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Süchtig nach zeitloser Schönheit

Untertitel
Dem Komponisten Walter Thomas Heyn zum 60. Geburtstag
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Walter Thomas Heyn, wurde 1953 in Görlitz geboren. Sein Studium führte ihn zunächst an die Leipziger Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn-Bartholdy”, wo er unter anderem Komposition bei Prof. Siegfried Thiele studierte. Anschliessend wurde er Meisterschüler an der Akademie der Künste, Berlin, bei Prof. Siegfried Matthus und wurde zugleich als Oberassistent für Tonsatz an die Leipziger Musikhochschule berufen. Seit 1988 lebte er zunächst als freier Autor in Leipzig. Seitdem hatte er zahlreiche Radio- und CD-Produktionen, so zum Beispiel mit Claus Peter Flor, Rosemarie Lang, Die-ter Mann, Kurt Masur, Horst Neumann, Max Pommer, Friedrich Schenker, Gerhard Schöne, Ilona Schlott und anderen. Ab 1994 gab es eine intensive Zusammenarbeit mit diversen Rundfunksendern, insbesondere mit dem Deutschlandfunk, mit Deutschandradio, Radio Brandenburg und dem MDR.

Heyn ist freier Produzent und Autor, Leiter mehrerer Ensembles, ständiger Dirigent und Arrangeur diverser Gruppen und Orchester, daneben Vorsitzender des Vereines der Komponisten und Musikwissenschaftler (VKM e.V.). Im DTKV gehört er dem Präsidium des Landesverbandes Brandenburg an. Auch vertritt er den DTKV-Brandenburg im Landesausschuss des Wettbewerbs „Jugend musiziert” sowie im Regionalausschuss Nord-Ost.

Es wurden ihm verschiedene Auszeichnungen und Preise zuteil: so war er in den Jahren 1978 bis 1980 Mendelssohn-Stipendiat des Ministeriums für Kultur, 1987 erhielt er den Hanns-Eisler-Preis für das Werk „3 Jiddische Gesänge“ und von 1991 bis 1993 war er Stipendiat der Körber-Stiftung, Hamburg, für die Oper „Die Bakchen des Euripides“. Neben seinen 126 Werken mit Opuszahl umfasst sein Œuvre eine große Anzahl an Bearbeitungen sowie an Werken ohne Opuszahl. Anlässlich des 60. Geburtstags des im brandenburgischen Ort Wandlitz lebenden Komponisten veröffentlicht die nmz ein Interview mit Walter Thomas Heyn, welches vom Redakteur der Acht-Länder-Seite des DTKV, Anno Blissenbach, für die nmz geführt wurde:

neue musikzeitung: Komponieren, Dirigieren und Gitarre spielen sind schöne Tätigkeiten, die sich jedoch in der Regel gegenseitig ausschliessen. Herr Heyn, wie bringen Sie all das zusammen?
Walter Thomas Heyn: Gitarre spielen habe ich als Kind gelernt bei Erich Krämer in Leipzig an einer kleinen Musikschule, wo der Unterricht 24 Mark im Monat gekostet hat, was für meine Eltern sehr viel Geld war. Eigentlich sollte ich nach dem Willen meiner Mutter Tenor werden, weil ich einen guten Knabensopran hatte und so schön die Lieder von Heintje nachsingen konnte. Ich wollte aber schon immer Komponist werden.

nmz: Und welche Rolle spielte Gitarre für Sie als Komponist?
Heyn: Gespielt habe ich die Gitarre immer, aber fürs Komponieren spielte sie keine Rolle. Auf kammermusikalischem Gebiet hatte ich nach dem Studium jahrelang keine Note für die Gitarre geschrieben. Das Instrument interessierte mich hier einfach nicht. Es war aber wichtig für die Konzerte und für den Einstieg in die Neue Musik. Dank Roland Zimmer, dem damaligen Lehrer an der Leipziger Hochschule, war ich am Instrument ganz fit und konnte bei den Uraufführungen der neuen Musik mitspielen, die damals zahlreich in Leipzig stattfanden. Die künstlerisch wertvollste Produktion für mich in dieser Zeit war der zweiteilige Liederzyklus „Voices“ von Hans Werner Henze, ein abendfüllendes Opus nach Texten diverser Dichter. Der Gitarrist hatte die normale Gitarre, Banjo, E-Gitarre und allerlei Schlaginstrumente zu spielen. Das Stück hat mir ungeheuer imponiert und auf Henze bin ich immer wieder zurückgekommen.

nmz: Da in der Neuen Musik quasi alles „erlaubt“ ist, stellt sich die Frage, wie Sie es denn mit dieser Freiheit – welche ja auch die Gefahr der Anarchie birgt – halten?
Heyn: Ich gehe meinen Weg für mich selbst und suche immer und vermutlich bis ans Ende meiner Tage die Schönheit in der Musik, eine Schönheit von der Art, dass Musiker diese Musik gern spielen und Leute sie freiwillig anhören. Ob meine Noten zur Mode passen, oder Doktorarbeiten drüber geschrieben werden, das ist mir alles nicht mehr so wichtig.
 

nmz: Sie sind ja auch als Interpret tätig. Entsteht da nicht ein Interessenkonflikt?
Heyn: Früher habe ich Sängerinnen begleitet bei Liedern von Dessau, Eisler, Henze, bei Chanson-Abenden und habe auch viel im Orchester ge-
spielt. Dann war viele Jahre gar nichts. Jetzt gibt es wieder drei wunderbare Sängerinnen, die mich auf ihre Konzerte mitnehmen. Das Ganze ist eher ein Zeitproblem. Leider muss ich bei zunehmendem Alter mehr üben. Man sieht ja als Komponist an den Noten, wie es klingen soll. Da sollte es keinen Kompromiss geben oder nur ganz kleine.
 

nmz: Und der Dirigent?
Heyn: Der Dirigent leitet zwei Zupforchester in Berlin, die mittlerweile auf semiprofessionellem Niveau spielen und ständig mehr Anfragen bekommen und neue Konzertorte erschliessen. Ich verfolge dabei das Konzept des offenen Orchesters, das heißt, jedes Instrument kann mitspielen, alle Altersstufen sind willkommen und stilistische Grenzen gibt es auch keine. Und da kommt wieder der Komponist ins Spiel, der mittlerweile ein versierter Bearbeiter geworden ist. Denn die Praxis ist so, wie mein alter Lehrer, Prof. Carlernst Ortwein es zum Staatsexamen als Prüfungsaufgabe gestellt hat: Der 1. Geiger ist Professor, die 2. Geigerin ist die Tochter des Bürgermeisters und hübsch, kann aber nur in der 1. Lage spielen. Der Bratscher ist der Apotheker. Keine Sechzehntel bitte! Der Cellist war früher Berufsmusiker und ist jetzt Mitte 70. Die Holzbläser sind 14 bis 16 Jahre alt und kommen aus der Musikschule, die Blechbläser von der Feuerwehr aus dem Nachbardorf. Die Harfenistin vom Stadttheater hat nur Zeit für eine Probe. Aufgabe: schreibe für jeden eine interessante Stimme auf seinem Niveau. Diese Aufgabe habe ich als einziger gelöst und sie bestimmt meinen Berufsalltag.
 

nmz: Das klingt jetzt aber so, als ob der Komponist zugunsten des Arrangeurs zunehmend in den Hintergrund treten würde?
Heyn: Ich bin jetzt bei Opus 126. Dazu kommen Bearbeitungen für Besetzungen aller Art, die nach hunderten zählen und bei fünf Verlagen erscheinen. Das Wichtigste der nächsten Jahre ist es, alle die Werke, die steckengeblieben, nicht ganz gelungen oder unfertig sind, druckreif zu machen und unter die Leute zu bringen. Denn bei mir gehören die Bearbeitungen zum kompositorischen Werk dazu, so wie wir es auch von Bach, Busoni oder Ravel kennen. Auf diese Sachen bin ich sehr stolz, auch wenn die GEMA das mitunter anders sieht…
 

nmz: ...die GEMA?
Heyn: Ja, die GEMA. Aber das ist ein anderes Thema, über das ich in der nmz schon geschrieben habe.
 

nmz: Worin sehen Sie als DTKV-Mitglied die Aufgaben Ihres Berufsverbandes und worin Ihre eigenen Aufgaben als Funktionsträger im DTKV?
Heyn: Dem DTKV gehöre ich über ein Jahrzehnt an. In steuerrechtlichen Fragen oder gegenüber der Künstlersozialkasse habe ich vom DTKV mehrfach wertvolle Hilfen bekommen. Auch bei meinen Versicherungen, sofern sie die Musik betreffen, habe ich Empfehlungen des DTKV aufgegriffen und es bisher nicht bereut. Und ich bin ein alter Vereinsmeier, weil ich an die Kraft der Vielen glaube. Insofern hat jeder berufsvertretende Verband immer zu wenig Mitglieder. Ich verstehe die Kollegen: es scheint wenig zu passieren und es scheint sich für den Einzelnen nicht zu lohnen. Aber die moderne Welt ist kompliziert, gerade für Freiberufler. Es ist unmöglich, alles alleine im Blick zu behalten und alles zu lesen und zu verfolgen, was einen betrifft. All die „Reformen” und sonstigen Verschlechterungen, die Interpreten, Musikschul-Lehrkräften oder Orchestermusikern immer wieder zugemutet werden, müssen und können nur gemeinsam abgewehrt werden. Außerdem: Dem Einzelnen hören Politiker überhaupt nicht zu. Da bedarf es der Kraft der Masse von Wählerstimmen. Ich wünsche mir mehr Gemeinsamkeit unter den Kollegen, häufigere Kontakte, Austausch, auch auf geistiger Ebene. Jeder schmort doch in seiner Ecke und kämpft für sich allein. Das macht einsam, müde und es macht auch mürbe. Enttäuschung macht sich breit, Bitternis, Resignation. Da hilft nur der soziale Kontakt zu Gleichgesinnten.
 

nmz: Was wünschen Sie sich als ein so vielseitiger Künstler für die Zukunft?
Heyn: „Wenn man gesund ist, ist das Alter schön“, pflegte meine Mutter zu sagen. Musik ist ja eine ganze wunderbare Medizin für fast alles. Und so lebe ich wie Bach: morgens komponieren, nachmittags unterrichten, abends sind die Proben und an den Wochenenden die Konzerte. Das darf gerne alles noch einige Jährchen so bleiben.
nmz: Vielen Dank für das Gespräch.
 

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