Michael Gnan war ein außergewöhnlicher Mensch, der sich immer mit aller Intensität für das einsetzte, was ihm wichtig erschien. Dabei ließ er weder Konventionen noch ihm nicht sinnvoll erscheinende Regeln und Vorschriften gelten. Es konnte sein, dass er anstelle einer Predigt Bachs Ave Maria musizierte. Er ließ während des Gottesdienstes den Trientiner Bergsteigerchor singen. Zur Zeit der Flüchtlingskrise nahm er in seiner Pfarrei eine syrische Flüchtlingsfamilie gegen den Willen seiner Kirchenoberen auf. Im Pfarrgarten züchtete er Hühner und Tauben und hielt einige Bienenstöcke. Er war kein Hochwürden, wie man sich das vorstellt, eckte an und begeisterte viele für einen zeitgemäßen christlichen Glauben, öffnete ohne dogmatische Enge den Blick weit über den Horizont hinaus.
Theologe und Musiker
Michael Gnan besaß eine außergewöhnliche Vielseitigkeit. In Theologie hatte er über ein musikalisches Thema promoviert, nämlich über die „Nachklänge des Buches Sirach: Von synagogalen Gesängen bis zur Gegenwart.“ Doch er studierte auch Komposition bei Dieter Acker und erhielt den Förderpreis Komposition des Bayerischen Rundfunks. Er spielte Violine und Violoncello; im Passauer Studentenorchester strich er den Kontrabass. An der dortigen Universität hatte er einen Lehrauftrag für Gregorianik. Zwei Jahre lang leitete er außerdem den Passauer Studentenchor. 1986 bis 2003 war er Pfarrer in Pörndorf und Uttighofen, anschließend bis 2017 in Grainet im Bayerischen Wald. Danach wurde er Seelsorger für Flüchtlinge ostkirchlicher Kirchen in der Diözese Passau. Für dieses Amt war er prädestiniert, auch da er noch im Alter arabisch gelernt hatte.
Ein zentrales Thema seines Lebens war Musik von sich bewegenden Schallquellen. Zunächst befasste er sich mit Klangpfeilen. Fasziniert vom altjapanischen Hikime-Ritual entwickelte er in Pörndorf die Klangpfeile. Er erfand mit Hilfe eines Orgel- und eines Flötenbauers sowie eines Bogentechnikers bruchsichere Pfeifen, die so gestimmt werden konnten, dass eine ganze Tonleiter erklang. Seine 20 Männer und Frauen zählende Klangbogenschützen-Gruppe Pörndorf konnte so mit den Klangpfeilen richtige Melodien spielen. Zusammen mit seinem Freund seit Jugendjahren, Willi Mixa, meldete er hierzu ein deutsches und europäisches Patent an.
Doch dann ging er noch einen Schritt weiter: Flüchtlinge erzählten ihm von der orientalischen Praxis des Schellenfluges von Tauben. Darauf begann er Tauben zu züchten und sich in dieses Thema zu vertiefen. Er reiste nach China, um die dortige Taubenmusik-Tradition zu studieren und brachte chinesische Taubenpfeifen mit nach Hause. In einer Tischrede Luthers fand er den Hinweis auf „tauben schellen“ und war beglückt, eine vergessene, christliche Tradition über den Umweg durch Arabien und China gefunden zu haben. Gnan verbrachte nun viel Zeit mit seinen Tauben, bis er sie so weit hatte, dass sie mit Pfeifen oder Schellen im Freien und auch in Kirchenräumen etwa bei der Pfingstmesse emporflogen und dabei zusammen mit einem Musikensemble am Boden eine Musik erklang, die Raum auf eine neue Weise erlebbar macht und die Erfahrung von Transzendenz ermöglicht. „Gott hat Mensch und Tier gleichberechtigt erschaffen.“ Auch dies wollte er mit den musizierenden Tauben zeigen. Aber er wollte auch ein Zeichen setzen, dass wir viel von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten lernen und dabei sogar alte, vergessene Traditionen unserer Kultur wiederentdecken können. Gnans Tauben erregten in ganz Deutschland großes Aufsehen, unter anderem auch beim 7. Bayerischen Tonkünstlerfest 2008 im Münchner Tierpark Hellabrunn.
Michael Gnan verband in seinem Leben die bodenständige Verwurzelung im Bayerischen Wald mit größter Weltoffenheit, christliche Spiritualität mit der Offenheit für andere Religionen, und er praktizierte christliche Nächstenliebe vor allem auch gegenüber den in Not geratenen Menschen aus Syrien und dem Nahen Osten, deren Sprache er erlernte, deren zerstörte Heimat er bereiste und die in seinen letzten Berufsjahren in den Mittelpunkt seines seelsorgerischen Engagements traten.
Michael Gnan verstarb am 26. September 2023 allzu früh, wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag. Der Bayerische Tonkünstlerverband trauert um einen mutig Grenzen sprengenden, empathischen und weitsichtigen Theologen und Musiker.
- Share by mail
Share on