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Nur was an der Basis geschieht, kommt oben an

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Friederike Haufe spricht über „Jugend musiziert“
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Der Wettbewerb „Jugend musiziert“, alljährlich auf Regional-, Landes- und Bundesebene ausgetragen, gehört zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Veranstaltungen für junge Musikerinnen und Musiker in Deutschland. Gesteuert wird der Wettbewerb vom Projektbeirat, einem Gremium von Fachleuten aus Musikpädagogik, Lehre und Kulturpolitik. Vertreten sind neben dem Deutschen Musikrat unter anderem die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), der Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. (BMCO), der Verband deutscher Musikschulen (VdM) und nicht zuletzt der Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV). Vor Kurzem wurde Ekkehard Hessenbruch als DTKV-Vertreter im Projektbeirat von Friederike Haufe abgelöst, Pianistin, Musikpädagogin und Musikercoach in Hamburg sowie ehemals DTKV-Ländersprecherin und Vorsitzende des Hamburger Landesverbandes (wir berichteten). Die nmz hat mit ihr über ihre Erfahrungen und Vorstellungen hinsichtlich des Wettbewerbs gesprochen.

neue musikzeitung: Frau Haufe, „Jugend musiziert“ wird seit 1963 in Deutschland ausgerichtet. Sie sind seit 20 Jahren als Pädagogin, Jurorin und seit einiger Zeit auch als Coach für Hamburg und Schleswig-Holstein mit dabei. Welche Entwicklung haben Sie in dieser Zeit beim Wettbewerb beobachtet?

Friederike Haufe: Ich kann sogar noch viel früher anfangen: Als ich vor 40 Jahren Teilnehmerin bei „Jugend musiziert“ war, galt noch das k.o.-Verfahren. Das heißt, es kam immer nur eine Person pro Altersgruppe weiter. Für mich hatte das zur Folge, dass ich jahrelang an derselben jungen Pianistin scheiterte, die den ersten Preis gewann und dann am Bundeswettbewerb teilnahm, egal wie gut ich spielte. Interessanterweise habe ich später erfahren, dass sie dann lieber Ärztin als Beruf wählte. „Jugend musiziert“ stellt also nicht automatisch die Vorbereitung auf ein späteres Musikstudium dar.

Heutzutage können wir als Jurorinnen und Juroren je nach unserer Einschätzung die Preise mehrfach verteilen. Das heißt aber nicht, dass der Wettbewerb für die Einzelnen einfacher geworden wäre; er ist nur wesentlich pädagogischer geworden.

Was den Anspruch angeht, waren die jungen Musikerinnen und Musiker auch schon vor 20 Jahren musikalisch und technisch sehr gut. Aber es tritt immer mehr das Prinzip höher, schneller, weiter in den Vordergrund, es werden also immer mehr und bessere Leistungen gezeigt, ähnlich wie im Sport. Manchmal frage ich mich, wo es noch hingehen soll, wenn schon die 13-Jährigen auf dem Klavier ganz selbstverständlich Liszt spielen. Daraus ergibt sich auch ein organisatorisches Problem: Der Bundeswettbewerb platzt mittlerweile aus allen Nähten.

nmz: Wie hat sich „Jugend musiziert“ in der Anmutung verändert?

Haufe: Auf Regionalebene ist der Wettbewerb meiner Wahrnehmung nach zu einem sehr schönen Musikfest geworden. Dort kommen auch die jüngeren Kinder zusammen, die noch nicht zum Landeswettbewerb weitergeleitet werden, aber schon sehr viel Spaß am Musikmachen haben. Auf der Landes- und der Bundesebene wird der Wettbewerb ebenfalls nicht mehr ausschließlich als Bewertungsverfahren wahrgenommen, sondern auch als Musikereignis. Und früher lag der Fokus vor allem auf der Solowertung, heute gibt es ein großes Spektrum an Kammermusikbesetzungen.

Einerseits sollen bei „Jugend musiziert“ also möglichst viele mitmachen und zusammen musizieren, auf der anderen Seite muss dieser sehr umfangreich gewordene Wettbewerb handhabbar bleiben. Darin sehe ich für die nächsten Jahre eine große Herausforderung.

nmz: Wie hat sich die stilistische Bandbreite der Vortragsstücke entwickelt?

Haufe: Ich finde es fantastisch, dass wir seit einiger Zeit auch Rock und Pop als Genres bei „Jugend musiziert“ haben. Selbst eingefleischte Klassiker in den Jurys freuen sich darüber, denn die Jugendlichen, die diese Stücke sehr anspruchsvoll vortragen, haben eine ganz andere Farbe in den Wettbewerb gebracht. Zudem wurden neue Instrumente aufgenommen wie die Ukulele oder die Baglama, ein türkisches Saiteninstrument.

Besonders wichtig finde ich aber die WESPE, weil sie zeigt, was an Repertoire möglich ist. Die WESPE ist das Wochenende der Sonderpreise für Bundespreisträger. Sonderpreise werden etwa für den Vortrag von Werken von Komponistinnen verliehen, von Literatur, die eigens für „Jugend musiziert“ geschrieben wurden oder – was mir besonders am Herzen liegt – von Werken verfemter Musik aus der Zeit des Nationalsozialismus, um nur einige der Sonderwertungen zu nennen. Dieser Termin, der im Herbst liegt, entzerrt den alljährlichen Wettbewerbsablauf.

Und als Wahrzeichen für den Weg, den „Jugend musiziert“ in den letzten Jahren eingeschlagen hat, sehe ich Jumu open, ein Format, das seit 2017 in das Programm der WESPE aufgenommen wurde und ab 2021 eine weitere Wettbewerbskategorie darstellt. Bei Jumu open hören wir, die Jurorinnen und Juroren, was die Jugendlichen uns mitzuteilen haben. Sie zeigen ihre Fähigkeiten mit Eigenkompositionen und Improvisationen oder mit interdisziplinären Konzepten, bei denen beispielsweise Sprache und Tanz mit einfließen können. Und das reizt die Jugendlichen, die sonst vor allem an der perfekten Beherrschung ihres Instruments feilen. Der Hochleistungsgedanke muss bei diesem Wettbewerb natürlich erhalten bleiben, aber er ist eben nicht alles.

nmz: Wie hat sich die Außenwirkung von „Jugend musiziert“ Ihrer Wahrnehmung nach verändert?

Haufe: Der Wettbewerb steckt zwar nicht mehr in so einer kleinen Nische wie einst, aber manchmal würde ich mir doch mehr öffentliche Beteiligung, mehr Publikum wünschen. Da kann man es schon schade finden, dass diese Veranstaltung nicht noch stärker beworben wird.

Aber auch im professionellen Musikleben muss das Interesse an klassischer Musik ja häufig erst geweckt werden. Zudem hängt die Außenwirkung, etwa eine Berichterstattung in der Presse, auch immer davon ab, wie sehr sich die jeweilige Stadtverwaltung für den Wettbewerb interessiert und beispielsweise einen Empfang ausrichtet, um ihre Wertschätzung für die ehrenamtliche Tätigkeit der hochqualifizierten Juroren zu zeigen. Das ist viel Arbeit für die administrativ Tätigen von „Jugend musiziert“.

Aber insgesamt sehe ich schon eine viel größere Außenwirkung als früher. Insbesondere das Bundesfamilienministerium unterstützt den Wettbewerb wesentlich stärker, weil man inzwischen weiß, wie positiv sich eine frühe musikalische Bildung auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Von daher bietet „Jugend musiziert“ auch eine großartige Möglichkeit, als frei zugängliches Musikfest junge Menschen zu erreichen.

nmz: Wie würden Sie selbst die Bedeutung des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ beschreiben?

Haufe: Das ist eine schwierige Frage. Einerseits ist „Jugend musiziert“ für das Musikleben sehr wichtig. Auf der anderen Seite macht es mir Sorgen, wenn die einen Jugendlichen immer besser spielen oder singen und es gleichzeitig sehr viele andere gibt, die kaum eine Chance haben, im Leben weiterzukommen. In einer Großstadt wie Hamburg sehe ich ja deutlich, was am Rand der Gesellschaft stattfindet. Daher ist so ein Wettbewerb an sich elitär.

Doch gerade mit Formaten wie WESPE oder Jumu open gelingt es „Jugend musiziert“, nicht völlig abgehoben zu werden, und darin sehe ich auch ein gesellschaftliches Potenzial. Denn mit der Erweiterung des Repertoires und musikalischen Entdeckungen durch die Teilnehmenden selbst trägt der Wettbewerb dazu bei, dass klassische Musik und anspruchsvolles Musikmachen nicht in die Spezialistenecke gedrängt werden und dass Deutschland Musikland bleibt.In einem Land wie etwa den USA dagegen nehme ich wahr, dass ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung sehr viel Geld für Konzert- oder Opernbesuche ausgibt, der große Rest dagegen hat kein Interesse an klassischer Musik, sie gilt dort nicht als systemrelevant.

nmz: Welche Beeinträchtigungen hat der Wettbewerb durch die aktuelle Pandemiesituation und die Verordnungen erlebt?

Haufe: Ernste Beeinträchtigungen. Die meisten Landeswettbewerbe mussten 2020 abgesagt werden. Ich habe das hautnah in Mecklenburg-Vorpommern erlebt: Zehn Tage vor dem Landeswettbewerb war nicht klar, ob er nicht vielleicht doch noch stattfinden kann. Die involvierten Erwachsenen waren hochgradig nervös, die Jugendlichen dagegen schienen die Situation mit Engelsgeduld zu ertragen, vermutlich, weil sie schon einiges von der Schule gewöhnt waren.

Was ich wirklich beeindruckend fand, war, wie „Jugend musiziert“ auf die Lage reagiert hat: Diejenigen, die zum Landeswettbewerb zugelassen worden wären und das entsprechende Repertoire hatten, wurden dieses Jahr ebenfalls zum WESPE-Wochenende nach Freiburg eingeladen oder zugelassen, und so war bei der WESPE ein viel breiteres Leistungsspektrum zu erleben.

Ich habe als Jurorin erlebt, wie dankbar die Jugendlichen dafür waren, dass wenigstens die Jury ihnen zuhören konnte, denn Publikum war aufgrund der – vorbildlichen – Hygieneregeln des Freiburger Instituts für Musikermedizin nicht zugelassen.

Und in Mecklenburg-Vorpommern gab der OSV Ostdeutsche Sparkassenverband das Geld, das er ursprünglich für den Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ bereitgestellte hatte, für eine andere kreativ ausgerichtete Musikveranstaltung frei. So gab es am 10. Oktober 2020 eine Sonderwertung Jugend musiziert im Rahmen des internationalen Wettbewerbs und Festivals „Verfemte Musik“ in Schwerin. Teilnehmen durften alle, die sich im Frühjahr für den Landeswettbewerb qualifiziert hatten. Die einzige Bedingung war, dass sie zusätzlich zu ihrem ursprünglichen Repertoire noch ein Werk der verfemten Musik vorbereiteten.

An dieser Veranstaltung habe ich bereits als Mitglied des Projektbeirats „Jugend musiziert“ teilgenommen. In dem großen Saal, in dem ich Juryvorsitzende war, war Publikum erlaubt. Die Kinder und Jugendlichen, aber auch ihre Eltern und Lehrkräfte waren begeistert, es herrschte eine festliche Stimmung, und viele hörten das ganze Programm von vormittags bis abends an. Ich fand es großartig, zu sehen, wie wichtig diese „Jugend musiziert“-Ausnahmeveranstaltung für alle Anwesenden war. Denn auch darum geht es: Corona muss uns alle kreativ machen.

nmz: Was hat Sie daran gereizt, Mitglied des Projektbeirats „Jugend musiziert“ zu werden?

Haufe: Es hat mich schon immer gereizt, Kreatives sinnvoll mitzugestalten, aber vor der ersten Sitzung im November will ich mir noch kein Bild von meiner persönlichen Mitwirkung machen. Es ist auch nicht leicht, in die Fußstapfen von Ekkehard Hessenbruch zu treten, der den DTKV wirklich beispielhaft im Projektbeirat vertreten hat. Ich persönlich bin vor allem auf das Team sehr gespannt: Im Projektbeirat geht es ja nicht um persönliche Profilierung, sondern um konstruktive Zusammenarbeit.

nmz: Was wollen Sie dann für DTKV im Projektbeirat umsetzen? Ihre Aussage war ja: „Ich werde hoffentlich für eine gebührende Aufmerksamkeit für uns freie Musikpädagog*innen zu sorgen wissen!“

Haufe: Als DTKV-Vorsitzende im Hamburger Verband habe ich durchsetzen können, dass alle Regionalausschüsse und der Landesausschuss von „Jugend musiziert“ mit DTKV-Vertreterinnen und -vertretern besetzt wurden. Weniger aus Gründen der Lobbyarbeit, sondern weil die freien Musiklehrkräfte eine Riesenarbeit im Musikunterricht leisten und deshalb in diesem Wettbewerb adäquat vertreten sein müssen. Die Anzahl der DTKV-Vertreter sollte proportional sein zu der der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sie zum Wettbewerb schicken.

In meiner Zeit als DTKV-Ländersprecherin hat Ekkehard Hessenbruch eben diese Linie auf Bundesebene sehr klar vertreten und stark propagiert, alle Regional- und Landesausschüsse angemessen mit DTKV-Mitgliedern zu besetzen. Ich selbst bin fest entschlossen, auch künftig die Basis zu vertreten, obwohl ich jetzt „da oben“ im Projektbeirat sitze. Als wir etwa gebeten wurden, Jurymitglieder für den Bundeswettbewerb vorzuschlagen, habe ich mir genau überlegt: Wen kenne ich, der oder die das Niveau für den Bundeswettbewerb hat, freiberuflich unterrichtet, DTKV-Mitglied ist und mit dem oder der ich schon gut in einer Jury zusammengearbeitet habe? Denn nur so kann es gehen: Nur was unten an der Basis tatsächlich geschieht, kommt oben an.

 

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