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Versuch über das Glück

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Als mich die Redaktion fragte, über ein Stück neuer oder neuester Musik zu schreiben, blieb ich unmittelbar an einem Liederzyklus hängen, der mich seit der Uraufführung nicht mehr losließ. Die Aura zutiefst empfundener Innigkeit ist es, die mich gefangen hält, die Reduktion auf das Allernotwendigste und die subtile Bildlichkeit, die Raum lässt für Fantasie. Ich spreche von Max Beckschäfers (geb. 1952) „Versuch über das Glück“, einem Zyklus von sechs Liedern nach Gedichten von Erich Jooß (1946–2017). Das Opus wurde 2012 konzipiert und 2015 revidiert, erfuhr am 11. September 2015 seine Uraufführung in der Münchner Kesselhalle durch den Bariton Christian Rieger und mich, Oliver Fraenzke, am Klavier. Wir spielten den „Versuch über das Glück“ im gleichen Jahr für eine CD-Produktion von Genuin Classics ein, wo er 2016 erschien (Madrigali; GEN 16444).

Über allen Liedern steht als übergeordnetes Sujet das Altern, welches in unterschiedlichen Facetten reflektiert wird. Der zwölfminütige Zyklus hebt an mit der titelgebenden Vertonung von „Versuch über das Glück“, einer meditativen Prozession in ausschließlich langen Noten und reduziertem thematischen Material. Umso ruppiger kommt „Vergänglichkeit“ daher: Eine knurrende, drohende Klavierfigur eröffnet das Bild und bereitet vor auf das Tier, „das die Zeit frisst“. Harsche Akzente und treibende, immer wieder gegen den Takt gesetzte Rhythmik dominieren die Bildfläche, wodurch dieses Lied zum dramatischen Höhepunkt der ansonsten gemächlich-melancholischen Grundstimmung des Zyklus wird. „Gedicht für einen Baum“ beschreibt die vier Jahreszeiten in Bezug auf den Naturgiganten und sinnbildlich damit für die vier Lebensabschnitte des Menschen. Im Anschluss fragt der Dichter nach dem Ende: „Wie lange noch“, wonach das Klavier allmählich verklingt. Vollständig reduziert bildet „Im Garten von Schloss Hirschberg“ den Ruhepol des Zyklus’, jeder Vers wird durch eine lange Pause abgesetzt und das Klavier antwortet mit sphärischen Dreitonclustern oder einzelnen, dissoziierten Tönen. Die intuitive Bildlichkeit Beckschäfers zeigt sich in „Der glückliche Löwe“ besonders deutlich, die einzelnen Stimmungen des Textes werden in rezitierendem Tonfall vom Bariton dargestellt und in rasch wechselnden Gesten des Klaviers kommentiert. Das Finale, „Santa Maria dei Miracoli“, stößt in der orchestralen Gestaltung des Klaviersatzes an die Grenzen des klanggeberisch Machbaren, besonders dann, wenn die vierzehn Stufen, die „in den Himmel führen“, tatsächlich im Untergrund aufsteigen.

„Versuch über das Glück“ steht in einer unverkennbaren Handschrift Max Beckschäfers geschrieben, aus der man unterschiedliche Figuren und Charakteristika auch in anderen Werken vergleichbar wiederfindet, so beispielsweise die Dreitoncluster, die langen, scheinbar konturlosen, innerlich aber doch geordneten Achtelketten, die Wechselhaftigkeit zwischen Dur und Moll wie auch Tonalität und Freitonalität, sowie die unprätentiöse, unaufdringliche Art der Musik, welche feinabgestimmte Auslegungen der Texte mit musikalischer Farbigkeit verbindet.

 

 

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