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Polnische Folklore, Emotionalität, erweiterte Tonalität

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Komponistenporträt Alexandre Tansman: Grenzwandler zwischen Alter und Neuer Welt
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Am Donnerstag, den 15. November 2012 um 20h setzte der DTKV Essen seine Reihe der Komponisten-Portraits mit einem Vortrag von Janina Zell über Alexandre Tansman fort.

Am Donnerstag, den 15. November 2012 um 20h setzte der DTKV Essen seine Reihe der Komponisten-Portraits mit einem Vortrag von Janina Zell über Alexandre Tansman fort.

Das Leben Tansmans wurde entscheidend von den historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts geprägt: Er erlebte beide Weltkriege und musste aufgrund seiner jüdischen Abstammung während des Zweiten Weltkrieges ins amerikanische Exil fliehen. Die Spuren der historischen Ereignisse zeichnen sich in seinem vielseitigen Schaffen ab.

Geboren wurde er 1897 im polnischen Łódź als Sohn einer jüdischen Großindustriellen-Familie. Seine Eltern legten auf Bildung großen Wert, sodass Tansman bereits als Kind fünf Sprachen beherrschte und seine musikalische Neigung früh gefördert wurde. Als Vierjähriger begann Tansman Klavier zu spielen und mit acht Jahren komponierte er seine ersten Werke. Tansman studierte zunächst am Konservatorium seiner Heimatstadt. Während des Ersten Weltkrieges schrieb er sich für Kompositionskurse in Warschau ein und nahm zusätzlich ein Jura- und Philosophiestudium auf, das er mit der Promotion abschloss. Seinen ersten großen Erfolg als Komponist hatte er mit 21 Jahren: Er gewann beim nationalen polnischen Musikwettbewerb die ersten drei Preise für seine Jugendwerke Romance für Violine und Klavier, und die beiden Klavierwerke Präludium in B-Dur und Impression. Sein Stil war inzwischen moderner geworden, was sich vor allem im Vorherrschen von polytonalen Strukturen zeigt. Obwohl Warschau weitgehend isoliert war von westlichen Musikeinflüssen, näherte sich Tansman instinktiv der westlichen Musik an. 1919 beschloss er, seine Heimat zu verlassen, um nach Paris zu gehen, wo er seinen zweiten großen Lebensabschnitt verbrachte.

In Paris angekommen musste Tansman sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Die hierarchielose Atmosphäre im Paris der Zwischenkriegszeit ermöglichte ihm jedoch einen ungewöhnlich schnellen Aufstieg. Er erlangte bald Bekanntheit im Umkreis von namhaften Komponisten wie Darius Milhaud und Maurice Ravel, der ihn mit Verlegern und Interpreten bekannt machte. Zwischen den beiden entstand eine enge Freundschaft und Tansman legte großen Wert auf Ravels Kritik. Ein weiterer Förderer und ebenso wie Ravel prägendes stilistisches Vorbild wurde Strawinsky. Tansman ließ sich zum einen von dessen repetitiven rhythmischen Strukturen beeinflussen, die durch Schichtung zu komplexer Polyrhythmik führten, zum anderen brachte Strawinsky ihn mit dem Neoklassizismus in Kontakt. In Tansmans Schaffen spiegelt sich dieser Einfluss in der Verbindung traditioneller Formen mit seiner eigenen Tonsprache wider, die durch polnische Folklore, Emotionalität und eine erweiterte Tonalität gekennzeichnet ist. Das wichtigste Element seiner Werke ist stets die Melodie, deren besondere Originalität zu seinem Markenzeichen wurde.

Frankreich wurde schnell zu Tansmans zweiter Heimat und er bewegte sich fortan gesellschaftlich wie musikalisch zwischen Polen und Frankreich. Seine Musik ist auf der einen Seite mit der romantischen Musiktradition seiner Heimat verknüpft, zugleich öffnete er sich früh der Moderne und nahm viele internationale Einflüsse auf. Gesellschaftlich zeigen sich seine „zwei Nationalitäten“ in seinen Mitgliedschaften von Künstlervereinigungen. So zählt er einerseits zu den Gründungsmitgliedern der Ècole de Paris und demonstrierte andererseits seine Verbundenheit zu Polen als Ehrenmitglied der Assocation des Jeunes Musiciens Polonais à Paris.

Bereits in den zwanziger Jahren feierte er seine ersten internationalen Erfolge. Entscheidend für seine Karriere war die Freundschaft zu dem Dirigenten Vladimir Golschmann. Golschmann setzte sich nachhaltig für ihn ein und brachte mehrere seiner Werke zur Uraufführung, darunter das Orchesterwerk La danse de la sorcière, das 1924 in Brüssel uraufgeführt wurde und seither zu seinen beliebtesten und meistgespielten Werken gehört. Neben seinen Orchesterwerken machte er sich mit polnischen Klavier- und Instrumentalminiaturen und seinen frühen Balletten einen Namen.

Im Winter 1927/28 unternahm er zusammen mit Ravel seine erste USA-Tournee und trat als Komponist, Dirigent und Pianist auf. Während seiner Reise freundete er sich mit Gershwin an, mit dem er einige Jazz-Konzerte in Harlem besuchte. Auf seiner folgenden Tournee traf er 1931 mit Prokofjew zusammen, der sich sehr für seine Werke interessierte. Das Reisen wurde zu Tansmans zweiter großer Leidenschaft neben der Musik. In den folgenden Jahren reiste er um die Welt: Er gab Konzerte in Europa, den USA, Kanada und Asien.

Mit Erstarken des Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren, begann Tansman sich kompositorisch mit seinen jüdischen Wurzeln auseinanderzusetzen. Es entstanden die Werke Chants hébraïques und Rapsodie hébraïque. Nachdem er wenige Jahre zuvor die französische Staatsangehörigkeit erworben hatte, musste Tansman 1940 Paris verlassen, um vor den Nazis zu fliehen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Ausreisegenehmigung und der Visabeschaffung gelang ihm, gemeinsam mit seiner Frau, der Pianistin Colette Cras und seinen beiden Töchtern Ende 1941 schließlich die Überfahrt nach New York. In den USA ließ Tansman sich in unmittelbarer Nachbarschaft Strawinskys, Schönbergs und Milhauds in Los Angeles nieder. Er freundete sich während der Exilzeit eng mit Strawinsky an und schuf ihm 1948 ein Andenken mit einer Biographie über ihn.

Tansmans Schaffen im Exil war zu großen Teilen pragmatisch ausgerichtet. Da Hollywood ihm die Gelegenheit bot, Filmmusik zu komponieren, nutze er diese finanziell sehr reizvolle Möglichkeit. Für seine Filmmusik zu Paris Underground war Tansman 1946 für den Oscar nominiert. Trotz der wirtschaftlich schlechten Lage, entschloss er sich mit Ende des Zweiten Weltkrieges nach Paris zurückzukehren, um Freunde wiederzusehen und Musik nach seinen Vorlieben komponieren zu können. Er setzte seine Konzerttätigkeit im In- und Ausland fort, konnte an seine früheren Erfolge jedoch nicht anknüpfen. Seine beliebtesten Kompositionen blieben die der Zwischenkriegszeit. Tansman selbst sah seine Meisterwerke allerdings in seinem Spätwerk, das eine intensive Beschäftigung mit seiner jüdischen Identität widerspiegelt. Wenngleich seine musikalische Sprache sich im Laufe der Jahre weiterentwickelte, blieb sein ästhetischer Standpunkt stets der gleiche.

In den sechziger Jahren kehrte Tansman erstmals nach dem zweiten Weltkrieg nach Polen zurück. Er nahm in den folgenden Jahren mehrmals am Tansman Festival teil und erhielt zahlreiche polnische Auszeichnungen. In seinem Todesjahr verlieh man ihm die Ehrendoktorwürde der Musikakademie in seiner Geburtsstadt Łódź und erhob ihn in Frankreich zum Commandeur des Arts et des Lettres. Er starb 1986 in Paris und hinterließ ein umfangreiches Opus – mehr als 300 Werke von Instrumentalmusik über Vokalmusik bis hin zu Bühnenmusik – das eine Entdeckungsreise wert ist.

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