Wie ist es denn tat- sächlich um den Diplom-Musikpädago- gen (DMP) bestellt? Wird auch hier auf hohem Niveau gejammert oder geht es tatsächlich um die nackte Existenz?
Letztens habe ich – es war gerade noch Ärztestreik – ein Interview im Radio verfolgt: ein Zahnarzt hat sich lautstark darüber beschwert, dass er im vergangenen Jahr lediglich 50.000 Euro Gewinn erzielt habe. Man könne ihm doch unmöglich zumuten, davon leben zu müssen. Er müsse davon schließlich auch noch seine Krankenkassenbeiträge bezahlen. Auch meine erwerbstätigen Musikschüler – darunter sind Berufe vertreten wie Richter, Vermögensberater, Fondberater oder Ingenieur – haben schon des Öfteren eine kritische Meinung zum eigenen Verdienst geäußert. Und hier wurde über Gehaltsvorstellungen von monatlich weit jenseits 5.000 Euro diskutiert. Man müsse dies im europäischen Vergleich sehen. Wie viel man also tatsächlich benötigt, um zufrieden davon leben zu können, scheint eine sehr subjektive Angelegenheit zu sein. Wie ist es denn tatsächlich um den Diplom-Musikpädagogen (DMP) bestellt? Wird auch hier auf hohem Niveau gejammert oder geht es tatsächlich um die nackte Existenz?
Der angestellte DMP an einer öffentlichen Musikschule in Thüringen wird in der Regel nach TVöD-Entgeltgruppe 9 bezahlt, in kleineren Städten auch nach E8. Voraussetzung: natürlich ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Allerdings ist TVöD E8 eigentlich die Bezahlung im öffentlichen Dienst für jene mit einer abgeschlossenen Lehre. E9-12 für solche mit einem Fachhochschulstudium. Hochschulabsolventen werden normalerweise in E13-15 eingruppiert. Der aufmerksame DMP wird hier stutzig und denkt sich, dass sich das anspruchsvolle Hochschulstudium an dieser Stelle anscheinend nicht wirklich auszahlt. Eine volle Stelle beinhaltet 30 Schulstunden Unterricht pro Woche, viele Musikschulen rechnen noch den Ferienüberhang dazu, also kein Unterricht in den Ferien, dafür aber bis zu 36 Wochenstunden Unterricht. Dazu kommen die Nebentätigkeiten: die Vorbereitung des Unterrichts, die Durchführung von Schülervorspielen und Konzerten, Orchesterfreizeiten oder Band-Camps, die Fahrt zu Wettbewerben, der Besuch von Lehrerkonferenzen, etcetera. Ein Blick über den Tellerrand: ein Kollege an der Berufsschule, der beispielsweise Instrumentalunterricht für zukünftige Erzieher erteilt, muss 24 Stunden pro Woche unterrichten. Und landet in der Regel in Besoldungsgruppe A12 oder A13. Auch der Musiklehrer am Gymnasium unterrichtet 24 Stunden in der Woche und ist in der Regel verbeamtet. Der Verdienstunterschied ist erheblich.
Kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit
An den öffentlichen Musikschulen arbeiten neben den Angestellten auch noch die sogenannten Honorarkräfte. Das sind – so der ursprüngliche Gedanke – diejenigen Lehrkräfte, die sogenannte Nischenfächer unterrichten. Also Instrumente, die in nicht ganz so großem Umfang unterrichtet werden, so zum Beispiel Harfe oder Fagott. Dazu muss keine feste Stelle eingerichtet werden, die wenigen Stunden könnte etwa der Kollege aus dem städtischen Orchester nebenher übernehmen. Er hat schon ein festes Einkommen und kann stundenweise nur für den Unterricht vorbeischauen. Die Nebentätigkeiten, abgesehen von der Unterrichtsvorbereitung, fallen für ihn weg. Ein kurzer Blick in die letzte Umfrage von ver.di unter Musiklehrern ergibt aber: Tatsächlich unterrichten Honorarkräfte nicht nur Nischenfächer, an vielen Musikschulen arbeiten inzwischen schon fast gar keine Festangestellten mehr. Aber wer kümmert sich denn dann um den ordnungsgemäßen Ablauf des Musikschulalltags, wer organisiert die Konzerte, macht die Stundenpläne, fährt mit den Schülern zu Wettbewerben? Hier kann ich aus eigener Erfahrung berichten: zum einen werden Honorarkräfte – und diese Feststellung wird den einen oder anderen selbständig Tätigen in der freien Wirtschaft in Erstaunen versetzen – tatsächlich schlechter bezahlt als ihre angestellten Kollegen. Obwohl sie wesentlich höhere Ausgaben, zum Beispiel für Versicherungen, haben. Laut ver.di müsste eine Honorarkraft, rechnet man die schon relativ schlechte Bezahlung bei einer Festanstellung in Honorarstunden um, in Thüringen bei 37,27 Euro pro Unterrichtsstunde liegen (mit Hochschulabschluss im 7. Berufsjahr). In Thüringen erhält man aber lediglich zwischen 11 und 19 Euro Honorar, das Durchschnittshonorar beträgt rund 16 Euro. Zum anderen werden Nebentätigkeiten, um den regulären Musikschulbetrieb überhaupt aufrecht erhalten zu können, oft unentgeltlich abverlangt oder müssen von den wenigen verbliebenen Angestellten alleine bewältigt werden. Im schlimmsten Fall bedeutet dies für den Freiberufler: bei 30 Unterrichtsstunden pro Woche – an mehreren Einrichtungen, (Stichwort: Scheinselbständigkeit) und somit einem Mehrfachen an Schülerkonzerten, Vorspielen, Lehrerkonferenzen, Musikschulveranstaltungen etcetera oder alternativ dem Unmut des Auftraggebers – und 11 Euro Stundensatz, abzüglich berufsbedingter Ausgaben für Versicherungen, Instrument, Noten, Fahrtkosten, und so weiter (ich rechne hier mit insgesamt 35 Prozent) ergibt dies ein Bruttoeinkommen von monatlich rund 700 Euro. Vorrausgesetzt man wird nie krank und kann alle 39 Wochen pro Schuljahr unterrichten. Davon gehen dann – wir erinnern uns an den empörten Zahnarzt – noch die Sozialversicherungsbeiträge ab. Dank Künstlersozialkasse nur rund 20 Prozent, also ergibt sich ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 560 Euro. Wird man durchschnittlich mit 16 Euro pro Stunde bezahlt, verdient man immerhin schon rund 810 Euro abzüglich Steuern. Die Zahlen sind zwar nur grob überschlagen, machen aber deutlich, dass es in Thüringen gar nicht so einfach ist, als Honorarkraft an öffentlichen Musikschulen die Armutsgrenze zu überschreiten.
Öffentliche Hand (zer-)stört Marktwert
Kein Problem, denkt der findige DMP, dann schaue ich mich eben auf dem freien Markt um. Kundschaft kann ja nicht so schwer zu finden sein, die Nachfrage für Gesangs- und Instrumentalunterricht ist schließlich so groß wie nie zuvor, die Wartelisten der Musikschulen werden immer länger. Ein adäquater Stundensatz ist sicherlich schnell gefunden: Ein Musiktherapeut beispielsweise hat in der Regel auch studiert und hat ähnlich hohe Ausgaben.
Nachfragen im Bekanntenkreis zeigen: Eine Musiktherapeutin in der Stadt nimmt 50 Euro für 30 Minuten Einzeltherapie und 60 Euro für 45 Minuten Dreier-Gruppentherapie. Meine Frau, ausgebildete Ergotherapeutin, bestätigt mir ähnlich hohe Abrechnungen ihrer Therapiestunden über die Krankenkassen. Natürlich weiß ich, dass die örtliche Musikschule wesentlich niedrigere Gebühren nimmt.
Der Unterschied zwischen subventionierter Gebühr und angemessenem Honorar (Tariflohn) wird bei Musikunterricht nicht verstanden. Aber das sind ja Gebühren, wie etwa für einen Personalausweis oder ein Nummernschild im Bürgerbüro. Die sollten nichts mit dem eigentlichen Verdienst des jeweiligen Sachbearbeiters zu tun haben. Ein Blick auf die Preislisten der hier ansässigen Privatmusikschulen zeigt aber: Die Preise dort sind den Gebühren der Öffentlichen recht ähnlich. Und das bei geringer bis gar keiner öffentlichen Förderung. Die Musiklehrer dort verdienen also noch weniger als Honorarkräfte an den öffentlichen Einrichtungen.
Nachfragen bei meinen Privatschülern ergaben: der Unterschied zwischen einer Gebühr und einem Honorar ist vielen egal. Dass die Wartezeiten auf einen Unterrichtsplatz an städtischen Musikschulen immer länger werden, auch. Sie finden meine neuen Preisvorstellungen unverschämt.
Die Musikpädagogik steckt also in einem Teufelskreis fest:
• Öffentliche Musikschulen werden subventioniert und spiegeln den Marktwert der Dienstleistung „Musikunterricht“ nicht in ihren Gebühren wider.
• Das drückt die Preise der freien Musikschulen.
• Was auch Privatlehrer zwingt, ihre Dienstleistung weit unter Marktwert anzubieten.
• Was den öffentlichen Musikschulen ermöglicht, diese Privatlehrer als Honorarkraft günstig einzukaufen.
• Was wiederum sehr günstige Musikschulgebühren ermöglicht.
Subvention nach Gießkannenprinzip ist ungerecht
Warum sind die Musikschulgebühren denn eigentlich so niedrig? Nachfragen bei Musikschulleitern ergibt: Musikschulen sind so günstig, damit sich möglichst viele den Unterricht leisten können. Wenn aber (fast) alle gleich wenig für den Unterricht bezahlen, ist das dann nicht ungerecht? Geringverdiener bezahlen ja dann einen wesentlich höheren Anteil ihres Einkommens für den Unterricht als Gutverdiener. Wieder ein Blick über den Tellerrand zeigt: für die Ausbildung an anderen Schulen, auch privaten Einrichtungen, kann für die Schüler BAföG beantragt werden, einkommensabhängig und somit gerechter.
Was würde denn passieren, wenn Musikschulgebühren das widerspiegeln würden, was Instrumentalunterricht auf dem freien Markt tatsächlich wert ist? Man könnte sich hier wieder am Therapeutenberuf orientieren, oder etwa an Fahrschulen (diese würden es bestimmt auch nicht lustig finden, würde die Stadt plötzlich öffentliche Einrichtungen einführen, an denen man den Führerschein zu „sozial verträglichen“ Preisen machen kann, zugänglich für alle, unabhängig vom Einkommen). Oder einfach schauen, was auf dem freien Markt möglich ist. Die Fördergelder könnten dann den einkommensschwachen Schülern beziehungsweise deren Eltern zufließen, damit sie sich den Unterricht nach wie vor leisten können. Wer sich den Unterricht gar nicht leisten kann, sollte auch nichts bezahlen müssen. Und wenn ich mich unter meinen Schülern so umschaue, so wirklich viele sind das gar nicht. Eigentlich gibt es auch gar keinen Grund, warum nur Schüler, die sich in öffentlichen Musikschulen anmelden, gefördert werden sollen. Ich habe zumindest nicht den Eindruck, dass sich bedürftige Schüler derzeit ausschließlich an öffentlichen Einrichtungen anmelden.
Lösung: Marktpreise für Gutverdiener, Staatsgeld für Bedürftige – anbieterneutral
Ich spinne meine Gedanken noch weiter: Was, wenn dies wirklich eingeführt würde? Die Gebühren spiegelten den Marktwert wider, trotzdem könnten sich durch die öffentliche Förderung aber immer noch alle den Unterricht leisten. Und das wäre theoretisch ohne höhere Subventionen möglich. Die freien Musikschulen und Privatlehrer könnten endlich marktübliche Preise für ihre Tätigkeit verlangen. Der Beruf des DMP würde in wirtschaftlicher Hinsicht gesunden. Natürlich bedeutet das nicht, dass sich alle so einen teuren Unterricht auch leisten wollen, beispielsweise weil es „nur ein Hobby“ ist: diese könnten sich an andere, günstigere Anbieter wenden, etwa Musikvereine oder ehemalige Musikschüler.
Klingt eigentlich verlockend. Wo ist der Haken? Nun, die Verteilung der Fördergelder ist ein Problem. Es wäre naheliegend, dies den BAföG-Ämtern zu überlassen. Viele förderungswürdige Schüler werden dort früher oder später sowieso einen Antrag stellen. Die Erhöhung der Gebühren wird man über einen sehr langen Zeitraum strecken müssen und die Aufklärungsarbeit, warum dies geschieht, wäre sehr umfangreich. Komplizierter wird es werden, kommunale Gelder und Förderungen von Land und Bund unter einen Hut zu bringen. Aber diese Probleme erscheinen mir nicht unlösbar. Und letztendlich würden diejenigen von dieser Regelung profitieren, um die es bei der Betrachtung eigentlich geht: Die bedürftigen Lehrer und deren bedürftige Schüler. Leider profitieren davon keine Richter, Vermögensberater, Fondberater oder Ingenieure. Und auch keine Zahnärzte, sollten sie sich Musikunterricht wünschen. Aber diese werden es verkraften, da bin ich mir sicher.