Blättert man durch eine Instrumentalschule seiner Wahl, fällt womöglich nicht auf den ersten Blick, aber sicherlich beim genaueren Hinsehen auf, dass es gefüllt ist von Werken männlicher Vertreter der Komponistenzunft. Auch bei fortgeschrittener Könnerschaft speist sich das Repertoire meist aus dem Kanon der großen Meister. Komponistinnen sucht man wie die Nadel im Heuhaufen, was schlichtweg auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass diese es in einem Maße schwerer hatten, ihrer Passion nachzugehen als Jungen und Männer, das sich kaum beziffern lässt.
Anlässlich des 200. Geburtstages von Clara Schumann, der wahrscheinlich bekanntesten Komponistin bis heute, im vergangenen Jahr widmeten die „Musikmacher“ sowie andere Lehrende im DTKV Essen ihr traditionsreiches Portraitkonzert am 14. November 2019 eben diesen selten anzutreffenden Tonkünstlerinnen.
Einige von ihnen sind uns möglicherweise nur noch ein Begriff, da sie – wie die Jubilarin selbst – die „Frau von“ einem Komponisten waren, wiederum andere kennen wir als „Schwester von“. Der jüngste Spross des preußischen „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I., Prinzessin Anna Amalie, gehört als Schwester Friedrichs des Großen zu diesen. Da sie weder zu Kriegsdiensten noch zur Regentin ausgebildet werden musste, genoss sie schon früh eine umfangreiche musikalische Förderung und verbrachte als unverheiratete Frau viel Zeit am Hofe. Hier kam sie in Kontakt mit namhaften Künstlern und nahm an den Soireen teil, bei denen ihr Bruder gerne selbst zur Flöte griff. Ein Satz aus Prinzessin Anna Amalies Sonata für eben dieses Soloinstrument und Basso-continuo-Begleitung in F-Dur führte die Zuhörerschaft in die Zeit des Rokoko.
Einige Jahrzehnte später, ebenfalls im Großraum Berlin, ist eine weitere Vertreterin der Kategorie „Schwester von“ aufzuspüren: Fanny Hensel. Angesichts ihres Schicksals erfuhren die Nachwuchsinstrumentalistinnen und -instrumentalisten im Grundschul- und Gymnasialalter, dass es Frauen aus höheren Schichten in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gestattet war, Geld zu verdienen, es schickte sich einfach nicht. Auch die Veröffentlichung ihrer Werke gestatteten Vater und Bruder nicht, denn damit waren Einkünfte verbunden und man(n) sorgte sich um das Ansehen der geliebten Tochter, respektive Schwester. Aus ihrer Feder erklang im Portraitkonzert der „Walzer zu vier Händen in C-Dur“.
Der Blick schweifte weiter nach Paris: Hier lebte die um nur ein Jahr als Fanny Hensel ältere Louise Farrenc, die jung einen Flötisten und Musikverleger heiratete. Neben einer Professur am Pariser Konservatorium und internationaler Kompositionstätigkeit widmete sie sich gemeinsam mit ihrem Gatten der insgesamt dreiundzwanzig Bände umfassenden Sammlung von kommentierten Klavierwerken aus der Zeit von 1500 bis 1850. Nach dem Tod ihres Mannes zeichnete sie sogar alleine für deren Herausgabe verantwortlich, was alles andere als üblich war. Ihre „Etüde Nr. 2 in a-Moll“ aus den „Fünfundzwanzig Etüden op. 50“ gab einen Einblick in das umfangreiche Werk dieser äußerst ungewöhnlichen Frau.
Ein halbes Jahrhundert später war die Pariser Gesellschaft trotz einer Vorreiterin wie Louise Farrenc kaum weiter, wie Mélanie Bonis erleben musste. Zwar verwehrten ihre Eltern ihr die akademische Ausbildung nicht, verheirateten sie jedoch später, sodass ihr zwischen mütterlichen und haushälterischen Pflichten keine Zeit zum Komponieren blieb. Erst als diese weniger wurden, ging sie ihrer Berufung wieder nach und sie erhielt sogar einige Preise.
Dass sie eine komponierende Frau war, scheint sie ein Stück weit gestört zu haben, denn sie veröffentlichte ihre Musik unter dem Kürzel Mel Bonis, das auch auf einen männlichen Autor verweisen könnte. Mit ihrer „Méditation“ kam ein Klavierstück zu Gehör, das ganz im Stile der Entstehungszeit gehalten ist.
Neben dem hohen Niveau der jeweiligen Darbietungen der Schülerinnen und Schüler des Essener DTKV, das sich wie ein roter Faden durch die seit 2001 stattfindenden Portraitkonzerte zieht, ist erneut zu betonen, mit welcher Selbstverständlichkeit die jungen Menschen einander Aufmerksamkeit und Achtung der Leistungen der jeweils anderen geschenkt haben. Denn was die Besonderheit dieses Konzertformats ausmacht, ist, dass die Gesamtdramaturgie sich erst in der gemeinschaftlichen Darbietung zu einem großen Ganzen erschließt und somit jeder einzelne Beitrag, unabhängig von den bereits erlernten Fertigkeiten, wertvoll ist.