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Schmerz und Trost der Pietà

Untertitel
Gedanken des Komponisten Gisbert Näther zur Uraufführung seines „Stabat Mater“
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Mein erstes größeres geistliches Werk ist das Requiem zum Gedenken an die vielen Opfer des Bombenangriffs vom 14. April 1945. Anlässlich der Feierlichkeiten für „1.000 Jahre Potsdam“ wurde es am 14. April 1993 in der Friedenskirche unter der Leitung von Matthias Jacob uraufgeführt.

Nachdem ich in den letzten Jahren einige geistliche Kammermusikwerke in verschiedensten Besetzungen komponiert habe, ist das „Stabat Mater“ mein zweites großes geistliches Werk. Dieser Text, dessen Urheber unbekannt ist, diente schon unzähligen Künstlern, vor allem Malern und Komponisten als Inspiration.

So mancher Komponist hat sich mit diesem mittelalterlichen Schmerzensgedicht und dem Leid der Gottesmutter auseinandergesetzt und im Stil der Zeit vertont. Es ist interessant, wie die jeweiligen Stilepochen dem Schmerz musikalischen Ausdruck verliehen haben, wobei das Gefühl des Schmerzes an sich ja immer gleich ist. Aber beim Betrachten zum Beispiel der „Schmerzensmutter“ von Tizian und beim Hören der Werke von Dvorák und Pergolesi ist der Rezipient eher geneigt, die „Schönheit“ des Schmerzes zu genießen. Die Pietà hat einen starken symbolischen Charakter mit großer Aussagekraft.

Das Thema der Schmerzensmutter Maria ist trotz der Entfernung aus der Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zutiefst in der katholischen Kirche verankert, hat aber, nicht zuletzt und vielleicht sogar vorrangig durch die Werke der Komponisten, Eingang in die protestantische Kirche und ins kulturelle Leben insgesamt gefunden. Fast könnte man meinen, dass dieses Thema durch die Säkularisierung an Kraft verloren hat, denn die übertragene Thematik ist inzwischen Alltag. Man hat sich daran gewöhnt, dass täglich unzählige Kinder auf der Welt sterben, dass Menschen ertrinken, darunter auch Mütter mit Kindern.

Gegen diese Ungeheuerlichkeiten kann man sicherlich nicht „anschreiben oder -komponieren“. Aber mir gab es die nötige Motivation, mich ganz persönlich diesem allgemeingültigen Inhalt jenseits aller speziellen religiösen Gebundenheit zu stellen. Nun habe ich versucht, in einer freitonalen Tonsprache mit heutigen Ausdrucksmitteln auf den Text einzugehen und dem Zuhörer damit Wege der Assoziation zu ermöglichen. Die Art der Verknüpfung von Musik und Text hilft dem Zuhörer vielleicht bei der Erschließung der über weite Teile sparsam instrumentierten Musik.

Das Anfangsmotiv spielen die tiefen Streicher gekoppelt mit Blechbläserakkorden. Sie stehen für das große Leid Marias nach der Kreuzigung. Der vierte Teil, gesungen von Sopran und Bariton, ist musikalisch anders angelegt. Das tiefe Tal, welches bereitwillig durchritten wird, das tiefe Leid, welches man mit der „Gottesmutter“ teilt, öffnet das Tor zum Himmel – zu Gott. Orchestraler Höhepunkt ist „Gnade im Gericht“ im vorletzten Satz. Das Anfangsmotiv des ersten Teiles ist auch die Einleitung zum letzten Satz und bildet somit den musikalischen Rahmen für das gesamte Werk. Das Motiv wird im weiteren Verlauf vom Solo-Fagott übernommen und einen Takt später, noch bevor es endet, von der Flöte aufgegriffen, welche dieses Motiv „gen Himmel“ trägt. Das danach einsetzende geflüsterte „Amen“ vom Chor leitet die Schlusssequenz ein. Der Entstehungsprozess von den ersten Skizzen bis zur fertigen Partitur erstreckte sich über zwei Jahre. Ich habe diese Komposition der Potsdamer Singakademie und seinem Leiter Thomas Hennig in Dankbarkeit gewidmet.

Die Uraufführung fand am 14. November 2015 in der Potsdamer Erlöserkirche statt. Zugleich wurde das „Requiem“ von Gabriel Fauré aufgeführt. Das Projekt insgesamt trug den Namen „In Paradisum ...“ (Schmerz und Tod – Trost und Hoffnung). Es sangen der Sinfonische Chor der Singakademie Potsdam und der Berliner Lehrerchor, begleitet vom Neuen Kammerorchester Potsdam. Die Solisten waren Yvonne Friedli (Sopran), Haakon Schaub (Bariton) und Jakub Sawicki (Orgel). Die Gesamtleitung hatte Thomas Henning.

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