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Eröffnungskonzert des 29. Tonkünstlerfestes im Gesellschftshaus Magdeburg mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck unter Leitung von Jan Michael Horstmann, Eröffnungsrede Frau Lampadius.

Eröffnungskonzert des 29. Tonkünstlerfestes im Gesellschftshaus Magdeburg mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck unter Leitung von Jan Michael Horstmann, Eröffnungsrede Frau Lampadius.

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Strawinsky bleibt!

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Tonkünstlerfeste in Sachsen-Anhalt
Vorspann / Teaser

Das 29. Tonkünstlerfest in Sachsen-Anhalt, welches jährlich im November für eine Woche stattfindet, liegt zwar schon einige Monate zurück. Es enthält jedoch in der Konzeption und Durchführung einige aktuelle Fragestellungen zum Stand der Neuen Musik außerhalb der großen Metropolen, die von allgemeinerem Interesse sein könnten. Vor allem aber zeigt das Fes­tival auf, zu welchen erstaunlichen Leistungen die Mitglieder kleinerer Landesverbände imstande sind. Fernab von Honorardebatten, Strukturreformdebatten und allerlei anderen Streitereien zeigt sich hier beispielhaft, welche Rolle und öffentliche Wirksamkeit dem DTKV in seinen Gliedern und auch in seiner Gänze im Sinne des Gründungsgedankens wieder zu wünschen wäre. (Thomas Heyn)

 

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Das Vorwort zum Programmheft verfasste der Hallenser Komponist Thomas Buchholz. Es dürfte auch für die Leserinnen und Leser dieser Zeitung einige interessante Überlegungen bereithalten, da sie den vorangegangenen Artikel des Autors in der nmz 6/23 (Über Sinngebung in der Neuen Musik) ergänzen. Buchholz schreibt: „Das, was hier im Land Sachsen-Anhalt kulturell gewachsen ist, hat eine aktuelle Gegenwart. Spätestens seit infolge des BAUHAUS-Jubiläums das Motto „#moderndenken“ durch die Landesregierung initiiert wurde, ist das in allen Künsten stärker in ein öffentliches Bewusstsein gerückt. Dabei spielt die Balance zwischen den Urvätern eines grundlegenden Paradigmenwechsels und den heute künstlerisch Produktiven eine besondere Rolle. Das ist bisher hinlänglich proklamiert worden, allerdings mit einem starken Fokus auf Architektur und Baukunst und auf Skulptur und Malerei. Die aktuelle Musik aus Sachsen-Anhalt soll nun im Jahr 2022 eine besondere Beachtung erfahren. Der Landesverband des Deutschen Tonkünstlerverbandes entwickelte die Konzeption seines Tonkünstlerfestes 2022 mit der Grundüberlegung, inwiefern die in Europa stattgehabten Veränderungen der Künste um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in der heutigen Zeit eine Fortführung oder ein Pendant erfahren haben.

Aufhänger dieser Entwicklung war das Musikdenken von Igor Fjodorowitsch Strawinsky (1882-1971), weil sich 2022 sein Geburtstag zum einhundertvierzigsten Mal jährte. Vermutlich ist jedoch das Datum weniger ein Grund einer Entscheidung für den berühmten Russen mit französischer und amerikanischer Staatsbürgerschaft. Ein Essay des Franzosen Pierre Boulez (1925-2016), bereits 1951 verfasst, liefert das Motto: Im Streit um die Merkmale der Neuen Musik innerhalb der Auseinandersetzung zwischen den Traditionalisten und den Avantgardisten spielen Strawinskys Werke eine besondere Rolle, weil sie sich einer eindeutigen Zuordnung verschließen. Die Kühnheit mancher Kritiker sah Strawinsky ausschließlich auf der Seite der traditionellen Komponisten, was eher einem Verdammungsurteil gleichkam. Da setzte sich der junge Avantgardist Boulez hin und lieferte anstelle der Verbalinjurien seiner vorwiegend männlichen Kollegen eine präzise, an der Werkstruktur des Ballettes Le sacre du printemps (Die Frühlingsweihe) von 1913 orientierte Analyse der kompositorischen Verfahrensweisen Strawinskys. Im Gegenzug zu den Meinungen und Vermutungen lieferte Boulez durch wissenschaftliche Arbeit erlangte Erkenntnisse. Die Conclusio seiner Analyse drückt die Wertschätzung in der Bedeutung für gegenwärtiges und zukünftiges Musikdenken mit den Worten: „Strawinsky bleibt!“ aus.

Lassen Sie uns in diesem Festival dem nachgehen, auf welche spezifische Weise die Urväter der Moderne, am Beispiel Strawinskys, im heutigen Komponieren und Musizieren verankert sind und ob damit das Urteil des vor wenigen Jahren verstorbenen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez noch heute (in Mitteldeutschland) gilt. Zu hinterfragen sind da nicht nur die Arbeiten unserer heute hier lebenden Komponistinnen und Komponisten, nein es geht auch um das lebendige Musizieren. Welche Rolle spielt das Werk von Igor Strawinsky heute bei der Ausbildung der musikalischen Jugend? Da gibt es viel Vorzeigbares, man denke nur an die Arbeit der Komponistenklassen, den Jugendkompositionswettbewerb, das Erarbeiten neuer Werke für „Jugend musiziert“ oder andere progressiv aufgestellte Wettbewerbe. Das Tonkünstlerfest bietet hier ein Podium und ist zugleich auch eine öffentliche Darstellung der musikpädagogischen und künstlerischen Leistungsfähigkeit Sachsen-Anhalts.“

Auftakt mit Vorabendkonzert

In Kooperation mit dem Festival Klang­ART Vision und seiner Konzertreihe (T)Raum Dialog startete das 29. Tonkünstlerfest mit einem Vorabendkonzert im Bestehornhaus zu Aschersleben. Für ein vierhändiges Klavierkonzert mit dem Titel SACRE konnten zwei interessante Pianisten gewonnen werden: Michael Wendeberg und Nicolas Hodges. Sie interpretierten eines der bedeutendsten Werke Strawinskys, nämlich „Le Sacre de Printemps“, in einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen. Es erklangen weitere Werke wie „Jeux“ von Claude Debussy und „Játékok“ von György Kurtág. Das Besondere am Tonkünstlerfest ist, dass Interpreten, die sonst vorwiegend in Metropolen zu hören sind, auch in ländliche Regionen eingeladen werden, um den Menschen dort große Kunst bieten zu können. Es moderierten spaßig, spontan und kurzweilig die Initiatoren der beiden Festivals: Markus Steffen und Beatrix Lampadius.

Eröffnungskonzert

Das traditionelle Eröffnungskonzert zum diesjährigen Landesfestival fand im Gesellschaftshaus zu Magdeburg mit der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck statt. Es brachte neben Strawinskys „Pulcinella Suite“ auch Uraufführungen zu Gehör: Das Werk von Thomas König „Tempodrom“ widerlegte den Vorwurf, dass moderne Komponisten heutzutage nur langsame Musik schrieben. Hier hatte das Orchester richtig Tempo zu machen. Die zweite Uraufführung von Marius Moritz, „Wherever there beats a pulse“, bot ein Cross­over zwischen Klassik und Moderne, angeregt durch das Ebony-Concerto Starwinskys für Klarinette und Orchester. Es folgte eine Wiederaufführung von Thomas Buchholz’ „Händels Alptraum“, in der der Komponist Bezug darauf nahm, dass Strawinsky oft alte Meister als Vorbild für neue Kompositionen heranzog.

Zum 140. Geburtstag von Strawinsky sollte aber auch gute Laune verbreitet werden. Und das gelang, weil am 11.11. die Karnevalsaison mit Milhauds „Le Carnaval de Londres“ eröffnet wurde. Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie spielte unter der Leitung von Jan Michael Horstmann mit gro­ßer Spielfreude und ausgefeilten Interpretationen. Die Vorsitzende, Beatrix Lampadius, ließ es sich nicht nehmen, in einer Eröffnungsrede anzudeuten, warum Strawinsky als russischer, amerikanischer und französischer Staatsbürger auch in Zeiten eines Ukrainekrieges als Vorbild dienen kann und dass Orchester generell Instrumente des Friedens sind.

Klavierkonzert

Die junge Ukrainerin Darya Dadykina spielte am nächsten Tag im Ambiente einer längst vergangenen Zeit im His­torischen Kursaal des Goethetheaters Bad Lauchstädt Strawinskys Klavierwerke. Spielte? Nein, „lebte“ muss man sagen, denn sie machte Strawinskys Musik für alle Zuhörer erlebbar. Dadykina hat sich selbst hohe Anforderungen gestellt und ein anspruchsvolles Programm ausgewählt, was sie zweifelsohne zu einer Strawinsky-Spezialistin macht. Zu hören waren Strawinskys Feuervogel-Suite, Petruschka (beides in Bearbeitung für Klavier), Strawinskys Klaviersonate und Prokofiews Sonate Nr. 4 c-Moll, dazu von Ravel „Miroirs“.  Auch die von Strawinsky erwünschte Wirkung, dass das Ende seiner Sonate nicht zu Applaus verleiten sollte, wurde nicht verfehlt. Leider fand sich bei dieser Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Goethetheater Bad Lauchstädt nur wenig Publikum ein.

Nachwuchs spielt Strawinsky und Zeitgenossen in Salzwedel

Sachsen-Anhalt ist ein Flächenland, also ziemlich groß. Und doch gibt es in jedem Winkel etwas kulturell Hochwertiges zu erleben. Am Sonntag zeigten rund 20 Schülerinnen und Schüler der freien Musikpädagogen des DTKV, der Kreismusikschule Salzwedel sowie der Tanz- & Musikschule Lampadius aus Aschersleben im neuen und modernen Kammer-Musiksaal der Musikschule Salzwedel ihr Können.

Ein interessantes Programm – insbesondere mit Preisträgern des 8. Wettbewerbs Neue Musik Altmark 2022 – rund um Strawinsky wurde den Hörern geboten. Die Gitarrenensembles und Gitarrenschüler von Christine Dossin musizierten gekonnt miteinander und solistisch. Die Einzelbeiträge auf Geigen und Celli beeindruckten ebenso wie das Blockflötentrio „Trio Vivo“ und die Einzelbeiträge der Blockflötenspieler. Es trat sogar ein junger Oboist aus Aschersleben auf. „Derartige Konzerte sind von großer Wichtigkeit“, betonte die Organisatorin Christine Dossin, „damit die Schülerinnen und Schüler alle Stil­epochen kennenlernen und erkennen, wie die eine Zeitepoche auf die andere aufbaut. Insbesondere das musizieren von moderner Literatur bringt jeden Musikschüler hier und da an seine Grenzen, aber auch ein ganzes Stück voran.“ Danke an den Verein „Neue Musik Altmark, e. V.“, der diese Veranstaltung ermöglichte.

Geschichte vom Soldaten

Vor etwas über 100 Jahren, am 28. September 1918, wurde in Lausanne Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ uraufgeführt. Viele Theater blieben während des Ersten Weltkriegs geschlossen, und deshalb legte Strawinsky sein musikalisches Märchen so klein besetzt wie möglich an. Sieben Musiker sowie vier Protagonisten verbinden Sprache und Gesang zu einem faszinierenden Schlüsselwerk der Neuen Musik.

Der Landesverband Sachsen-Anhalt war in der Lage, mit dem vorgegebenen Budget „Die Geschichte vom Soldaten“ von Igor Strawinsky in Originalbesetzung mit 7 Instrumentalisten, Sprecher und Tänzerin aufzuführen. Die Musiker unter der musikalischen Leitung von Jonathan Cohen und unter der Gesamtorganistion von Akki Schulz spielten engagiert und professionell. Der schwierige Geigenpart wurde perfekt von Edwin Ilg gemeistert. Auch Anja Starke beeindruckte auf der Klarinette. Aufgeweckt und originell sprach der Schauspieler Lutz Harder seinen Part. Ergänzt wurde alles durch einen Tanz der Prinzessin, den Deborah Yadira Gut vorführte. Das zeitlos aktuelle Stück konnte noch zwei weitere Male aufgeführt werden. In Halle hörten rund 120 Schülerinnen und Schüler der oberen Klassenstufen 8-12 im Freylinghausensaal zu, in Aschersleben zirka 210.

In Magdeburg wurde die Geschichte vom Soldaten neben einer Wiederaufführung der „Suite Gothique“ in der Besetzung für Violine, Klarinette und Fagott von Bernhard Schneyer und einer Uraufführung von Akki Schulz am Abend des 17. November nochmals einem kleinen aber feinen Fachpublikum im Forum Gestaltung präsentiert. Hier konnte man eine „Stecknadel fallen hören“, so ergriffen hörten alle zu.

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Ein Blick in die Saxophon-Section der Bigband. Ein Saxophonist steht und soliert.

Die KonBigBand im Konzert.

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KonBigBand Magdeburg

Am Mittwochabend lud die KonBigBand Magdeburg unter der Leitung von Mohi Buschendorf wieder zum Ausspannen, Abschalten und Genießen in den Gartensaal des Gesellschaftshauses ein. Auf dem Programm stand natürlich Strawinsky – unter anderem sein Ebony-Concerto fast im Original, für Klarinette und BigBand arrangiert. Neben Crossover waren auch viele Jazzklassiker sowie weitere Uraufführungen und Bearbeitungen etwa von Markus Hensel, Thomas Walter Maria, Mohi Buschendorf oder Marius Moritz zu hören. Die BigBand Magdeburg ist in Sachsen-Anhalt eine feste Instanz. Ihr Markenzeichen ist große Spielfreude. Jung und Alt musizieren in einer offenen und respektvollen Art miteinander und es sind immer wieder Newcomer dabei. Der Tipp des Abends war simpel und lustig zugleich: „Tanzen Sie Mambo, dann wird Ihnen warm und Sie sparen Heizkos­ten daheim. Am Nordpol bei den Pinguinen klappt das schließlich auch.“

Abschlusskonzert

Das Abschlusskonzert des 29. Tonkünstlerfestes bot dem Publikum einen „Streichergipfel“ im Gröninger Bad. Die beiden Geiger Thomas König und Marco Reiß, der Bratscher Thomas Prokein, der Cellist Jens Naumilkat und der Pianist Oliver Vogt spielten auf 17 Saiten und 88 Tasten Altes, Klassisches sowie Jazz und Rock-Pop. Das Ergebnis war entsprechender Stilmix und sehr kurzweilig.

Auf dem Programm standen neben Strawinsky-Bearbeitungen, Werken von Bach und Telemann auch Streicherjazz à la Grappelli und Erstaufführungen von Thomas König und Marius Moritz.  Der Live-Mitschnitt ist auf der Webseite des Tonkünstlerverbandes www.tonkünstlerverband-sachsen-

anhalt.de nachhörbar. Das nächste Tonkünstlerfest 2023 steht unter dem Motto: „György Ligeti – vom großen Traum aus Raum, Zeit und Bewegung“.

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Die genannten Instrumentalist*innen (und Instrumente) in einem kleinen, alten, weiß-blau gestrichenen hölzernen Kirchraum.

Das Poulenctrio in Neuplatendorf: Erik Stolte (Fagott), Olga Bechtold (Klavier, Cembalo) und Beatrix Lampadius (Oboe).

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Kunstprojekt: Kirche-Kunst-Konzert

Parallel zum Tonkünstlerfest fand am 8. Oktober, 6. November und am 9. Dezember 2022 ein besonderes Kunst-Projekt statt: Kirche-Kunst-Konzert. Es wurde aus Bundesmitteln Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der WIDER SENSE TraFo gGmbH „Kirchturmdenken“ gefördert.

Zwölf ländliche eher kleine Kirchen wurden auf dreierlei Art präsentiert. Zunächst als architektonisches Kunstwerk in Form einer kurzen Führung durch Pfarrer oder Kirchenälteste und den Kirchenbau direkt betreffend und bezugnehmend auf die Geschichte des Bauwerkes. Weiterhin in Form einer Radierung, die der Künstler Sven Großkreutz herstellte und dabei aufzeigte, wie er die Kirche äußerlich betrachtet und erlebt hat. Zum Dritten wurden kleine Wandelkonzerte angeboten, die auf das Innere der Kirche Bezug nahmen. Das Besondere der Kirchenräume regte den Komponisten Thomas König zu je einer musikalischen Idee an, die er für das Poulenctrio (www.poulenctrio.de) in der Besetzung Beatrix Lampadius (Oboe), Erik Stolte (Fagott) und Olga Bechtold (Klavier) umsetzte. Die Klangergebnisse aus den Uraufführungen wurden unverfälscht im Internet hörbar gemacht. So können die Sakralbauten in Form kleiner Videos auch für ältere Menschen, die die Kirche nicht mehr selbst betreten können, sicht- und hörbarbar gemacht werden. Hier kann man sie anhören:

www.tonkünstlerverband-sachsen-anhalt.de/kirche-kunst-konzert

Autorin: Beatrix Lampadius, Vorsitzende des DTKV Sachsen Anhalt

30. Tonkünstlerfest 2023

Das 30. Tonkünstlerfest findet vom 16. bis 24. November 2023 unter dem Motto „Ligeti zum 100. Geburtstag – vom großen Traum aus Raum, Zeit und Bewegung“ statt. Mehr dazu  www.tonkünstlerverband-sachsen-anhalt.de

Für 2023 sind besonders hervorzuheben: das Eröffnunsgkonzert mit der Kammerphilharmonie Schönebeck am 16. November, ein Improvisationsworkshop für Schüler, Musiker und Musikpädagogen in Halle/Saale am 18. November, der Auftritt zweier Pianisten im neu gebauten Konzerthaus Wernigerode „Auf Flügeln in die Zukunft“ am 21. November sowie das Konzert des neu gegründeten Ensembles für Neue Musik Sachsen-Anhalt am 23. November und das Abschlusskonzert des Magdeburger Kammerchores in der Kirche St. Sebas­tian am Folgetag.

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