Ende September 2015 veranstaltete der Bezirksverband Gelsenkirchen/ Marl ein Konzert im Klavierhaus van Bremen zu Dortmund mit Werken zeitgenössischer georgischer Komponisten. Es spielte der Pianist Rainer Maria Klaas. Dr. Moisei Boroda, Vorsitzender des DTKV Gelsenkirchen/ Marl, führte mit ihm ein Gespräch über georgische Musik und ihre Perspektiven im Westen.
neue musikzeitung: Herr Klaas, das Konzert am 28. September 2015 in Dortmund kann man mit Recht als etwas Besonderes in Darstellung georgischer Musik in Deutschland bezeichnen: zum ersten Mal wurde die Klaviermusik georgischer Komponisten in einer so breiten Gattungs- und Stilpalette dargeboten. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Sie in Ihren Konzerten georgische Musik spielen. Denken wir zum Beispiel an die georgischen Kulturabende in Herne und Datteln mit der Musik von Vazha Azarashvili oder an den Deutsch-Georgischen Musikabend „Brücke der Freundschaft“ in Mönchengladbach. An die Abende, die beträchtlichen Erfolg hatten, zu dem Sie durch Ihre ausgezeichnete interpretatorische Leistung entscheidend beigetragen haben. Bedeutet Ihnen die Musik georgischer Komponisten etwas Besonderes? Seit wann?
Rainer Maria Klaas: Nachdem ich Sie, Dr. Boroda, kennengelernt habe! Es ging mir im Laufe der Jahre verschiedentlich so, dass Freunde und Kollegen mich mit Komponisten und Werken gezielt bekannt gemacht haben und ich dann manchmal „Blut geleckt“ habe. Im Falle der georgischen Musik waren Sie es, der mich vor nunmehr fast zwanzig Jahren erstmals auf den Geschmack gebracht hat. Damals haben Sie, also der DTKVBezirksverband, dem Sie vorstanden, Vazha Azarashvili nach Herne eingeladen. Es sollten zwei Autorenabende mit seiner Musik stattfinden und Sie haben mich gefragt, ob ich bereit wäre seine Stücke einzustudieren. Ich nahm die Noten in die Hand – und die Musik hat mich sofort beeindruckt. Ich spielte und spiele diese Musik mit Freude. Sie ist einerseits modern, andererseits verliert sie nicht den Kontakt zum nationalen Boden – das ist hörbar, auch wenn man die georgische Volksmusik nicht kennt. Sie hat eine individuelle emotionale Note. Dann waren weitere Treffen mit seiner Musik, weitere Aufführungen – zum Beispiel an diesem von Ihnen initiierten und vom Lions- Club organisierten deutsch-georgischen Kulturabend in Datteln. Diese Begegnung mit der georgischen Musik machte mich neugierig – und da kam Ihre Anfrage, Dr. Boroda, ob ich Interesse hätte, Klaviermusik georgischer Komponisten in einem Festkonzert im Schloss Rheydt zu spielen. Ich sagte zu. Mehrere Musikstücke waren eher traditionell. Das jetzige Konzert in Dortmund war anders: In puncto „Modern“ sowie im puncto „Vielfalt“ war dieses Konzert eine Besonderheit. Mit Freude habe ich die Kompositionen unterschiedlicher Modernitätsgrade – von Vazha Azarashvili, Kakha Tsabadze, Elizbar Lomdaridze, Giorgi Shaverzashvili, Shavleg Shilakadze, Gija Kantscheli, Sulkhan Tsintsadze und Otar Taktakishvili gespielt.
nmz: Die Musik georgischer Komponisten war in der UdSSR sehr beliebt – ich erinnere mich an die große Begeisterung, mit der die Uraufführungen symphonischer Werke oder Kammermusikkompositionen georgischer Komponisten aufgenommen wurden. Im Westen dagegen wurde diese Musik bis zur Wende – also dem Krach des sowjetischen Reiches – viel weniger bekannt – mit einigen Ausnahmen. Weswegen?
Klaas: Zum einen muss man sagen, dass lange Zeit im Westen die gesamte Musik der Sowjetunion mehr oder weniger pauschal als „russisch“ aufgenommen wurde. Begriffe wie ukrainisch, armenisch, georgisch oder auch lettisch et cetera fielen allenfalls am Rande. Dann gab es natürlich eine Dominanz von Komponisten wie Prokofieff, Schostakowitsch, Chatschaturjan, vielleicht Denissow – aber auch Schtschedrin, weil der irgendwann nach München zog. Bedenkt man noch, dass die westliche Musik – nehmen Sie allein Deutschland oder Frankreich – ungeheuer reichhaltig durch die Jahrhunderte hinweg ist, dann hatte ein Nationalstil wie der georgische, zumal ohne spezielle „Public Relations“, kaum eine Chance, wahrgenommen zu werden. Gija Kantscheli, der seit 20 Jahren in Belgien lebt, bildet da eine gewisse Ausnahme. Das Anhängeschild „russisch“ beziehungsweise „sowjetisch“, das verschiedenen Kulturen der Sowjetvölker angehängt wurde, spielte in dieser Hinsicht eine verhängnisvolle Rolle. Nur in den letzten Jahren zeichnete sich eine Wende ab. Diese Wende zu unterstützen, georgische Musik zu popularisieren und andererseits die Werke zeitgenössischer westlicher Komponisten dem georgischen Publikum darzustellen, ist eine wichtige und gleichzeitig interessante Aufgabe. Kammermusikabende sollten da eine wichtige Rolle spielen.
nmz: Ihr Repertoire umfasst Werke von mehr als 600 Komponisten aus mehreren Jahrhunderten – kaum vorstellbar. Ist das die Neugier eines Pianisten, dessen technischer Horizont weit genug ist, um neue Werke im Nu konzertreif einzustudieren?
Klaas: So kann man es sagen – jedenfalls was die Neugier oder besser die Offenheit angeht, inklusive Sammeltätigkeit in Sachen Noten und Komponistenbiographien seit meiner Schulzeit. Es stimmt auch, dass ich recht schnell neue Werke lerne.
nmz: Sie sind bereits in den USA, Israel, Korea, China und anderen Ländern aufgetreten. Ändert sich jedes Mal Ihr Programm – sozusagen länderbezogen?
Klaas: Man macht sich vorher immer Gedanken, welches Programm in welchem Land gut ankommen mag, vor allem wenn man nicht nur Bach, Mozart, Beethoven und Chopin spielen will, die vielleicht inzwischen weltweit ähnlich gern gehört werden. Die Dosierung ist, wie so oft, entscheidend: ein wenig Musik des Gastlandes als Reverenz, ansonsten eine gute Mischung aus Bekanntem und weniger Bekanntem von Scarlatti bis Messiaen.
nmz: Mehrere georgische Pianisten sind bereits weltbekannt. Ich weiß von Ihnen, dass Sie Elisso Virsaladze zu den hervorragendsten Interpreten zählen. Was würden Sie über die jüngere Generation sagen – beispielsweise über Khatia Buniatishvili oder über das kleine, inzwischen 13-jährige Wunderkind David Khrikuli?
Klaas: Elisso Virsaladze ist sicher schon eine Art „Klassikerin“ in der älteren Pianistengeneration. Die beiden jüngeren Pianisten, die Sie nennen, habe ich nicht im Konzertsaal, sondern nur aus Aufnahmen, sozusagen per Konserve gehört. Da bin ich mit dem Urteil immer vorsichtig, weil mir der akute Umgang eines Musikers nicht nur mit der jeweiligen Komposition, sondern auch die akustische und gestische Vermittlung an das Publikum wichtig sind, vor allem die Modulation des Klanges in dem jeweiligen Saal und in der jeweiligen Akustik. Dazu gehören zu echtem Legato fähige Hände ebenso wie ein optimal eingesetztes rechtes Pedal – leider Tugenden, die ich in der jüngeren Pianistengeneration zu selten antreffe.
nmz: Zurück zum Konzert am 28. September: Ich habe mehrere begeisterte Echos gehört. Einige Zuhörer, die davor keine Ahnung von georgischer Musik hatten, verspürten plötzlich den Wunsch, diese Musik kennen zu lernen. Sie betonten dabei, dass Sie, Herr Klaas, vielleicht einen besonderen Hang zu dieser Musik haben. Stimmt das?
Klaas: Nachdem ich nun etwa ein Dutzend georgischer Komponisten kenne, kann ich sagen, dass ich diese Musik durchaus als wichtiges Spezialgebiet meiner Arbeit betrachte. Wie oft sich die Gelegenheit bietet, davon wieder einiges darzubieten, muss sich zeigen. Der „normale“ Hörer ist kaum in ein Konzert, das mit Azarashvili anfängt und mit Lomdaridze aufhört, zu ziehen – er ist eher an ein traditionell es Repertoir gewohnt. Das gilt übrigens ebenso, wenn ich ein Programm mit lebenden deutschen Komponisten spiele.
nmz: Würden Sie ein Konzert in Georgien geben, was wäre dafür Ihr Programm?
Klaas: Ich würde gern einige kurze Stücke zeitgenössischer georgischer Komponisten darbieten, ansonsten ist es sinnvoll, zeitgenössische deutsche Komponisten in Georgien vorzustellen, vielleicht insbesondere solche, die gewisse stilistische Berührungspunkte mit ihren georgischen Kollegen haben. Ich nenne mal schlagwortartig „Toccatenstil“, tänzerisch betonte Rhythmik und Mut zu einer echt empfundenen Melodik.