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Unbekanntes aus dem Goethe-Umfeld

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Ein CD-Buch mit Liedern von Juliane Benda-Reichardt
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Immer wieder stoßen findige Musik­wissenschaftler*innen und Musi­ker*innen auf interessante Entdeckungen. Vor allem im Bereich der alten Musik sind die Archive noch voll von schlummernden Schätzen. Diese auszugraben, kann eine spannende Erfahrung sein, die auch der Pianist und Spezialist im Bereich historischer Aufführungspraxis Oliver Andreas Frank machte. Sein Fund galt einigen Liedern der Komponistin Juliane Benda-Reichardt (1752–1783), Frau des Goethe-Freundes und Komponisten Johann Friedrich Reichardt (1752–1814).

Als Tochter des Violinisten und ebenfalls Komponisten Franz Benda (1709–1786) war ihr die Musik quasi in die Wiege gelegt und Julianes späterer Mann scheint sie in ihrem musikalischen Tun gefördert zu haben, hat er doch den Druck einiger ihrer Lieder und zweier Klaviersonaten 1782 bei Breitkopf veranlasst. Zuvor waren einzelne Vertonungen der jungen Komponistin in der literarischen Publikationsform verschiedener Musenalmanache erschienen, wodurch sie offensichtlich schon bei Dichtern und Kunstliebhabern eine gewisse Beachtung fand.

Die Lieder selber sind zumeist einfache, schlicht gesetzte Strophenlieder, denen eine schöne, kantable und den Texten angemessene Melodieführung innewohnt. Manchmal erinnern sie fast etwas an die Bach’schen Schemelli-Lieder, wobei die Verfasserin mit ihrer Textauswahl bei den damaligen Zeitgenossen blieb. Von den Dichtern sind heute hauptsächlich noch Friedrich Klinger, Ludwig Hölty und Johann Gottfried Herder ein Begriff, die weiteren wie Johann Miller, Karoline Rudolphi oder Christian Weiße sind vermutlich eher den Literaturwissenschaftler*innen bekannt, welche diese Zeitepoche stärker im Blick haben.

Interessant ist nun das Konzept, mit dem Oliver Frank die alten Weisen wieder ans Licht holt. Da die Melodien nur in einfacher Form mit einer begleitenden Basslinie überliefert sind, harmonisiert er diese zunächst in schlichter Form aus. Danach schließen sich die von Frank quasi neu komponierten Lieder an, wobei er seiner Fantasie in der pianistischen Ausgestaltung der Begleitung und manchmal auch durch Umwandlungen der Singstimme freien Lauf lässt. Improvisatorische Elemente treffen dabei auf strenge Formen, wie zum Beispiel an einer Stelle ein einleitendes Fugato, das die Melodieführung vorwegnimmt. Frank versucht dabei den Stimmungsgehalt der Texte musikalisch zu kommentieren und schafft dadurch größere Zusammenhänge, die streckenweise an Schubert’sche Handhabung des Klaviersatzes erinnern und immer tonal gehalten sind.

Das Booklet selber ist sehr ausführlich und als kleines Buch gestaltet, in welches die CD eingelegt ist. Es finden sich dort alle Liedertexte, die üblichen Biographien der Musiker sowie Aufsätze zu der Komponistin und den his­torischen Hintergründen. Auch die vorhandene Analyse einer der Bearbeitungen kann aufschlussreich sein, um Franks Herangehensweise an seine kompositorischen Ausdeutungen besser verstehen zu können. Das alles ist sehr ansprechend und dazu reich bebildert.

Die Lieder werden interpretiert von der Sopranistin Judith Spiesser, die den Gesängen ihre innewohnende Schlichtheit lässt und mit ebenso unprätentiöser wie galanter Stimme die romantischen Inhalte wunderbar auszudeuten vermag. Oliver Andreas Frank spielt seine Sicht auf die Benda-Lieder selbst brillant am Fortepiano. Wenn auch in den Neuvertonungen manchmal die Form aus dem Rahmen zu fallen droht, kann dieses „Experiment“ doch als gelungen bezeichnet werden. Man wünscht sich beim Anhören nur, den Akteuren mit diesem Programm im Konzertsaal begegnen zu können, der Charme der alten Gesänge im Licht der Frank’schen Bearbeitungen wäre dann sicher noch schöner erlebbar.
 

CD-Tipp
Juliane Benda & Oliver Andreas Frank: Lieder 1782 & 2020
Judith Spiesser, Sopran, Oliver Andreas Frank, Fortepiano, www.palaion.de

 

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