Die hohe Wertschätzung des – nicht nur Münchner – Publikums für den dort ansässigen britischen Komponisten Graham Waterhouse zeigte sich am 5. November 2022 allein schon durch ein restlos ausverkauftes Festkonzert anlässlich seines 60. Geburtstags in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz. Tatsächlich führte die von nicht weniger als 14 Solisten dargebotene Kammermusik vom 1979 begonnenen Streichsextett bis zum gerade vollendeten „Alchymic Quartet“ durch mehr als vier Jahrzehnte künstlerischer Entwicklung.
Literarische Topoi inspirieren Waterhouse nicht unmittelbar zu konkreter Mimesis, vielmehr zu bildhaften Assoziationen, so auch im Klavierquartett „Skylla und Charybdis“ (2011). Meer, Strömung, Strudel und der Kampf ums Überleben werden in vier durchgehenden Sätzen quasi plastisch nacherlebbar. Das Klavier grundiert zunächst das Unheimliche – ausgezeichnet vorgetragen von Katharina und Konstantin Sellheim, David Frühwirth und dem Jubilar am Cello: zweifellos eines der faszinierendsten Werke des Komponisten überhaupt. „Dragonesque“ wurde 2017 für den Auftritt von Eva Hofmann (Cello) und Cosima Fischer von Mollard (Klavier) beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ geschrieben. Sie spielen das musikalisch wie technisch anspruchsvolle Werk erneut bombensicher, perfekt zusammen, dabei höchst differenziert. Das mit Spannung erwartete, viersätzige neue Streichquartett – Tags zuvor in Gilching uraufgeführt und vom Philharmonischen Streichquartett München mit exzellenter Intonation erarbeitet – ist wiederum eine Hommage an Szydlo und untersucht Beziehungen zwischen Musik und Chemie. Da gibt es bewegte Klangflächen („Wave Patterns“), aber ebenso klare thematisch-motivische Strukturen, offenkundig Schlüsselintervalle in einigen der Sätze, auch mal ein hübsches William-Byrd-Zitat. Der III. Satz wird mit Liegetönen im Diskant (!) „unterlegt“, und insbesondere der vierte („Alchymic Cauldron“) begeistert schließlich durch seine ganz organische, zielgerichtete Klangentwicklung. Das Stück erfährt folglich großen Beifall.
Die vielleicht fesselndste Interpretation gelingt dann jedoch mit dem Trio „Concentricities“ (2019): Neben Waterhouse musizieren hier der Klarinettist Hans-Joachim Mohrmann und – durch wirklich packende Virtuosität besonders hervorzuheben – die Pianistin Anna Karapetyan. Der Tonumfang der Klarinette wird intelligent ausgenutzt, im 4. Satz (Oscillations) mit Klavier-Glissandi gemischt. Das Finale (Ring of Stones) ist rhythmisch stark, geradezu unwiderstehlich.
Die einzelnen Sätze von Waterhouses Streichsextett op. 1 – hierbei treten noch Katerina Giannitsioti und Valentin Eichler (2. Cello und 2. Bratsche) hinzu – entstanden 1979, 1982, 1984 und 2012, und wurden 2022 weiter verfeinert. Natürlich erscheint dieses Werk heterogen: vom ganz tonalen Sonaten-Allegro, quasi noch in Brahms-Nachfolge, einer bereits kompromissloseren Fuge mit rhythmischem Ostinato über ein Scherzo mit geschichteten Streichergruppen bis zum geschmeidig eingearbeiteten mazedonischen Volkslied im letzten Satz mit seinen Balkanrhythmen. Jedoch beeindrucken von Anbeginn klare Konturen und ein gekonnter Sextettklang. Unmittelbar nach Verklingen der letzten Noten erhebt sich das gesamte Publikum zu Standing Ovations.