Das sicher ungewöhnlichste Stück des Abends war das Quartett für Violine solo von Otto Soldan.
München. Musiker sollen von ihrem Beruf leben können; guter Instrumentalunterricht soll für alle Kinder und Jugendlichen verfügbar und bezahlbar sein; Musik soll in unserer Gesellschaft der Platz eingeräumt werden, der ihr gebührt. Für diese Ziele engagiert sich der Tonkünstlerverband Bayern seit vielen Jahren.
Ein Glück, dass er in Ingolf Turban einen tatkräftigen, künstlerischen Partner gefunden hat, der all diese Ziele in sich vereint: er ist ein erfolgreicher Musiker mit großem Renommee, dem es selbst ein ureigenes Anliegen ist, junge Musiker zu fördern. Dabei hat er es gar nicht nötig, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen oder den pädagogischen Zeigefinger zu erheben. Sein Können, seine Musikalität und seine sympathische Art sprechen für sich.
Davon konnten sich die zahlreich erschienenen Gäste bei Turbans Konzert „Viersaitig vielseitig“ am 3. Februar im Max-Joseph-Saal der Residenz selbst überzeugen. Virtuos begann der Abend mit zwei Paradestücken im eher spätromantischen Stil: mit der Sonate pour violon seul op. 27 Nr. 4 von Eugène Ysaÿe sowie dem Recitativo und Scherzo op. 6 von Fritz Kreisler. Neben allem technischen Können und gestalterischen Raffinessen wurde vor allem eines deutlich, was sich auch den Rest des Abends fortsetzte: Turbans Geige singt förmlich unter seinem Bogenstrich.
Besonders stark war dieser Eindruck bei Camillo Sivoris Capriccio op. 25 Nr. 5. Das Andante religioso kommt sehr innig und melodiös daher, erinnert stark an italienische Opernmelodien und verführte beinahe zum Mitsummen. Grund zum Staunen dagegen gaben die Introduzione e variazioni sul tema „Nel cor più non mi sento“ von Niccolò Paganini, Sivoris Lehrer. Dieses Stück basiert zwar auf einem Opernthema, um es spielen zu können, muss man allerdings geradezu akrobatische Fähigkeiten besitzen. Doch Turban war nicht mal der Anflug einer Anstrengung anzumerken. Er spielte leicht und pfiffig, mit viel Charme und Witz, und vor allem mit sichtlich Spaß – Riesenapplaus.
Das sicher ungewöhnlichste Stück des Abends war das Quartett für Violine solo von Otto Soldan. Turbans Einführungstext dazu: „Bei Musikern, heißt es, ist ja öfter mal eine Schraube locker.“ Hier war das buchstäblich so, denn Soldan sieht vor, dass der Geiger seinen Bogen aufschraubt und mit ihm die Geige quasi umhüllt. Mit dieser Technik wird jede Seite immer von den Haaren des Bogens berührt, und so ist der Spieler in der Lage – und gezwungen –, vierstimmig zu spielen. Das Stück ist im Wesentlichen ein strenger, vierstimmiger Choral und gleichzeitig „das kürzeste Streichquartett mit dem geringsten Personalaufwand“. Ähnlich launig der Titel zu Paul Hindemiths Sonate für Violine allein op. 31: „… Es ist so schönes Wetter draußen…“. Und tatsächlich nahm unter Turbans Bogenstrichen der Frühling in all seinen Facetten Gestalt an – das zarte Erblühen, die Kraft und Lebendigkeit, die Sehnsucht nach neuen Anfängen.
Zum krönenden Abschluss zeigte Ingolf Turban noch eine völlig andere Seite seines Könnens. In der Partita Nr. 2 von J.S. Bach gelang ihm das seltene Kunststück, die Klarheit und Transparenz der Barockmusik differenziert herauszuarbeiten und gleichzeitig seinem romantisch-weichen, fast ariosen, Violinklang beizubehalten. Turban ließ die Klänge tanzen, spielte mit Klangfarben, mal schroff, mal flötend und zeigte das Leiden, die Zerrissenheit der menschlichen Existenz, um die es bei Bach so oft geht. Nach dem letzten Ton: tosender, nicht enden wollender Beifall.