Diese Frage stellte die Pianistin Julia Goldstein im Rahmen ihres Workshops über das Üben am Klavier am 24. September 2022 im Münchner Steinwayhaus, der vom Tonkünstlerverband Bayern e.V. veranstaltet wurde.
Der Workshop „Üben am Klavier: Schnell oder Effektiv?“ thematisierte sowohl das eigene Üben am Instrument als auch das Unterrichten, beziehungsweise das Vermitteln einer klaren Übestruktur an Schülerinnen und Schüler. Die für alle Musikerinnen und Musiker relevante Grundfrage mobilisierte, der Kurs war mit über 20 Teilnehmenden ausgesprochen gut besucht, stieß auch im Gespräch auf rege Anteilnahme.
Aufgrund des großen Andrangs gestaltete sich der Vormittag größtenteils als allgemeiner Austausch über das Üben und Unterrichten. Zunächst trugen die Teilnehmenden zusammen, wie sie ihren Schülern ein Übesystem vermitteln würden. So unterschiedlich hier die Antworten ausfielen, kristallisierte sich doch einheitlich heraus, dass zunächst jede/r für sich ein System braucht, das es vorzuleben gilt, um es dann weitergeben zu können. Dies führte dann zur Frage, wie die Teilnehmenden selbst mit einem völlig neuen Notentext umgehen, was ebenso ganz gemischte Resultate hervorbrachte. Manche hören das Stück zunächst mehrfach durch, andere spielen es stattdessen vom Blatt, eine dritte Fraktion las als ersten Schritt die Partitur gründlich und studierte sie still – alle aber hatten ein gewisses Konzept parat, was Rückschluss gab auf die erste Frage, die nun in anderem Licht glänzte. Als für alle entscheidend stellte sich heraus, dass ein fixes Zeitmanagement unumgänglich ist.
Am Nachmittag stellte Julia Goldstein schließlich ihr eigenes Konzept vor, das sie anhand zweier Schüler in Unterrichtssituation präsentierte. Beide Schüler hatten zwei Unterrichtsblöcke von je 20 Minuten, zwischen denen sie das gerade Gelernte für sich rekapitulieren und weiterüben konnten. Das Modell mit mehreren Blöcken und eigener Übezeit dazwischen hob Frau Goldstein als besonders erfolgversprechend hervor. Die gezeigte Strategie des Übens basiert vor allem auf manueller Feinarbeit, eignet sich für professionelle Musikerinnen und Musiker sowie für ausgesprochen ambitionierte Schülerinnen und Schüler. Julia Goldstein betonte, dass das Modell mehr Zeit beanspruche als andere Weisen des Lernens, dafür aber durch besondere Vertiefung und Sensibilisierung jeder einzelnen Stimme wie auch der Metrik besondere Souveränität verheißt. Nach einer passiven Lernphase des reinen Hörens und Lesens der Musik sowie mehrfachem Spiel vom Blatt beginnt für sie der Hauptteil des Lernens, und zwar einhändig. Das einhändige Spiel nimmt mehr als die Hälfte der Zeit für Goldsteins Übesystem in Anspruch, was sie ausgiebig bei einem ihrer Schüler praktizierte: Er spielte einen Ausschnitt einer Beethoven-Sonate ausschließlich einhändig, musste dabei die kleinen Einheiten laut mitzählen, während ein Metronom die großen Takteinheiten mitspielte. Dies, so Goldstein, bezwecke die perfekte Beherrschung der Choreographie einer Hand, inwendiges Gefühl für Metrum und Losgelöstheit der einzelnen Stimme. Sie lässt die Hände übrigens einzeln auswendig lernen. Nach und nach wird so das Tempo gesteigert, Dynamik und Artikulation hingegen sind von Anfang an zu berücksichtigen. Die andere Schülerin von Julia Goldstein brillierte mit einer Liszt-Etüde, die im Prozess schon weit fortgeschritten war. Sie hatte sich dann um saubere Übergänge der Arpeggien zu kümmern, sollte kurze Ausschnitte in der „Warte-Technik“ spielen, also immer eine Note der Gruppe lange halten und den Rest schnell spielen, wobei am Ende jede der Noten einmal Warte-Note gewesen sein sollte. Allgemein seien Arpeggien und Tonleitern gesondert und mit Bedacht auf die Übergänge zu üben, da sie Hauptbestandteil aller Kompositionen seien. Nach einer erfolgreichen Übeeinheit durften die Schüler einen größeren Teil einmal durchspielen und so ihre Erfolge erkennen.