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Sechs Blicke zurück

Untertitel
Nachruf auf Rudolf Lukowksi, Siegfried Matthus, Gisbert Näther, Klaus Wüsthoff, Achim Müller-Weinberg, Günther Neubert
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Als Kind und als junger Mensch habe ich gegrinst, wenn meine Mutter jeden Tag als erstes die Todesanzeigen der Tageszeitung studierte und kommentierte. Es verschaffte ihr eine gewisse Befriedigung, dass sie schon die und den überlebt hatte. Mittlerweile bin ich alt und ertappe mich gelegentlich dabei, Todesanzeigen zu lesen. Nur verschafft mir diese Lektüre keine Befriedigung, denn die Namen, die ich lese, sind die Namen von Lehrern und Kollegen, mit denen ich seit Jahrzehnten bekannt und zum Teil befreundet war.

Ein wirklicher Schock war dann kurz vor Weihnachten die Lektüre der Ausgabe 4 der „com.position“, also des Info-Heftes des Deutschen Komponistenverbandes. Von den acht unter der Rubrik „In stillem Gedenken“ aufgeführten Namen kannte ich sechs persönlich und möchte über jeden ein paar erinnernde Sätze schreiben:

Der Berliner Chorkomponist Rudolf Lukowski, geboren 1926 war fit und aktiv fast ganz bis zuletzt. Wie alle Ostkomponisten hatte er die Abwicklung der Musikverlage, des Rundfunks, der Schallplattenfirma durchstehen müssen, konnte sich aber durch gute Kontakte zu zahlreichen Chorleitern immer wieder neu einbringen und seine Partituren aufgeführt hören. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mit über achtzig Jahren gut gelaunt über die Freitreppen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt Berlin lief und ein altes Volkslied mitsang, das ein Chor dort gerade für das Chorfestival probte. „Singen hält jung“ rief er mir lachend zu und war selbst der beste Beweis seiner These, denn er wurde 95 Jahre alt.

Siegfried Matthus, mein hochverehrter Lehrer an der Akademie der Künste Berlin, wurde 1934 geboren. Auch er erreichte ein biblisches Alter von 87 Jahren. Seit ich ihn kannte, sprang er jeden Tag in den Stolzenhagener See, den er glücklicherweise vor der Haustür hatte. Er war ein Inbegriff von Vitalität und Energie und nahm sich die Zeit, neben seinen zahlreichen erfolgreichen Opern und Konzerten wichtige Ämter in der GEMA und im Musikrat wahrzunehmen. Schon in den achtziger Jahren zeigte er mir in seiner Geburtsstadt Rheinsberg das damals noch als Krankenhaus fungierende Kavalierhaus der Schlossanlage und sagte verträumt: „Hier wird mal ein Theater stehen“. Diese kühne Vision wurde tatsächlich wahr.

Achim Müller-Weinberg aus Reichenbach war Jahrgang 1933. Nach der Wende als der DDR-Komponistenverband zerfiel, trafen wir uns oft auf Sitzungen. Müller-Weinberg war der erste Landesvorsitzende des Thüringer Komponistenverband und versuchte ununterbrochen, Gelder zu beschaffen , um kleine und mittlere Konzertreihen durchführen zu können und damit den Komponistenkollegen die Möglichkeit zu geben, ihre Werke aufgeführt zu sehen.

Der Potsdamer Komponist und Hornist Gisbert Näther ist im Alter von nur 72 Jahren überraschend gestorben. Er war ein loyaler Kollege, sehr aktiv im Landesverband Brandenburg und immer ansprechbar, wenn es um neue Werke, Veranstaltungen und Aufführungen ging. Näther war ein sehr aktiver Musiker, sowohl als Komponist als auch als Hornist. Der im Oberlausitzer Ebersbach als Sohn eines Bäckers geborene Gisbert Näther begann schon als Kind zu komponieren. An der Musikhochschule Carl Maria von Weber in Dresden studierte er die Fächer Horn und Komposition. Nach einigen Jahren bei der Jenaer Philharmonie wechselte er 1977 nach Potsdam zum Orchester des Hans-Otto-Theaters und ab 1981 zum Defa-Sinfonieorchester, dem späteren Deutschen Filmorchester. Näther brachte seine Kraft und seine Ideen auch im brandenburgischen Komponistenverband und beim Verein Musikalisch-literarische Soireen ein.

Den immer aktiven und optimistischen Klaus Wüsthoff lernte ich im Berliner Komponistenverband kennen. Man hatte darum gebeten, dass einige Komponisten etwas aus ihren Werken spielen. Komponisten hassen das: den Kollegen etwas vorspielen müssen, das ist das schlimmste, was es gibt. Denn Komponisten sind immer und in jeder Situation  Einzelkämpfer, aber auch immer Konkurrenten. Klaus Wüsthoff focht dergleichen nicht an: Er setzte sich ans Klavier und sang eine klug gebaute Kabarettnummer, der man anhörte, dass sie mit der richtigen Gesangssolistin und einem großen Orchester auch ein Welterfolg hätte werden können. Überhaupt waren ihm viele Bedenklichkeiten zwischen den Lagern E und U, zwischen Genres und all den anderen Zwängen, denen Komponisten ausgesetzt sind, völlig fremd und auch egal. Ob Sinfonieorchester oder Werbe-Jingle, er konnte alles und er machte alles.

Günther Neubert kam Mitte der siebziger Jahre in Leipzig an. Wir trafen uns meist zu Konzerten mit Neuer Musik oder im Komponistenverband. Immer trat er auf als gebildete, offene und sehr kollegiale Persönlichkeit, die mit Meinungen nicht hinter dem Berg hielt und auch politisch erstaunlich frei argumentierte.

Nach der Wende verloren wir uns aus den Augen. Neubert gründete in Leipzig den „Sächsischen Musikbund“, weil er weder dem alten noch dem neuen Komponistenverband so recht über den Weg traute.
Dieser Musikbund existiert heute noch als deutschlandweit einmalige Sonderlösung. Neubert komponierte bis zum Schluss, mischte sich ein, meldete sich zu Wort, schrieb Briefe. Mein Komponistenkollege Thomas Buchholz erzählte mir vor einiger Zeit, dass Neubert noch ein  Buch herausbringen wollte, nämlich „Briefe an die Mächtigen“. Es muss davon sehr viele geben aus 60 Jahren sächsischer Musikgeschichte, und ich würde das Buch sehr gerne lesen.

Ich schreibe diesen ziemlich subjektiven Rückblick aber auch noch aus einem anderen Grund: Komponisten leben weiter in ihren Noten, in Partituren und anderen Aufbewahrungsmedien. Und diese Partituren müssen auffindbar sein und weitergegeben werden können, denn nur ein Bruchteil der geschriebenen Werke ist gedruckt. Deshalb unterstütze ich seit Jahren das Deutsche Komponistenarchiv und hoffe, dass sich vielleicht noch einige Mitmenschen finden, die das in Zukunft ebenfalls tun.      

 

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