Das Mitglied des Bremer Tonkünstlerverbandes Ursula Görsch ist seit vielen Jahren neben ihrer vielfältigen pädagogischen Tätigkeit auch in hohem Maße als Komponistin aktiv. Am 14. Februar 2015 findet eine Ur- beziehungsweise Erstaufführung zweier großangelegter Vertonungen in der Bremer Kulturkirche St. Stephani statt.
Die zur Uraufführung stehende, im vergangenen Jahr komponierte Kantate „Menschen ohne Welt“ für Bariton, Sprecher, Chor und Ensemble behandelt die Gefährdung der Natur durch den sorglosen Umgang der Menschen mit der Umwelt.
Dabei bezieht sie sich nicht nur auf den Klimawandel generell, sondern vor allem auf den insgesamt sorglosen Umgang der Menschen mit der Umwelt.
Ausgehend von kurzen gesungenen und gesprochenen Bibelzitaten, die auf die von Gott den Menschen gegebene Verantwortung für die Natur hinweisen, werden Texte in fünf verschiedenen Sprachen und aus mehreren Jahrhunderten bis in die Gegenwart vertont, die sowohl die Schönheit der Schöpfung beschreiben als auch Anklage erheben gegen die Gleichgültigkeit der Menschen. Zu diesem Thema passende Texte zu finden, erwies sich als ausgesprochen schwierig, da sowohl die Schönheit der Natur als auch das kurzfristige Profitstreben der Menschen dargestellt werden sollte. Neben den Bibelzitaten wurden Texte von Franz von Assisi, Echnaton, Ali Yilmaz, Inge Buck und anderen sowie Texte indianischen Ursprungs vertont. Ursula Görsch verwendet hierzu sehr unterschiedliche musikalische Mittel. Neben ausgesprochen gesanglichen Linien sind für den Chor auch reine Sprechtexte, hart dissonierende Cluster und komplexere Rhythmen vorgesehen. Neben dem Bariton als gesanglichem Hauptträger agieren noch ein Sprecher, ein Chor sowie ein Ensemble aus Oboe, Saxophon, Violoncello, Kontrabass, Marimbaphon, diverse Perkussionsinstrumente und Klavier.
Das zweite Werk des Abends – beide Kompositionen dauern circa je 30 Minuten – ist der bisher nur in Teilen aufgeführte „Orientalische Zyklus“ aus dem Jahr 2008. Grundlage sind Texte zweier namhafter türkischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Nâzim Hikmet und Orhan Veli Kanik. Die acht Lieder für Bariton, Oboe, Violoncello und Klavier sind in zwei Gruppen aufgeteilt, eine Vierergruppe behandelt das Thema „Reisen“, die anderen sind Liebeslieder.
Der türkische Bariton Levent Bakirci singt selbstverständlich alle Texte in der Originalsprache. Wie ist es zu dieser Komposition gekommen? Simples Aufräumen in der eigenen Wohnung brachte viele teilweise schon vergessene Gegenstände und Texte zum Vorschein, die Ursula Görsch während ihres Türkeiaufenthaltes zusammengetragen hatte. Zu einer Zeit, als Istanbul „nur“ rund eine Million Einwohner zählte, die Türkei noch keine Bedeutung für den bundesrepublikanischen Bewusstseinshorizont hatte und westliche Tendenzen noch kaum im Alltagsleben auszumachen waren, war die 1932 geborene Ursula Görsch ab 1964 für fünf Jahre an der deutschen Schule in Istanbul tätig und hat dort viel Grundlagenarbeit in pädagogischer und musikalischer Hinsicht geleistet. Seinerzeit fand sie in erster Linie die türkische Lyrik faszinierend, die fremdartigen Bilder, Symbole und Vergleiche, eben der „so ganz andere Blick auf die Welt“, wie sie betont. Später, nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, beschäftigte sie sich intensiv mit weiterer türkischer Literatur und fand ihre Beobachtungen zum Beispiel auch in Romanen bestätigt. Nach diesen „Wiederentdeckungen“ beschäftigte sie sich erneut intensiv mit türkischer Literatur und stellte die acht Texte von Hikmet und Kanik zusammen. Dass sie für die Vertonung musikalische Orientalismen nutzte, melismatische Umspielungen in der Melodik, leichte Verschiebungen in der Rhythmik et cetera, ist da nur naheliegend. Gleichzeitig sind sie jedoch auch eingebettet in klanglich-strukturelle Konstanten mitteleuropäischer Musiksprache.
In Zusammenarbeit mit dem türkischen Konsulat in Bremen werden viele türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu diesem Konzert eingeladen. Denn die gegenseitige Wertschätzung der jeweils anderen Kultur, wie sie sich in diesem Konzert und überhaupt im kompositorischen Schaffen von Ursula Görsch manifestiert, geschieht nicht so oft und bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit. Insofern freut es alle Beteiligten, dass Radio Bremen dieses Konzert mitschneiden wird.
Neben dem schon erwähnten Bariton Levent Bakirci wirken weiterhin mit: Ulrich König (Oboe), Klaus Fischer (Saxophon), Konrad Seeliger (Violoncello), Ralf Stahn (Kontrabass), Olaf Tzschoppe (Perkussion), Juan Maria Solare (Piano) und Hsin Lee (Marimba). Es singt die Bremer Kantorei St. Stephani, die Leitung hat der Leitende Kirchenmusiker, Musikdirektor der Kulturkirche und erste Vorsitzende des Bremer Tonkünstlerverbandes Tim Günther. Das Konzert findet am Samstag, den 14. Februar 2015, in der Kulturkirche St. Stephani in Bremen statt. Beginn ist um 20 Uhr.