2019 in Bremen ging auf Beschluss der Bundesdelegiertenversammlung des Deutschen Tonkünstlerverbandes e. V. aus dem bisherigen Bundesfachausschuss Freie/Private Musikschulen/Privatmusikerzieher der Bundesfachausschuss Existenzgrundlagen in Musikberufen hervor. Mit dem Namen änderte sich auch die inhaltliche Ausrichtung: Standen ehemals Themen rund um Musikunterricht und -erziehung im Mittelpunkt des Ausschusses, geht es nun um das Thema Existenzsicherung in Musikberufen. Über die Arbeit im Bundesfachausschuss Existenzgrundlagen in Musikberufen sprach die nmz mit Anja Schlenker-Rapke, Sängerin, Pädagogin, Chorleiterin und seit Kurzem gemeinsam mit Nathalia Grotenhuis Vorsitzende des Ausschusses.
neue musikzeitung: Frau Schlenker-Rapke, was war der Anlass für die Umbenennung und Neuausrichtung des Bundesfachausschusses?
Anja Schlenker-Rapke: Das Thema Honorare und Auskommen war schon immer sehr zentral und wurde in letzter Zeit verstärkt auch vom Deutschen Tonkünstlerverband e. V. aufgegriffen. In Baden-Württemberg, wo ich herkomme, gibt es bereits im vierten Jahr Honorarstandards, die mittlerweile auch vom Bundesverband übernommen wurden.
nmz: Weshalb die allgemeinere Formulierung „Musikberufe“?
Schlenker-Rapke: Der Deutsche Tonkünstlerverband vertritt und vereint ja alle Musikberufe. Wir haben viele Mitglieder aus dem Bereich Popularmusik, in dem es inzwischen viele Studiengänge und qualifizierte Abschlüsse gibt. Die Zusammensetzung unserer Mitglieder verändert sich sehr und wird vielfältiger; das Image ist nicht mehr so stark vom herkömmlichen Privatmusikunterricht geprägt. Daher war die Neuausrichtung und Umbenennung des Bundesfachausschusses vom Bundesverband auch gewünscht.
Das Berufsbild hat sich gewandelt
nmz: In welchen Berufsfeldern sind Musikerinnen und Musiker im DTKV tätig?
Schlenker-Rapke: Da gibt es zum einen die ganz klassischen konzertierenden Musikerinnen und Musiker, die solistisch auftreten oder auch in Orchestern und Chören beschäftigt sind, auch festangestellte Musiker sind dabei. Dann gibt es natürlich Musikpädagoginnen und -pädagogen, aber auch freiberuflich Tätige im Popularmusikbereich. Ich habe außerdem festgestellt, dass das Singen auf Hochzeiten und anderen Events für manche Musikerinnen und Musiker eine Lebensgrundlage darstellt. Und dieser Entwicklung wollen wir eben auch Rechnung tragen.
Außerdem werden diese Tätigkeiten im Berufsalltag üblicherweise kombiniert, so dass eine Patchwork-Tätigkeit die Regel darstellt und die meisten Mitglieder mehrere Einkommensquellen haben, zum Beispiel durch konzertierende Tätigkeit, Aushilfe in einem Chor oder Orchester und möglicherweise noch eine kleine feste Stelle an einer Musikschule oder einer Musikhochschule. Und dann kommen vielleicht noch Privatschüler dazu.
nmz: Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Existenzsicherung“?
Schlenker-Rapke: Wir bemerken auf der einen Seite in allen eben genannte Gebieten einen Rückgang an Festanstellungen, sei es in Opern oder Orchestern, an Musikschulen oder Musikhochschulen, und das ist ein großes Problem. Denn auf der anderen Seite ist die Lust am Musikstudium ist ungebrochen, die Zahl der Abschlüsse an Musikhochschulen immer noch hoch. Das Angebot an hochqualifizierten Musikerinnen und Musikern übersteigt die Nachfrage.
Das führt zu einem Preisverfall für das Konzertieren genauso wie für den Musikunterricht. Auch das Dumping in den eigenen Reihen resultiert aus diesem Überangebot: Beispielsweise treten manche Festangestellte mit gutem Einkommen umsonst auf oder geben für 15 Euro die Stunde Unterricht.
Diese Probleme wollen wir angehen. Wir wollen den Wert qualifizierter musikalischer Arbeit ins Bewusstsein führen. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, denn heute ist Musik überall mehr oder weniger kostenlos verfügbar, etwa im Internet oder über Streamingdienste. Und diese Erfahrung setzt sich dann auch im Denken fest: Wenn ich Musik kostenlos hören kann, können die auch für’n Appel und‘n Ei spielen oder Unterricht geben.
Ungleiche Voraussetzungen in den Ländern
nmz: Welche Unterschiede stellen Sie unter den einzelnen Landesverbänden fest?
Schlenker-Rapke: Ich stelle fest, dass etwa in Bayern und Baden-Württemberg die Möglichkeiten noch ganz gut sind, mit Musik Geld zu verdienen. Es gibt in beiden Bundesländern vergleichsweise viele Opernhäuser und Konzerte, ein interessiertes Publikum und eine große Laienmusikszene, die professionellen Musikerinnen und Musikern ein Betätigungsfeld bietet. Die Bezahlung ist dementsprechend besser als in anderen Bundesländern.
In Berlin dagegen etwa wirkt sich das Überangebot an Musikerinnen und Musikern sehr negativ aus: Berlin hat auf dem freien Markt die niedrigsten Gagen. Gesangssolisten beim Weihnachtsoratorium zum Beispiel können hier nicht mehr als 300 Euro verlangen. Es ist prekär, wenn man von solchen Engagements leben soll.
nmz: Wie können unter diesen Umständen Honorarstandards umgesetzt werden?
Schlenker-Rapke: Sie werden vor allem als Richtwerte in die Fläche kommuniziert. Zwar gibt es bei der Bezahlung regionale Unterschiede, aber die Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen zeigen uns, dass Honorare auch wirklich angehoben werden.
Auch in sozialen Netzwerken werden die DTKV-Standards als Maßstab herangezogen. Der Bundesverband Deutscher Gesangspädagogen hat unsere Honorarstandards ebenfalls übernommen, und ich kenne auch Regionalverbände, die sich daran orientieren.
Diese Standards müssen also erst einmal in der Musikszene selbst akzeptiert und umgesetzt werden – da gibt es noch viel zu tun!
Unerlässlich: Austausch und Kooperation
nmz: Wie häufig tagt der Bundesfachausschuss und welche Themen gibt er sich?
Schlenker-Rapke: Wir treffen uns drei- bis viermal im Jahr und nehmen jedes Mal Hausaufgaben mit. (lacht) Als ersten Schritt haben wir uns zur Aufgabe gemacht, für einzelne Bundesländer konkrete Honorarempfehlungen auszuarbeiten. Wir ziehen Erkundigungen über den Ist-Zustand bei den Honoraren ein und arbeiten danach Empfehlungen aus, also konkrete Zahlen, die auch realistisch sind.
Ohne diesen ständigen Austausch mit den Landesverbänden könnte der Bundesfachausschuss nicht arbeiten.
nmz: Welche Ziele hat sich der Bundesfachausschuss gesetzt?
Schlenker-Rapke: Unser oberstes Ziel ist die Verbesserung der Lebensgrundlage von Musikerinnen und Musikern, erstens durch konkrete Honorarempfehlungen und zweitens durch die Stärkung der betriebswirtschaftlichen Kompetenz der Einzelnen.
Drittens wünsche ich mir persönlich die verstärkte Kooperation mit anderen Verbänden und Gremien. Beim Thementag vor der letzten Länderkonferenz in Frankfurt (siehe Bericht S. 41, Anm. d. Red.) gab es eine Podiumsdiskussion mit Vertretern von VdM, bdfm, DTKV und ver.di, und da sehe ich auch für uns noch großen Handlungsbedarf. Nur gemeinsam können wir auf die Politik einwirken, um beispielsweise mehr Festanstellungen zu erreichen, zum Wohl von Musikerinnen und Musiker aller Sparten in ganz Deutschland.
Interview: Ines Stricker