Als Musikfachverband ist der Deutsche Tonkünstlerverband e. V. gefordert, nicht nur in Zeiten der Corona-Krise. Die neue musikzeitung hat mit der Flötistin, Musikwissenschaftlerin und Vizepräsidentin des Deutschen Tonkünstlerverbandes Adelheid-Krause-Pichler über aktuelle und zeitlose Verbandsthemen gesprochen. Adelheid Krause-Pichler engagiert sich seit Langem sowohl für soziale als auch künstlerische Belange des Vereins und seiner Mitglieder.
neue musikzeitung: Frau Dr. Krause-Pichler, was kann der DTKV in der momentanen, durch die Corona-Pandemie verursachten Lage für seine Mitglieder tun?
Adelheid Krause-Pichler: Die Aufgabe des Deutschen Tonkünstlerverbandes sehe ich hier vor allem darin, seine Mitglieder möglichst aktuell und vor allem umfassend über Unterstützungsmöglichkeiten und Regelungen zu informieren und sich zusammen mit Verbänden wie dem Deutschen Musikrat, anderen Musikverbänden und Initiativen anderer Freiberuflicher für eine Verbesserung oder zielgerichtete Anpassung von Hilfen einzusetzen.
Unsere Homepage dtkv.org bietet unseren Mitgliedern da eine umfangreiche und notwendige Sammlung von Informationen und Stellungnahmen. Viele musikpädagogisch Tätige unter den Mitgliedern haben zwar Ideen und Konzepte entwickelt, Musikunterricht online oder mittels Audiofiles zu erteilen, und konnten damit zumindest einen Teil ihres Einkommens erhalten. Doch der Verdienst der Mitglieder, die ausschließlich von Konzertreisen, Gastspielen, Aushilfen oder auch Muggen wie Hochzeiten, Taufen und Jubiläen leben, ist zu 100 Prozent weggebrochen, und vor Herbst ist keine Verbesserung abzusehen. Ich befürchte, dass es nach der Pandemie in der freien Szene weniger Musikschaffende geben wird als zuvor.
Was wir als Verband freilich nicht leisten können – was aber gelegentlich erwartet wird –, ist, dass wir selbst öffentliche Mittel einwerben und verteilen. Hinzu kommt, dass die Unterstützung freiberuflicher Kreativer in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausfällt und die Verordnungen für Unterricht oder Auftritte von der Einschätzung des jeweiligen Gesundheitsamtes abhängen; sie können daher sogar in den Kreisen eines einzelnen Bundeslandes unterschiedlich sein.
nmz: Aber auch abgesehen von der aktuellen Situation ist die finanzielle Lage von Musikerinnen und Musikern ein Dauerthema: Das Musikstudium ist lang und teuer, das reale Einkommen entspricht dem Aufwand oft nicht. Wo sehen Sie die Gründe?
Krause-Pichler: Es ist ja nicht so, dass nur Musikerinnen und Musiker lange studieren. Und auch sonstige Freiberufliche wie etwa Handwerker müssen Ausgaben und Einnahmen genau berechnen können.
Wer etwa bei einer öffentlichen Musikschule arbeitet, ist ganz oder zumindest teilweise sozial abgesichert. Freie Musikschaffende brauchen neben künstlerischen auch unternehmerische Qualitäten. Und wer Musik studiert und dann vor allem frei arbeiten will, muss wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Fleiß, Kreativität, Geduld und eine gewisse Hingabe sind Grundvoraussetzungen. Zusätzlich braucht es allerdings auch die Einsicht, dass die späteren Altersbezüge auch privat abgesichert werden müssen, dass eigene Rücklagen erforderlich sind. Denn von den 700 bis maximal 800 Euro, die im Lauf einer durchschnittlichen freiberuflichen Künstlerlaufbahn an gesetzlicher Rente herauskommen, kann niemand leben. Da kann man sich an den Zahlen der Künstlersozialkasse orientieren. Gelegentlich haben Studierende auch falsche Vorstellungen von ihrem späteren Künstlertum, der eigenen Karriere oder realistischen Verdienstmöglichkeiten. Da sehe ich freilich auch die Musikhochschulen in der Verantwortung: Sie wollen natürlich möglichst viele Studierende ausbilden, sollten gleichzeitig aber auch das Bewusstsein für die Gegebenheiten des Musikmarktes fördern. Ein erfolgreich abgeschlossenes Musikstudium garantiert noch keinen beruflichen Erfolg.
Künstlerisch steht der Deutsche Tonkünstlerverband in diesem Zusammenhang vor allem für Qualität, das heißt, alle unsere Mitglieder haben einen Hochschulabschluss. Sie sind überwiegend freiberuflich als Künstlerinnen und Künstler tätig, die meisten auch als Pädagoginnen und Pädagogen. Da sie ein unternehmerisches Risiko tragen, wäre eine Honorierung angemessen, die etwas über der angestellter Musiker liegt. Dafür setzen wir als Verband uns auch seit Langem ein.
nmz: Aber die Situation auf dem freien Markt ist oft so, dass möglichst billige Angebote für Unterricht oder Auftritte gesucht werden. Hängt das auch mit der Außenwahrnehmung von Künstler*innen und Pädagog*innen zusammen?
Krause-Pichler: Auf jeden Fall, hier fehlt es an Wertschätzung. Wer kennt nicht die Meinung, der oder die habe das Hobby zum Beruf gemacht? Den Aufwand, der hinter einer professionellen Musikerkarriere steht, wollen die wenigsten sehen, Musik als Beruf wird nicht ernst genommen. Die Frage lautet eher: Und womit verdienst du sonst dein Geld? Vor allem Musiker werden mit dieser Einstellung konfrontiert.
Gleichzeitig existiert die Vorstellung von Stars – nicht nur in Pop und Rock, sondern auch etwa in der Opern- oder Konzertszene –, die Hunderttausende oder Millionen im Jahr verdienen. Das sind aber nur sehr wenige Ausnahmen. Vom beruflichen Alltag Musikschaffender sind diese Klischees – brotlose Kunst hier, Superstar dort – jedenfalls weit entfernt.
Daher ist das öffentliche Eintreten für angemessene Honorare und eine entsprechende Wertschätzung – auch Selbstwertschätzung – als Berufsmusiker eine der Kernaufgaben unseres Verbandes, die wir zusammen mit anderen Musikverbänden, etwa der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), konsequent verfolgen.
nmz: Inwiefern wirkt sich die sich verändernde Situation an den Schulen – Stichwort Ganztagsschule – auf den Musikunterricht aus?
Krause-Pichler: Der DTKV ist zwar nicht per se der Ansprechpartner für den Musikunterricht in allgemeinbildenden Schulen. Trotzdem meine ich, dass das Potenzial junger Musikerinnen und Musikern gerade an Schulen viel besser genutzt werden könnte. In Zeiten, in denen immer wieder vom Mangel an Musiklehrerinnen und -lehrern die Rede ist, verstehe ich nicht, warum es nicht zu einer deutlich besseren Zusammenarbeit zwischen allgemeinbildenden Schulen und kommunalen oder freien Musikschulen kommt.
Der Musikunterricht an Schulen fällt aus, an Grundschulen wird Musik oft fachfremd unterrichtet; gleichzeitig reduziert sich durch die Unterrichtsdauer das Zeitfenster, in dem Schülerinnen und Schüler üben können. Hier könnten Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus der Musik pädagogisch eingearbeitet werden, nicht nur für Unterricht, sondern auch etwa für Musikklassen. Dafür können wir als Verband uns starkmachen.
Im Gegensatz zu Absolventen anderer Fächer bringen etwa studierte Musikpädagogen schon zumindest ein methodisches Konzept mit; und nicht alle Absolventen von Musikhochschulen finden ihr Auskommen als angestellte oder freiberufliche Künstler auf dem freien Markt.
nmz: Nun ist der Deutsche Tonkünstlerverband nicht nur ein Interessen-, sondern auch ein Fachverband, der sich etwa auch für die Weiterbildung seiner Mitglieder einsetzt. Wie sehen Sie die Rolle des Verbandes hier?
Krause-Pichler: Es gibt in der Tat ein großes Angebot an Weiterbildungen, nicht nur die des Bundesverbandes, etwa in Trossingen, sondern auch die der einzelnen Landesverbände in den Landesmusikakademien. Jeder Landesverband im DTKV bietet seinen Mitgliedern Weiterbildungen und sonstige Veranstaltungen an. Es ist sehr wichtig, dass diese Angebote vor Ort bestehen.
Der DTKV-Bundesverband kann ja auch nicht alle Bedürfnisse abdecken, aber er kann Akzente setzen, etwa durch die alljährlich stattfindenden D-A-CH-Tagungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, zu denen Dozentinnen und Dozenten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich eingeladen sind. Dazu kommen Seminare wie etwa das Kommunikationsseminar im letzten November oder sonstige Seminare zur Verbandsarbeit in Zusammenarbeit mit der Hanns-Seidel-Stiftung.
nmz: Sie sind außerdem Kuratoriums- und Jurymitglied beim Musikfonds e.V., der 2017 seine Tätigkeit aufgenommen hat. Wie sehen hier die Interessen des DTKV aus?
Krause-Pichler: Zuerst einmal ist es natürlich das Interesse an Neuer Musik. Der Musikfonds unterstützt mit 1,1, Millionen Euro jährlich Konzepte Neuer Musik, auch spartenübergreifende, die zum Beispiel Tanz oder Bildende Kunst mit einbeziehen.
Und zweitens ist der DTKV Mitgründer des Musikfonds, der auf Initiative von Kulturstaatsministerin Grütters zustande gekommen ist. Mit dabei sind außerdem der Deutsche Musikrat, die Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik, der Deutsche Komponistenverband, die Gesellschaft für Neue Musik, die Initiative Musik und die Union Deutscher Jazzmusiker. Ziel ist es, eine eigenständige und gerne auch experimentelle Art der Neuen Musik anzuregen.
Meine Rolle als DTKV-Jurymitglied sehe ich vor allem darin, auf Qualität, also das kompositionstechnische Handwerk zu achten. Viele der eingereichten Konzepte sind in erster Linie experimentell, es ist kaum noch eine wie auch immer geartete Notation zu erkennen. Uns ist wichtig, dass es bei eher traditionell orientierten Werken nicht zu einer völligen Entkoppelung von der kompositorischen Ausbildung kommt. Bei Konzepten aus den Bereichen Pop oder Jazz halte ich mich mit einer Einschätzung persönlich eher zurück, empfinde sie aber als große Bereicherung.
nmz: Auch gesellschaftspolitische Themen sind Ihnen wichtig, etwa Integration durch Musik – Stichwort Kuscheltier-Wettbewerb – oder Musikpädagogik für Menschen mit Behinderung. Sind das nicht eher Nischen?
Krause-Pichler: Nein, keinesfalls! Der bundesweit ausgeschriebene Kuscheltier-Wettbewerb unter der Schirmherrschaft der Kulturstaatsministerin fand in drei Runden statt. Gesucht wurden Kitas und andere Institutionen, die besonders gute musikalische Integrationsarbeit leisten. Dabei haben wir auch mit einem Komponisten zusammengearbeitet. Herausgekommen sind anrührende Videos von Kindergruppen, die Lieder singen und ihre Aufführungen durch entsprechende Kostüme und Bewegung bereichern.
Und behinderte und ältere Menschen gehören einfach in unsere Gesellschaft. Auch die musikalische Arbeit mit Älteren – die wir als Bundesverband noch nicht lanciert haben – ist keineswegs als Nische zu sehen. Denn Musik ist allgemeines Bildungsgut, nur leider ist uns hierzulande über Jahrzehnte der selbstverständliche Umgang mit Musik abhandengekommen.
Das Singen in der Familie oder auch in der Kirche ist nicht mehr selbstverständlich. Zwei Generationen sind in engen Wohnungen vor dem Fernseher oder mit der Dauerberieselung aus dem Radio aufgewachsen. Erst in den letzten Jahren gibt es ein allmähliches Umdenken, das können wir und können unsere Mitglieder weiter unterstützen.
nmz: Sie plädieren auch in einer Ihrer letzten Kolumnen für ein respektvolles Miteinander im DTKV, dessen Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich geleistet wird. Welchen Bedarf oder welches Verbesserungspotenzial sehen Sie in dieser Hinsicht?
Krause-Pichler: Mir fällt auf, dass sich mit der Zeit das Verständnis von der Aufgabe unseres Verbandes gewandelt hat. Der Bundesverband hat eine fest angestellte Mitarbeiterin, alle anderen arbeiten ehrenamtlich. Ein Verband, der auf dieser Ebene agiert, kann nur auf der Grundlage von gegenseitigem Austausch und gemeinsamem Hinarbeiten auf Ziele erfolgreich sein, sei es bei der notwendigen Verbesserung von Lebens-, Arbeits- und Unterrichtsbedingungen wie bei Kongressen, Konzerten oder Weiterbildungen.
Stattdessen erlebe ich, dass sich eine gewisse Ellbogen-Mentalität ausbreitet; an die Stelle gemeinsamen Engagements treten immer wieder Egoismen, die – quasi als Gegenleistung für die Mitgliedsbeiträge – bedient werden sollen. Leistungen des Verbandes wie die neue musikzeitung,
Versicherungsvergünstigungen oder Rechtsberatung werden von manchen dagegen entweder als selbstverständlich hingenommen oder – wie die nmz – rundheraus abgelehnt.
Ich vermisse den selbstverständlichen Zusammenhalt und auch die gegenseitige Wertschätzung, die ich in den Jahrzehnten meiner Vorstands- und Präsidiumsarbeit kennen und schätzen gelernt habe und ohne die ein ehrenamtlich ausgerichteter Verein wie der DTKV nicht erfolgreich arbeiten kann, und wünsche mir eine Rückkehr zu einer größeren Solidarität untereinander.
Wichtige Informationen im Zusammenhang mit der Corona-Krise gibt es im Newsticker des DTKV unter www.dtkv.org sowie unter https://www.kuenstlersozialkasse.de/die-ksk/meldungen.html und
https://www.arbeitsagentur.de/corona-faq-grundsicherung.
Informationen zu den von Kulturstaatsministerin Monika Grütters vorgelegten „Eckpunkten für ein Programm zur Milderung der Auswirkungen der Corona -Pandemie im Kulturbereich“ gibt es unter
https://www.nmz.de/kiz/nachrichten/bundeskabinett-beschliesst-milliarde…