16 Jahre nach seiner Gründung fehlt dem Deutschen Komponistenarchiv in Dresden eine langfristig gesicherte Finanzierung und eine klare Zukunftsperspektive. Um den kompletten Stillstand abzuwenden, hat sich 2020 der „Verein der Freunde und Förderer des Deutschen Komponistenarchivs e. V.“ gegründet. Anfang 2021 konnte der Betrieb in stark eingeschränktem Umfang wieder aufgenommen werden.
2005 wurde das Deutsche Komponistenarchiv (DKA) auf Initiative von Prof. Harald Banter (Köln), Prof. Dr. Michael Karbaum (Salzburg) und dem damaligen, im Oktober 2021 verstorbenen Komponisten und Intendanten von HELLERAU - Europäischen Zentrums der Künste Prof. Udo Zimmermann (Dresden) mit Unterstützung der GEMA-Stiftung in Dresden-Hellerau gegründet. Es bewahrt Werksammlungen von 37 Komponistinnen und Komponisten auf und stellt diese kulturell bedeutenden Quellen der musikalischen Praxis, der Wissenschaft und den Medien zur Verfügung. Mit seiner Offenheit für alle musikalischen Genres ist es einzigartig in Deutschland. „Eintrittskarte“ für das DKA ist die ordentliche Mitgliedschaft in der GEMA. Von daher sind bloße Hobby-Komponist*innen ausgeschlossen. Die nachgewiesene öffentliche Resonanz, nicht aber persönliche stilistische Vorlieben einer Fachjury sind maßgeblich für die Entscheidung über die Aufnahme in das Archiv.
Die stilistische Breite des Bestands spiegelt die Vielfalt des Musikschaffens und der Musikkultur in der ehemaligen Bundesrepublik, der ehemaligen DDR und im vereinten Deutschland. In den Vor- und Nachlässen befindet sich avantgardistische Musik neben traditioneller Sinfonik, Film- und Werbemusik neben Oper, Operette und Musical, Klangkunst neben pädagogischer Musik, Chor- neben Computermusik. Zu den Komponisten, deren Sammlungen im Deutschen Komponistenarchiv liegen, zählen die Filmmusikschöpfer Hans-Martin Majewski, Rolf Alexander Wilhelm, Georg Haentzschel und Werner Eisbrenner, die Unterhaltungskünstler Berry Lipman, Helmut Zacharias, Gerd Natschinski und Birger Heymann (Musical „Linie 1“), Avantgardisten wie Ernest Sauter und Karl-Gottfried Brunotte und der Komponist und Cellovirtuose Enrico Mainardi. Der berühmteste Einzeltitel aus dem Archiv dürfte wohl „Lili Marleen“ von Norbert Schultze sein, der 1939 zum ersten deutschen Millionenseller wurde.
Außer handschriftlichen und gedruckten Noten befinden sich im Bestand auch Tonträger, Filme und Fotos, Plakate, Programmhefte und Zeitungskritiken sowie Korrespondenz mit Verlagen, Regisseuren, Intendanten und Musikerkollegen, Skizzen, GEMA-Meldungen und -Abrechnungen. Damit ist das Deutsche Komponistenarchiv nicht nur für Musikerinnen und Musiker eine Fundgrube, sondern auch für Forschende in den Bereichen Musikwissenschaft, jüngste Musikgeschichte, Musiksoziologie und -ökonomie.
Handwerkliche Fehler gehen aber bereits auf die Gründerväter zurück. In der Überzeugung, etwas Unverzichtbares geschaffen zu haben und im festen Glauben daran, auf Dauer verlässliche Verbündete in Dresden (HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste), bei der GEMA-Stiftung und anderswo bei sich zu wissen, wurde versäumt, vorausschauend zu agieren, frühzeitig weitere Partner ins Boot zu holen und langfristige Kooperationen oder auch eine Fusion anzustreben, wie z. B. mit der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB). Auch hielt man zu lange an der längst veralteten Bibliothekssoftware „Allegro C“ fest.
Dass die Arbeit vor Ort wenige Monate später pandemiebedingt ohnehin hätte temporär ruhen müssen, war damals noch nicht absehbar. Ein Protestbrief, den der Autor dieses Beitrags als stellvertretender Vorsitzender des DKA-Beirats an die Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) schrieb, blieb über neun Monate unbeantwortet, führte dann aber immerhin zu einem persönlichen Gespräch in ihrem Büro, das freilich keine Lösung für die verfahrene Situation aufzeigen konnte. Der Ehrlichkeit halber muss erwähnt werden, dass sich der damalige Geschäftsführer für sein Verhalten ein Jahr später - kurz vor seinem Ausscheiden - entschuldigt hat, im Wissen, dass HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste sich nicht einfach aus der Verantwortung für das DKA stehlen kann, auch wenn die jetzige Intendantin Carena Schlewitt keinen Platz mehr für das Archiv im aktuellen Hellerauer Profil sieht. Aber so einfach ist das nicht: Die Verträge, die die Landeshauptstadt Dresden mit den Komponist*innen bzw. Rechtsnachfolger*innen, die ihre Vor- bzw. Nachlässe dem DKA anvertraut haben, wurden regelmäßig vom Intendanten des Europäischen Zentrums unterzeichnet. HELLERAU steht also weiterhin in der Pflicht!