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„Was mache ich, wenn  …???“

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Der Kinderschutz im Fokus des Augsburger Seminars für Musikpädagogen
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Das Thema Sexualisierte Gewalt wird seit einiger Zeit erfreulicherweise breit diskutiert statt tabuisiert. Die Folgen für die Opfer sind traumatisch, tief und langdauernd – umso mehr, wenn die Opfer Kinder sind. Einem Drittel aller Jugendverbände sind Fälle von sexueller Gewalt bekannt. Dabei stellen die erfolgten Anzeigen lediglich das „Hellfeld“ dar. Die Dunkelziffer wird auf ein Vielfaches mehr geschätzt.

Prävention von Grenzverletzungen ist etwas, das auch den Musikpädagogen unter den Nägeln brennt – das zeigten bei der eintägigen Fortbildung „Was mache ich, wenn ???“, angeboten vom Landesverband der Freien Musikinstitute Bayern (LDFM), einerseits die maximale Teilnehmerzahl aber auch die regen Diskussionen, die den ersten Teil weit in den zweiten hinein verlängerte. Letzterer behandelte Verhaltens- und emotionale Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter und bot ebenfalls genügend Stoff für ein Tagesseminar. Daher wären beide Themen ein Wochenende wert gewesen, doch dieser Einwand bleibt der einzige. Abgesehen davon war das Seminar im Augsburger „Downtown Music Institute“ ein Pflichtprogramm für Musikpädagogen und hervorragend gestaltet: Die Dozentinnnen, Diplom-Pädagogin Stephanie Gadreau und Diplom-Sozialpädagogin Hanna Deggendorfer, beide mit langjähriger Erfahrung im Augsburger Amt für Kinder, Jugend und Familie, informierten kompetent und gekonnt auf den Musikunterricht bezogen über ihre komplexen Sachgebiete.

Es gibt leider mehrere Formen der seelischen und körperlichen Kindeswohlgefährdung, und die sexuelle Gewalt ist sicher die schlimmste. Ihre Abhängigkeit von den Erwachsenen macht Kinder zu leichten Opfern, manche unter ihnen mehr als andere: Typ, Umfeld und Familie spielen hier eine Rolle. Die Täter, meist männlich, aber auch weiblich, stammen überwiegend aus dem nahen sozialen Umfeld und planen meist ihre Tat voraus. Das Erleben von Macht ist ein beherrschendes Motiv. Fehlen allgemeine Regeln und Standards, ist eine Grenzverletzung schnell passiert. Auch sexuelle Übergriffe und ein vorheriges „Austesten“ lassen sich leichter „tarnen“, wenn es keine klaren Richtlinien gibt. Der Musikunterricht nimmt hier durch die geringe Distanz von Lehrer und Schüler eine exponierte Rolle ein: Der Einzelunterricht im geschlossenen Raum, die Notwendigkeit von Berührungen, um die richtige Technik an Klavier, Blasinstrument oder beim Singen zu lehren, können heikel sein. Ein vorheriges Abklären beim Schüler und Informieren der Eltern ist deshalb ratsam. Körperliche Arbeit sollte zuerst kommuniziert werden. Möglich ist auch, dem Schüler die Kontrolle zu geben oder ihn zuerst berühren zu lassen. So könnte er zum Beispiel am Lehrer die ideale Haltung von Handgelenk oder Schulter spüren, bevor dieser ihn dieselbe lehrt. Lehnt der Schüler die Berührung ab, muss der Musikpädagoge zu Alternativen wie Spiegel oder Ähnlichem greifen. Wichtig, so der Tenor in der Seminarrunde, ist neben Achtsamkeit und Einfühlung auch die innere Distanz des Lehrers: Man muss als Erwachsener die Grenze ziehen, auch wenn das Kind oder der Jugendliche sich nähert. Gespräche mit Kollegen oder Schulleitung können im Zweifelsfall Klarheit und Rückendeckung geben. Andererseits sind die Musiklehrer oft Vertraute der Schüler und dadurch in der Lage, Veränderungen im Verhalten bald zu erkennen. Ist der Schüler etwa über längeren Zeitraum deutlich anders als sonst und steht der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung im Raum, hilft neben den Gesprächen mit Schulleitung und Kollegen die professionelle Anlaufstelle weiter. Der Augsburger Kinderschutzbund e.V. etwa bietet eine vertrauliche telefonische Beratung und anonyme Einschätzung, in akuten Fällen helfen außerdem Jugendamt oder Polizei. Eine schriftliche Dokumentation der Beobachtung ist unerlässlich.

Außerdem sei es wichtig, „Ruhe zu bewahren“ und den potenziellen Täter über Ermittlungen „im Unklaren zu lassen“, rieten beide Pädagoginnen. Vor allem aber gilt: „Der Schutz des jungen Menschen ist handlungsweisend.“ Vertraut er sich dem Musiklehrer an, solle er keine Versprechen geben, die er nicht halten könne. Denn verlangt der Schüler von seinem Musiklehrer Schweigsamkeit und hält sich dieser daran, macht er sich strafbar. Nicht ganz so aufwühlend, aber ähnlich inhaltsreich war der darauffolgende Seminarteil „Zappelphilipp, Traumsuse & Co.“ über Verhaltens- und emotionale Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, allen voran der ADHS, einer Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwäche mit oder ohne Hyperaktivität (H). Die „betroffenen“ Kinder können ihre Eindrücke nicht filtern und erleben sie somit in gleicher Intensität. Doch wie bei allen „Besonderheiten“ bietet auch diese großes Potential: AD(H)S-Kinder sind oft hochsensibel, überdurchschnittlich kreativ und musisch, haben eine erweiterte Sinneswahrnehmung und neben ausgeprägtem Sinn für Komik ein ebensolches Gespür für Fairness. „Eine wirkungsvolle Pädagogik stellt die Potentiale in den Mittelpunkt“, betonte Hanna Deggendorfer. Musikunterricht kann Balsam für Kinder mit AD(H)S sein. Wichtig sei es, eine wohlwollende Beziehung aufzubauen. Ungeteilte Aufmerksamkeit, echtes Interesse an allen Inputs, wiederholtes Lob, Unterscheiden zwischen Person und Verhalten und eine Einbindung des Schülers in die Lernzielfindung, klare Struktur, Minimierung aller störenden Reize, kurze und nachvollziehbare Sätze, wenige, aber gemeinsam vereinbarte und fixierte Regeln sind Wege zu einer guten, konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Schüler – mit oder ohne AD(H)S.

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