Architektur ist das Fundament, Rhetorik das Gehäuse: Die schlicht „Klaviermusik des 20. Jahrhunderts“ genannte, auch Live-Aufnahmen beinhaltende Einspielung des Augsburger Pianisten Stephan Kaller entstand laut Booklet „ausgehend von einem Benefizkonzert zugunsten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ anlässlich einer Tagung im November 2013.
Nur vier Werke stehen auf dem Programm, das letzte hat die in der Neuzeit seltene Besetzung mit zwei Klavieren, doch die knapp einstündige Spieldauer ist gehaltvoll. Jeder Beitrag besitzt – neben der konventionellen Spielweise als weitere Gemeinsamkeit – etwas architektonisch Monumentales, Manifestes, dem auch Stephan Kallers Können zugutekommt. Der gebürtige Würzburger und ebenso sein Klavierpartner Pavol Kovác in Richard Hellers (geb. 1954) elfminütiger erzählerischer Genese „Essay“ spielen mit beeindruckender Virtuosität, die sich nicht nur auf Tempo und Brillanz beschränkt. Kaller, versiert in der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, gestaltet mit architektonischer Transparenz, mit sinnigen Farben und Anschlagsabstufungen. Zwei überregional bekannte Augsburger Komponisten wechseln sich mit international renommierten Tonschöpfern ab und die Paarung klingt gut. Nach Chatschaturjans selten gespielter dreisätziger Sonate in der Neufassung von 1972, einem dauergeschäftigen Virtuosenstück, motorisch, skandierend, hämmernd, durchtränkt mit Folklore und im „Andante tranquillo“ orientalisch sinnlich, wirken die vier Etüden „Rhythmen und Konturen“ von Karl Erhard (geb. 1928) wie neutralisierend regeltreue Gebäude. Der klar herausgearbeitete jeweilige Fokus wie die Dauer-Rotation im 9/8tel-Takt, die schlüssige Rhetorik in unbekannter Sprache oder die Spannung durch freie Harmonik in tradierten Formen wie im Finale haben analytischen und emotionalen Reiz. Gegensätze ziehen sich an, reagieren aufeinander, assimilieren, arrangieren sich in Michael Kemp Tippetts vielseitig bravouröser, schillernder, vielsagender Sonata Nr. 2 – aber sie fusionieren nicht. Richard Hellers „Essay“ schließlich, wie aus einem Guss gespielt, führt durch viele charakteristische Phasen, sich entwickelnd auf dem Zeitstrom, denen man gerne folgt. Empfehlenswert.
„Klaviermusik des 20. Jahrhunderts – LIVE“, Stephan Kaller (Klavier); ISSAMusik