Das Braunschweiger Klavierpodium fand im November in der Klavierfabrik Grotrian-Steinweg statt. Der Neurowissenschaftler Dr. Marc Bangert erläuterte neueste Erkenntnisse zu neuronalen Prozessen bei Musikern und Prof. Joachim Rieke (Klavier- und Fachdidaktik, Osnabrück) bezog diese Erkenntnisse auf die Fachdidaktik und ihre Umsetzung am Instrument.
Es ist sehr spannend zu erfahren, was ein Neurologe einem Musiker Neues über die bis jetzt immer noch nicht gänzlich erforschten Wege vom Notenblatt über das Hirn zur Hand erzählen kann. Das Gehirn wird immer besser erkundet und scheint als Thema auch in der seit fast 300 Jahren oft intuitiv richtigen Klavierpädagogik einen großen Reiz auszuüben. Spuren im Gedächtnis entstehen durch das Lernen: viele motorisch-sensorischen Areale werden angesprochen, damit alles funktioniert. Das Gehirn eines Musikers sieht jedoch anders aus als bei Nicht-Musikern, dafür hat man viele Gehirne untersucht. Man kann etwa, um ein Beispiel zu nennen, aufgrund der unterschiedlichen Wege der Hirnströme, die in der Untersuchung farblich markiert werden, sagen, ob ein Pianist oder ein Geiger seine Hand bewegt. Spannend war, dass sich bereits nach 20 Minuten Üben Spuren im Hirn bilden, die nach drei Wochen als dauerhaft messbar sind. Anhand einer Lernkurve zeigte Dr. Bangert drei Lernphasen von schlecht über gut bis zur Sättigung (dem Punkt, an dem das Besserwerden beim Üben mühseliger wird). Manche Wahrheiten werden bestätigt: schnell gelernt, schnell vergessen. Es gibt viele Übestrategien, wie die Verteilung der Übepausen, Variabilität der Übung, das blockweise oder gemischte Üben, mentales Training et cetera – all das beeinflusst die Spuren, die im Hirn angelegt werden. Gut zu wissen, dass sechs Stunden Schlaf notwendig sind, damit die Verfestigungsarbeit im Hirn stattfinden kann. Alle Bewegungsabläufe müssen dem Hirn mitgeteilt werden, damit das Hirn auch erinnert, ob der Sprung im Takt 122 eine Sexte oder doch eine Quinte war. Wir verfügen alle über ein Fehlermanagement, das sich aus einer Mischung aus Fehlervermeidung, Fehlertoleranz und Fehlerkorrektur zusammensetzt und das im Lernprozess eine große Rolle spielt.
Prof. Rieke sprach über die Perspektiven des musikalischen Lernens im zeitgemäßen Klavierunterricht in der Zeit von Ganztagsschulbetrieb und Mediendominanz. Die Statistiken belegen die Veränderungen im medialen Konsum („pro Woche greifen wir etwa 1.500-mal zu Smartphone, also alle sieben Minuten“, so eine Statistik aus dem Jahr 2014) also auch im pädagogischen Alltag, im Bezug auf die Arbeit mit der Hirnmasse. Kurz: die Veränderungen stellen uns vor neue Herausforderungen, denn vieles verändert sich unaufhaltsam, vor allem die Lernsituation und das Lernumfeld. Lange, veranschaulichende Listen mit konträren Begriffen wie Tradition-Trends, Anspruch-Konsequenz oder Wissen-Können werden präsentiert und die musikalischen Lernprozesse, didaktischen Ideen und Übemethoden mit vielen Leitsätzen wie „Übe möglichst täglich: Wachstum braucht Zeit“ sehr ausführlich diskutiert. Neben den Videobeispielen demonstrierte Prof. Rieke mit einer Schülerin wie sein „Musikalischer Topf“ funktioniert: Da kommt alles rein, was der Spieler musikalisch entdeckt. Im praktischen Teil wird am Flügel Schumanns „Knecht Ruprecht“ analysiert und interpretiert. Viel gelernt haben wir an diesem Tag. Dass zum Instrumentalspiel viel Gehirnmasse bewegt werden muss, wussten wir zwar schon vorher. Jetzt wissen wir aber, wie es funktioniert und wissen hoffentlich bald noch mehr!