Leah Frey-Rabine feierte ihre großen Erfolge als Wagner- und Strauss-Sängerin unter anderem als Elektra in der legendären Inszenierung von Ruth Berghaus in Dresden und als Brünnhilde in zahlreichen Inszenierungen europaweit. Seit Jahren betreibt die aus Minnesota stammende Sängerin ein Gesangsstudio im Frankfurter Norden und an ihrem Wohnort in der Wetterau und ist als Stimmbildnerin für den Opernchor der Frankfurter Oper tätig. Nun hat die 2. Vorsitzende des Frankfurter Tonkünstlerbundes e.V. mit Mitte sechzig ihre Ausbildung als jüdische Kantorin absolviert und wurde am 12. Januar 2014 in Broomfield, Colorado als Chasan (jüdische Kantorin) ordiniert.
neue musikzeitung: Leah, ich möchte dir zur Ordination ganz herzlich gratulieren! Mich interessiert natürlich besonders, warum du als bekannte Wagnersängerin mit Mitte sechzig eine völlig neue Karriere als jüdische Kantorin begonnen hast?
Leah Frey-Rabine: Nun, dass ich einmal Chasan werden würde, hätte ich früher auch nicht gedacht. Unsere Familie war praktisch die einzige jüdische Familie in unserem Ort. Die Feste haben wir mit Familien aus unserem Nachbarort gefeiert, an Jom Kippur blieben wir einfach zu Hause. Als Kind wollte ich sogar Nonne werden wegen der schönen Tracht. Den Impuls, Sängerin zu werden, erhielt ich durch die Liveübertragungen von der MET im Radio. Da wusste ich: Das wollte ich auch werden! Mein Vater hat mir oft mythologische Erzählungen vorgelesen. Mir haben die nordischen Mythen immer am besten gefallen und beim Spielen war ich nicht wie die anderen Kinder ein Cowboy, sondern eine Walküre. Erst vor etwa 15 Jahren habe ich mich auf meine jüdischen Wurzeln besonnen und bin durch den Frankfurter Egalitären Minjan, einer liberalen Gruppierung innerhalb der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, zu einer zunehmenden Identifizierung mit meinem Judentum gekommen. Mit der Zeit entstand dann das Bedürfnis, aktiv an der Gestaltung der Gottesdienste mitzuwirken und es wurde mir auch nahe gelegt, mich dem liturgischen Gesang zuzuwenden.
nmz: Wie sieht die Ausbildung zum Chasan aus? Welche Inhalte werden da vermittelt?
Frey-Rabine: Ich habe meine Ausbildung beim „Aleph: Alliance for Jewish Renewal“ gemacht. Dort habe ich mich 2009 für den Studiengang „Cantorial Studies“ eingeschrieben. Viele Teilnehmer dort starten wie ich auch ihre zweite, dritte oder sogar vierte Karriere. Alle Teilnehmer eint der Wunsch, ein Judentum zu erlernen und zu vermitteln, das lebensumfassend ist. So entsteht Kontinente übergreifend eine wunderbare Gemeinschaft unter den Teilnehmern. Als Chasan, also Vorbeter, braucht man nicht nur eine gute Stimme, sondern auch fundierte Kenntnisse der jüdischen Liturgie und der hebräischen und aramäischen Sprache. Unsere Ausbildung umfasst daher neben dem liturgischen Gesang auch Geschichte, Philosophie und jüdische Religionslehre. Die Ausbildung findet vor allem online als „Ausbildung ohne Mauern“ statt. Man muss verschiedene Teleklassen besuchen, die regelmäßig jede Woche stattfinden. Außerdem findet immer im Sommer ein Intensivkurs in den Staaten statt. Wenn man dann die nötigen Kenntnisse erworben hat, wird man in einer feierlichen und spirituell sehr ergreifenden Zeremonie ordiniert. Die Ordination war für mich ein tiefgreifendes Erlebnis, das mich noch wochenlang wie auf Wolken schweben ließ.
nmz: Hat Dir Deine klassische Gesangsausbildung bei der Ausbildung geholfen?
Frey-Rabine: Einerseits ja, andererseits nein! Wie beim Operngesang sind wir als Chasan ja keine Selbstschaffenden, sondern erschaffen durch unseren Gesang bereits vorgeschriebene Melodien neu. Die Melodien der jüdischen Liturgie sind sehr alt. Sie stammen aus dem Mittelalter und sind zum Teil sogar noch älter. Für jede Liturgie, jede Begebenheit gibt es spezielle Melodien, unterschiedlich für die verschiedenen Feste, für den Sabbat oder die unterschiedlichen Wochentage. Wir sind als Chasan wie auch als klassischer Sänger Mittler zwischen den Melodien des Gottesdienstes beziehungsweise den von Komponisten erschaffenen Melodien der Opern oder Kunstlieder. Aber natürlich kann man in der Synagoge nicht wie auf einer Opernbühne auftreten. Neu war auch für mich, dass der liturgische Gesang viel mehr von mir als Musikerin abverlangt, da der Chasan aus einer Vielzahl von modal basierten Melodiefragmenten improvisierend die Liturgie lebendig macht. Ich möchte Hörer berühren, so dass in ihnen vielleicht ein Spalt zum Heiligen aufgeht. Ich habe meine Wege nicht alleine bewältigt; ich stehe auf mächtigen Schultern. Ich kann ihr Vermächtnis am besten würdigen, indem ich es der nächsten Generation weiterreiche. Das mache ich als Gesangslehrerin und auch als jüdische Geistliche. Es ist mir eine Ehre und ein Bedürfnis, mit dieser Fähigkeit in meinen beiden, sehr unterschiedlichen Welten tätig sein zu dürfen. Ich bin tief dankbar. nmz: Ich danke dir für diese interessanten Einblicke in deine Ausbildung zum Chasan und wünsche dir „Masel tov“ für deine beglückende Tätigkeit – sowohl im praktischen Ausüben als auch beim lehrenden Weitergeben einer großen Tradition.