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Vergessene und verfemte Musik

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Im digitalen Schaufenster der Hessischen Kulturstiftung
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Während der Pandemie ab Sommer 2020 hat die Hessische Kulturstiftung über 8000 kulturelle Projekte gefördert. Durch Zahlung der Stipendiengelder konnten Künstler:innen coronabedingte Honorarausfälle abfedern, vor allem aber auch an den eingereichten Projekten arbeiten, zu denen sie im normalen Alltag vielleicht gar nicht die Zeit und die Mittel gehabt hätten. Für viele war es ein Motivationsschub und eine Bestätigung des Wertes ihrer künstlerischen Arbeit für die Allgemeinheit.

Eine Retrospektive über die Verschiedenartigkeit der geförderten Projekte wird nun im digitalen Schaufenster der Hessischen Kulturstiftung gezeigt. Es wurden 150 Projekte ausgesucht und von einem Filmteam besucht, um die Künstler:innen und ihre Arbeit zu portraitieren. Die Projekte des Gießener Tenors Colenton Freeman und des Duos „Flöte an Tasten“ mit der Flötistin Ute-Gabriela Schneppat und Karin Heidrich (alle FTKB) wurden für das digitale Schaufenster ausgewählt.
neue musikzeitung: Welche Stipendien haben Sie und Ihre Duopartnerin Karin Heidrich erhalten?
Ute-Gabriela Schneppat: Wir haben jeweils sowohl ein Arbeits- als auch ein Projektstipendium erhalten. Beim Arbeitsstipendium haben wir nach von Komponistinnen geschriebenen Werken für Flöte und Klavier recherchiert und geforscht. Unser Projektstipendium diente dazu, unsere CD „La Flûte Femme“ mit Werken von Komponistinnen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts zu produzieren. Bei NEUSTART Kultur haben wir beide je ein Stipendium erhalten, dass es uns ermöglicht, acht Konzerte mit Werken von Komponistinnen in Altersheimen aufzuführen sowie sechs öffentliche Benefizkonzerte zugunsten von Frauenhilfsorganisationen zu veranstalten.
nmz: Welche ohne Stipendien nur schwer realisierbare Erfolge können Sie verzeichnen?
Schneppat: Zum einen konnten wir uns sehr intensiv auf die Suche nach Werken für Querflöte und Klavier von Komponistinnen begeben, diese vergessenen Schätze heben und proben. Zum anderen konnten wir durch das Projektstipendium sogar unsere CD „La Flûte Femme“ herausbringen, die seit August erhältlich ist. Dieses Projektstipendium mit der Produktion und Herausgabe der CD wurde für das Portrait im digitalen Schaufenster der HKST ausgewählt. Mithilfe des Brückenstipendiums können wir nun mit der Gestaltung einer eigenen Webseite beginnen.
nmz: Sie gedenken dabei vergessener und verfemter Musik von Komponistinnen.
Schneppat: Auf unserer CD „La Flûte Femme“ haben wir mit „Trois Morceaux“ von Rosy Wertheim und mit „A Bird’s Song About…“ von Ruth Schönthal auch zwei Werke von jüdischen Komponistinnen eingespielt, die durch die Nazis verfolgt wurden.

Ein weiteres Projekt, das sich diesem Thema widmet, ist das Konzertprojekt „These are the Days“. Am 9. November 2021, dem Gedenktag an die Reichspogromnacht, können wir durch ein Brückenstipendium dieses Konzertprojekt realisieren, bei dem wir zusammen mit weiteren Kolleginnen Werke der deutsch-amerikanisch, jüdischen Komponistin Ruth Schönthal aufführen. Wir wollen an diesem geschichtsträchtigen Tag streiflichtartig auf den enormen Verlust aufmerksam machen, den Deutschland durch die Vernichtung und Vertreibung der deutschen Juden erlitten hat.

Verfemt, aber nicht vergessen

nmz: Welche Stipendien haben Sie erhalten, Herr Freeman?
Colenton Freeman: Ich erhielt von der Hessischen Kulturstiftung ein Arbeitsstipendium zum Thema „Entartete Musik im Dritten Reich: Jazz, Swing und Blues“ als auch ein allgemeines Stipendium von der Deutschen Orchesterstiftung.
nmz: Unter welchem Aspekt beleuchteten Sie Ihr Thema?
Freeman: Es gibt viel Literatur zum Thema „entartete“ Musik im klassischen Musikbereich. Jedoch deutlich weniger über das Verbot von U-Musik in dieser Zeit. Und man hört sehr wenig darüber in der Öffentlichkeit.
Mein Anliegen war es durch meine Recherche einen Fokus darauf zu legen und dem Thema Gehör zu verschaffen.
nmz: Wissen Sie warum Ihr Thema für das „Schaufenster“ ausgewählt wurde?
Freeman: Die Hessische Kulturstiftung fand es sei ein sehr interessantes Thema und die Durchführung und Präsentation war sehr erfolgreich.
nmz: Wie näherten Sie sich der Projektstellung und -umsetzung?
Freeman: Als african-american Operntenor bin ich in meiner Heimat mit Swing, Blues und Gospels groß geworden. Insofern interessierte ich mich schon lange für Werke der „entarteten Musik“. Denn im Dritten Reich wurden Spirituals und Gospels, die von Schwarzen gesungen wurden, als „Niggermusik“ verunglimpft und deren Sängerinnen und Sänger politisch verfolgt. Ab 1933 gab es Aufführungsverbote für Jazz, Swing und Blues.
nmz: Sie boten bei der VHS in Gießen und an der Musikschule der Lahn-Dill-Akademie in Dillenburg Workshops hierzu an.
Freeman: Mit den Workshop-Teilnehmer*innen analysierte ich ausgewählte Musikstücke. Mit einigen Privatschüler*innen, Student*innen der Uni Kassel, ehemaligen Schüler*innen und einer Kollegin probten wir Werke, die zur „entarteten Kunst“ im dritten Reich gezählt wurden. Wir präsentierten eine Auswahl zum Abschluss des Projektes im Foyer des Stadttheaters Gießen.
nmz: Ergaben sich aus der durch die Stipendien geförderte Arbeit weiteres?
Freeman: Schon vor langer Zeit bemerkte ich, dass in Deutschland der Unterschied von Spiritual und Gospel nicht wirklich bewusst ist, die Begriffe oft synonym verwendet werden. Im Oktober habe ich beim FTKB einen Workshop mit dem Titel „Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Spirituals und Gospelmusik“ gehalten. Auch an der Uni Kassel werde ich zwei Workshops über dieses Thema im November durchführen, ebenso an der Musikschule in Dillenburg. Das Stadttheater Gießen wird mein zweites Projekt „Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Spirituals und Gospelmusik“ als Bestandteil der neuen Saison am 07.11.2021 in ihr Programm einbinden.

Diese Portraits wurden exemplarisch für die Arbeit von der Hessischen Kulturstiftung ausgewählt. Die Förderungen, die durch die insgesamt vier verschiedenen Stipendien der HKST seit dem Sommer 2020 haben insgesamt rund 8.000 Künstler*innen verschiedenster künstlerischen Couleur in den schweren Pandemiezeiten geholfen. Nicht nur finanziell, sondern vor allem als mentaler Anker, der ermutigte, weiterzumachen und nicht resigniert aufzugeben. Dies betonten die drei hier befragten Künstler*innen. Wir hoffen sehr, dass auch zukünftig weitere Stipendienprogramme aufgelegt werden. Denn die Auswirkungen der Pandemie werden noch lange Zeit im Bereich Kunst spürbar sein. Und wir können alle Künstler:innen nur ermutigen, sich um die Förderung ihrer Arbeit zu bemühen, sollten neue Förderprogramme auf den Weg gebracht werden.

 

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