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Theater am Rand

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Zwei Jahre Corona-Berufsverbot sind vorbei und zaghaft-kühn wagen sich die ersten Veranstalter wieder an kleine Produktionen, immer bedroht von Verordnungen, Durchführungsbestimmungen und kurzfristigen Verboten, ausgesprochen von Menschen, deren Gehalt und Arbeitsplatz ungefährdet und deren Wissen um die Bedingungen zur Produktion von Kultur und um die Nöte von Musikern und anderen kreativen Kulturschaffenden weiterhin konstant bei nahezu Null bleibt.

Aber das Schlossgut Altlandsberg wagte es, für den Juni nicht nur die Pergolesi-Oper „Die Magd als Herrin“ als Open-Air-Produktion anzusetzen, sondern traute sich, einen vor ca. 10 Jahre geschriebenen modernen zweiten Teil von meinem Librettisten Martin Verges und mir ins Programm zu nehmen, der die Geschichte in der Gegenwart weitererzählt und „Das Auf und Ab im Leben“ betitelt war. Es war die erste Arbeit nach der langen Zwangspause und auch das Publikum war ersichtlich froh, dass es endlich wieder los ging mit Kultur und saugte alles begierig auf.

Die innovative Mannschaft des Schlossgutes um den Geschäftsführer Stephen Ruebsam und den Event-Chef Jan Jach präsentiert seit Jahren ein interessantes Konzept, in dem versucht wird, die regionalen Anbieter von allerlei Waren mit den Kunst und Kulturschaffenden aus der Region zu verknüpfen und haben allerlei Ideen entwickelt: vom Schlosskonzert, über Freiluft-Kino bis zu Oper und Musical, Jugendcamp, Wochenmarkt und selbstgebrautem Kulturbier reicht mittlerweile das Angebot: Jede und jeder kann hier fündig werden.

Eigentlich war die kleine Sommerproduktion als Eröffnung des historischen Barockgartens geplant, der jedoch noch nicht ganz fertig geworden war. So fand das Ganze im Innenhof vor der Schlosskirche statt.  Ein engagiertes Vokal-Duo, bestehend aus Cornelia Marschall als Serpina und Wilko Reinhold als Uberto stand auf der Bühne und bewältigte die Rollen ohne Mühen und mit sichtbarer Lust am szenischen Spiel. Auch das winzige Vier-Personen-Orchesterchen spielte unter der musikalischen Leitung von Henri Kühnert beschwingt auf. Insbesondere die unverkrampfte Inszenierung von Stephan Wapenhans, der als Vespone eben-falls mitspielte, machten aus den beiden kleinen Einaktern eine süße Sommer-Leckerei, die trotzdem nicht oberflächlich daherkam.

Ende Juli fand in der Nachbarstadt Rüdersdorf das Operettenpicknick statt. Dieses Picknick auf der Wiese vor der Bergbau-Museum hat eine langjährige Tradition und das dankbare Pub-likum strömte in Scharen zu schwelgerischen Walzer-Melodien und flotten Csárdás-Rhythmen. Bedingt durch Terminschwierigkeiten konnte das Stammorchester nicht spielen, so dass binnen zehn Tagen ein neues Ensemble gesucht und gefunden wurde. Allerdings differierte die Besetzung: statt Bläsern mussten Streicher engagiert werden. Auf mich kam die Aufgabe zu, alle 24 Nummern binnen weniger Tage neu zu arrangieren und anzupassen. Zum Glück macht mir so etwas immer noch Spaß, auch das Notensatz-Programm auf dem Computer stürzte nicht ab, das Internet brach nicht zusammen, nur die Augen taten weh. Aber wer kennt das nicht …

Die Leiterin und Pianistin Giedre Lutz aus Litauen war in der entscheidenden Woche in Brandenburg in der Pampa im Urlaub und fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad auf die nächstgelegene Dorfpost, wo es Internet und einen Drucker gab, und druckte sich dort die neuen Bearbeitungen aus, die ich nachts zusammengebastelt hatte. Ach Deutschland, du heillos verschlafenes High-Speed-Monster: 15 Kilometer nördlich von Berlin und 30 Kilometer südlich von Berlin ist es aus mit dem High-Tech. Da hängt bestenfalls ein Briefkasten und der Bus fährt dreimal am Tag in die Kreisstadt. „Nimm dir Essen mit, wir fahr’n nach Brandenburg,“ sang Reinald Grewe vor über zehn Jahren und es stimmt immer noch.

Die Premiere war dann sehr erfolgreich. Die Musiker, unter anderem aus Litauen, Frankreich und Slowenien, hatten sich in die Eigenheiten deutscher Operetten eingefühlt, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes gespielt. Und die Gesangssolisten Ilonka Völkel, Sabine Schwarzlose, Thomas Hartkopf und Stephan Wapenhans zogen alle Register ihres musikalischen und komödiantischen Könnens und entzückten das Publikum, das sich bei bestem Wetter gut unterhalten fühlte.

Zum Abschluss der Open-Air-Theatersaison brachte das Stammensemble mit dem Musical „My fair Lady“ von Frederick Loewe noch einmal ein richtiges Zugstück auf die Sommertheater-Bretter. Unter der bewährten Leitung von Stefanie Bremerich, die wie immer wochenlang am Klavier saß, dem Vokalensemble und den Laiendarstellern die Rollen einübte, das Orchester koordinierte und alle Proben und Aufführungen leitete. Was wäre freies Theater ohne solche Menschen, deren Engagement mit Geld nicht aufzuwiegen ist? Und da spreche ich nicht von der aufzuwendenden Zeit in der Vorbereitung, den Nerven, die man dabei immer läßt, dem Kraftverschleiß und dem jedes Jahr gestörten Sommerurlaub.

Großen Anteil am Gelingen des Regie-Konzepts, welches wie in den letzten Jahren sowohl auf Profis als auch auf Kräfte der Region setzt, hatte das Solistenensemble. Cornelia Marschall als temperamentvoll-zickig-zärtliche Eliza,  Stephan Wapenhans und Thomas Hartkopf als skurriles Junggesellen-Duo im Stil der beiden alten Herren aus der Muppet-Show, James Michael Atkins als Freddy, Sabine Schwarzlose als Mutter von Higgins und Joachim Völpel als Vater Doolittle gaben und konnten alles, was diese Stück braucht. Neben den gestandenen Darstellerinnen und Darstellern waren wieder quicklebendige Laiendarsteller und Tänzer zu erleben, körperlich und spielerisch fit und mit wohlklingenden Stimmen ausgestattet. Es muss einem nicht bange werden um Deutschland und seine Künstler. Höchstens darum, dass diese hoffnungsvollen, talentierten und wohlausgebildeten Menschen einen Job finden mögen. Denn: In der Jugend sich freiberuflich von Projekt zu Projekt durchzutingeln, ist nicht schwer und es ist ein lustiges Leben inmitten kreativer Gleichgesinnter. Aber wenn das Alter kommt, wenn die herbe 40, die graue 50, die verzweifelte 60 auf dem Geburtstagskuchen erscheinen, was werden sie dann machen, diese zahllosen Talente von heute? Wird es außerhalb der großen Staatstheater noch Musikerinnen und Musiker geben, die davon einigermaßen leben können? Oder wird es nur noch Musikschullehrer geben, die dann ab und zu ein bisschen auftreten dürfen, damit sie nicht in Schwermut verfallen?

Die leichte und mitunter selbstironische Inszenierung von Stephan Wapenhans tröstete aber schnell über solcherlei Gedanken hinweg. Kunst, das Theater speziell, hat immer überlebt und wird immer überleben. Zu groß sind die Verführungen und Reize auf beiden Seiten der Rampe. Und was würde sonst übrig bleiben? Es haben ja alle zwei Jahre lang erlebt: Ohne Kunst wird’s still. Theater am Rand des Planbaren, Theater am Rand der Machbaren, Theater am finanziellen Abgrund – und immer wieder solche schönen Stunden. Es möge noch lange so bleiben.

 

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