Zum dritten Mal, nach zwei großen Konzertabenden 2014 und 2015, veranstaltete die Berliner Komponistengruppe Atonale e.V. in Zusammenarbeit mit der Staatsoper Berlin einen großen Konzertabend Neuer Musik in der Werkstatt des Schiller Theater Berlin. Das am 11. und 12. Januar dieses Jahres präsentierte Programm stand ganz im Zeichen der im Entstehen begriffenen Gemeinschaftsoper „Ovartaci“.
Im Sinne von „work in progress“ wurden erste Szenen der Oper und des während der gemeinsamen Arbeit entstandene Seitenzyklus „Die Kriminellen der Frau A.“ nach Gemälden der Künstlerin Ina Abuschenko-Mawejewa vorgestellt. Die Schriftstellerin und Librettistin Tanja Langer, die sämtliche Texte des Abends verfasst hat, erzählt in den „Kriminellen der Frau A.“ von Mördern und ihrer Therapeutin und führt in den „Ovartaci-Szenen“ durch das Leben, Denken, Erfinden des dänischen Künstlers Ovartaci. Seine Phantasie, seine „Verrücktheit“ fasst sie in poetische Texte, die unbedingt singbar sind, die Freuden wie Leiden, Zerrissenheit wie hochfliegende Träume zum Klingen bringen. Zwölf Komponisten des Atonale e.V. waren damit eingeladen, aus unterschiedlichen Perspektiven die unterirdischen Schichten, Beweggründe, inneren Universen der in psychischem Ausnahmezustand befindlichen Menschen zu erkunden und fanden dabei in ihren deutlich unterschiedlichen Stilistiken durchweg überzeugende künstlerische Lösungen. Wenn etwa Samuel Tramin in der Arie vom Tigermann auf den Satz: „Was sich nicht erklären lässt, macht den Mensch zum Menschen“ plötzlich dem Klavier solo einen abstrakt filigranen Raum öffnet, der bis hin zum erneuten Einsatz des Gesangs sukzessive von der Gewalttätigkeit des attackierenden Mörders unterspült wird; oder wenn Rainer Rubbert in der Eröffnungsarie des Ovartci erlebbar macht, wie dieser von Stimmen befallen wird und seine Verzweiflung und sein Aufbegehren gegen die eindringende Psychose eindringlich musikalisch umsetzt; wenn Stefan Lienenkämper aus leisesten, in ihrer Obertonstruktur veränderten Klaviertönen und schabenden Steinen plötzlich einen zarten Schlafgesang sich erheben lässt: Selten gehen Sprache und Musik eine wirkliche Bindung ein wie hier, und das Überraschende ist, dass die Individualität der auf hohem Niveau arbeitenden Komponisten und Komponistinnen auf wundersame Weise zusammen funktioniert, dass Brüche und Zusammenhang sich gleichermaßen herstellen. Auf unterschiedlichste Weise nähern sich die Komponisten und Komponistinnen in ihren ganz eigenen Sprachen den abseitigen Gefühlswelten der Mörder oder den schizophrenen Seelenwelten Ovartacis: Irini Amargianaki lässt in ihrem eindrucksvollen, nur von Percussion begleiteten Baritonstück mit einer allmählichen Zersetzung der Sprache ihren Protagonisten in eine eigene, besessene Welt versinken, während sich Thomas Henning in seinem famosen Gegenstück in derselben Besetzung mit musikalisch interkulturellen Bezügen auf eine mythische Reise begibt. Wieder gänzlich andere, gefährdete, instabile Klangräume voller Intensität eröffneten die konzentriert-komplexen Stücke Gabriel Iraniys. Neben feinen, dichten, kammermusikalischen Szenen, zu denen auch Charlotte Seithers berührend-zartes, in vorsprachlichem Verschmelzen von Stimme und Instrument die wortgebundene Sprache unterschreitendes „Wanting to fly“ zählte, oder rein elektronisch gestalteten Musiken, wie Eres Holz’ „Der Gang des Psychiaters durch den Klinikflur/Transmigration“, reichte die Spannweite der Szenen von kraftvoll-derber Dramatik, wie in Helmut Zapfs „Entmannungssong“, bei dem das optionale Cello sich in Visualisierung des Inhalts zu ungewöhnlichen, extremen Spielpositionen hinreißen lässt, über die mit bewunderungswürdigem Charme und Leichtigkeit hereinschwingende, erotische, dabei aber jedem Kitsch widerstehende Liebesszene Susanne Stelzenbachs, der elektronisch unterstützten, opulent-sinnlichen Drogenrausch-Szene Martin Daskes bis hin zur amüsanten Komik der von einem im wahrsten Sinne des Wortes instrumentalisierten Fahrrad begleiteten Szene Mayako Kubos. Das Gelungene dieses zweimal ausverkauften, langen Konzertabends verdankt sich auch dem Interpretenensemble: Die Sänger Ramina Abdulla-zadé, Claudia Herr, Thorbjörn Björnsson, Manuel Nickert und Ulrike Brand, Violoncello, Alexandros Giovanos, Percussion, Martin Schneuing, Klavier, Martin Daske, Elektronik, bewältigten virtuos, farbig und voller lebendiger Spielfreude die ganze Bandbreite von klassischen Gesangs- beziehungsweise Spielweisen bis hin zu experimentellen zeitgenössischen Vokal- /Instrumentaleffekten. Ein spannender, kurzweiliger Abend, für den nicht zuletzt auch der Staatsoper Berlin in ihrem Engagement für neueste Musik zu danken ist und der höchst neugierig auf die komplette für Ende 2017/Anfang 2018 angekündigte Oper „Ovartaci“ macht.