Am 7. und 8. Juli findet in Hamburg der G20-Gipfel statt, das Treffen der führenden 20 Industrie- und Schwellenländer. Kanzlerin Angela Merkel wird deren Staats- und Regierungschefs treffen, darunter US-Präsident Trump, den russischen Staatschef Putin und den türkischen Präsidenten Erdogan. Zum Programm des G20-Gipfels in der im Januar eröffneten Elbphilharmonie ist auch ein Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter Leitung von Kent Nagano am 7. Juli geplant.
Daraufhin meldete Ende Mai Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und bis 2016 Hauptpastor an St. Nikolai in Hamburg, in der ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ Bedenken an: Die Elbphilharmonie habe Besseres verdient, als „zu einer Glitzerbühne für die Mächtigen der Welt“ zu werden, insbesondere dann, „wenn sich unter diesen Mächtigen einige hoch problematische Autokraten befinden“. Die Künstler würden auf diese Weise zu Dienern von Großpolitikern. Sie sollten sich daher zumindest in ihrer Programmauswahl zu den Werten von Freiheit und Demokratie bekennen, etwa Werke politisch verfolgter Komponisten aufführen.
„Falsch!“ entgegnete daraufhin in seinem Gastbeitrag – ebenfalls in „Christ und Welt“ – DTKV-Präsident Cornelius Hauptmann. Kunst und Musik stünden über „unausgegorenen emotionalen und politischen Befindlichkeiten“. Ines Stricker hat mit Cornelius Hauptmann darüber gesprochen, welche Haltung zum gesellschaftlichen und politischen Geschehen ausübende Künstler einnehmen können.
neue musikzeitung: Was an dem Artikel „So klingt das Gegenteil von Freiheit“ von Johann Hinrich Claussen hat Sie zu Ihrer Gegenstellungnahme „Hier geigen wir!“ bewogen?
Cornelius Hauptmann: Mich stört, dass wir Musiker beteiligt sein sollen an Entscheidungen über Musik für Menschen, die uns entweder genehm sind oder nicht, je nachdem, in welchem Maß sie sich politisch korrekt verhalten. Solche Entscheidungen sollten Musiker nicht treffen. Das ist, als müsste ein Hotelmanager entscheiden, welche Gäste wo essen dürfen, ob im Salon oder im Hinterzimmer. Die Elbphilharmonie ist natürlich ein Stück Glitzerwelt, aber ihr Glanz repräsentiert unser Land und unsere Kulturvielfalt; er dient nicht den Damen und Herren, die sich vielleicht gar nicht für das Musikprogramm interessieren.
nmz: Ist es denn gleichgültig, welche Musik bei einem politisch und gesellschaftspolitisch so aufgeladenen Anlass aufgeführt wird? Johann Hinrich Claussen hat dafür ja etwa Werke von Schostakowitsch empfohlen, einem Komponisten, der unter Stalin zu leiden hatte.
Hauptmann: Wenn die Musik mit dem erhobenen Zeigefinger präsentiert wird, finde ich das unangemessen. Außerdem hatten schon vor Schostakowitsch viele Musiker Probleme mit ihren Auftraggebern, etwa Königen oder Fürsten, im Fall von Mozart war es der Erzbischof von Salzburg. Es gab immer Machthaber, die eine bestimmte Art von Musik ablehnten. Ich finde, wenn wir in Deutschland mit Musik eine politische Botschaft aussenden wollen, sollte es eine Friedensbotschaft sein. Wir sollten nicht signalisieren „Du bekommst jetzt nur Trotzmusik zu hören“.
nmz: Was ist für Sie „Trotzmusik“?
Hauptmann: Das ist für mich als Beispiel von früher „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ von Franz Josef Degenhardt. Ich selbst habe in den 70er-Jahren in einer Rockgruppe mitgemacht, da gab es Texte gegen Konsum und Benachteiligung bestimmter Gruppen – und längst nicht alle Probleme sind heute gelöst.
nmz: Hat klassische Musik überhaupt eine Aussagekraft in Bezug auf gesellschaftliche Themen?
Hauptmann: Es gibt natürlich schon gesellschaftliche Aussagen, etwa in Mozarts „Zauberflöte“. Hier ist vom Menschsein an sich die Rede. Und wenn Osmin in der „Entführung aus dem Serail“ Blonde weismachen will, dass sie seine Sklavin sei, lacht sie ihn aus. Oder sein Herr, Bassa Selim, erkennt, dass man nicht alle Menschen durch Wohltaten für sich gewinnen kann. Da stehen nicht Krieg und Kampf im Mittelpunkt, sondern der Umgang mit emotional belastenden Situationen.
Aber bei der Musik in der Elbphilharmonie geht es, glaube ich, auch weniger um die Politiker im Saal, sondern vor allem um die Menschen an den Bildschirmen. Das werden meiner Einschätzung nach einige Millionen sein, und an die richtet sich diese Botschaft eines friedlichen Zusammenseins.
Musiker können einen gemeinsamen Klang, eine Harmonie schaffen, vielleicht schafft das die Politik ja auch; diese Botschaft sehe ich schon dahinter. Ob alle Politiker das so verstehen, weiß ich nicht. Wen es nicht interessiert, der schaut dann eben in die Luft. Aber die eine Botschaft geht in die Welt – und sie geht von den Musikern aus –, dass wir pfleglich mit unseren Traditionen umgehen, wenn uns auch natürlich nicht alle Traditionen gleich wertvoll sind.
nmz: Gibt es also doch Musik, die Sie als besonders geeignet für den G20-Gipfel empfinden?
Hauptmann: Ich bin gegen Trotzmusik, ich bin aber auch gegen Triumphmusik. Deswegen würde „Freude, schöner Götterfunken“ genauso wenig passen, wie Marschmusik oder Hymnen. Ich würde es stattdessen spannend finden, wenn man etwas Anderes, Überraschendes bringen könnte, einen Chor oder Volkslieder.
nmz: So wie beim G20-Treffen der Finanz- und Notenbankchefs in Baden-Baden, wo ein Vokalensemble gesungen hat
Hauptmann: Ja, an so etwas denke ich dabei. In „Der Mond ist aufgegangen“ etwa wird in der dritten Strophe beschrieben, dass der Mond zwar nur halb zu sehen, aber trotzdem rund und voll ist, und wir uns über manches lustig machen, nur, weil wir es nicht gleich erkennen. Daneben gibt es ja auch noch andere Aussagen in diesem Lied: „Verschon uns, Gott, mit Strafen, und lass uns ruhig schlafen, und unsern kranken Nachbarn auch“, das käme wirklich unerwartet. Denn bei einem solchen Konzert rechnet man eher mit symphonischer, möglicherweise auftrumpfender Musik und nicht mit etwas Ruhigem, Versöhnlichem.
nmz: Dennoch wird der Kunst – und damit auch der Musik – häufig vorgeworfen, dass sie im politischen Zusammenhang nur der Zierde diene. Wie stehen Sie dazu?
Hauptmann: Es ist schwierig, hier Grenzen zu ziehen. Zier- oder Repräsentationsmusik gibt es ja auch von Bach, seine „Brandenburgischen Konzerte“ etwa, oder von Haydn, der entsprechende Musik für seinen Fürs-ten komponiert hat. Wir hören diese Musik heute anders, sie repräsentiert einfach unseren Kulturkreis. Als politisch motivierte oder wirksame Musik sehe ich persönlich eine bestimmte Art Rock oder moderne Lieder und Chansons mit entsprechenden Texten.
Bei dem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie denke ich eher daran, dass es ein Aushängeschild für Deutschland ist. Und gerade in der Musikszene können wir auf manches stolz sein, etwa auf die Zahl der Opernhäuser, der Orchester und der Musikhochschulen in Deutschland – oder auch auf unsere vielen Chöre: Es gibt Kirchenchöre, Männer- und Frauenchöre, chinesische und russische Chöre, Feuerwehr- und Polizeichöre.
Und diese musikalische Vielfalt ist ja im Austausch mit Europa und weit darüber hinaus gewachsen. So gesehen, repräsentiert dieses Konzert die europäische Kultur: Die Italiener haben die Oper entwickelt, die unter anderem von Händel in England aufgegriffen wurde, Bach hat italienische Musik verarbeitet, Mozart ist nach Frankreich gereist  und in Deutschland kam unter anderem der Liedgesang zu einer besonderen Blüte. Schon damals hat es ein großes europäisches Netzwerk gegeben. Das ist unsere Musikkultur, und die kann man zeigen.