluss, Interpunktionen fanden ihren musikalischen Wiederhall in der Band und in „First of October“ wurde jeder Klang-ebene-Wechsel mit Sog avisiert. Augenblicksschaffung und Arrangiertes hielten sich wunderbar die Waage, die Improvisationen passten genau zum Werkcharakter und Stil. Es war ein runder, niveauvoller Abend. Das Publikum applaudierte begeistert. Mit seiner Jazz-Nische ist der TKVA löblicher Vorreiter, denn Jazzkonzerte sind im Terminplan der bundesweiten Verbände noch selten zu finden.