Moisei Boroda: Ihr Klavierabend in der indonesischen Hauptstadt Jakarta am Vorabend des diesjährigen Nationalfeiertags wurde in der Presse als „historisches Ereignis im indonesischen Musikleben“ bezeichnet. Herzlichen Glückwunsch für weitere Erfolge! Und jetzt zum Thema unseres heutigen Treffens: In unserem Gespräch nach Ihrem Klavierabend in Dortmund mit den Werken georgischer und deutscher Komponisten habe ich Ihnen meine Bewunderung ausgesprochen für Ihre Fähigkeit, sich als Interpret in die für Sie gänzlich neue Klangwelt so zu vertiefen, dass Sie die Werke stilistisch authentisch spielen können. Ist diese Fähigkeit dem Wunsch zuzuschreiben, immer etwas Neues auszuprobieren, sich in die neue Geistes- Klangwelt „hineinzustürzen“?
Rainer Maria Klaas: Danke für Ihre anerkennenden Worte! Natürlich stimmt es, dass mich als Interpreten immer wieder neue Aufgaben reizen. Und da wir von Klaviermusik sprechen, sind gewisse Gesetzmäßigkeiten der Klangerzeugung naturgemäß vorgegeben wie bei westlicher Musik auch. Zum Beispiel wäre es eine echte Herausforderung, die Gamelan-Tonalität – bei uns meist pauschal als „Pentatonik“ verbucht – mit ihren oft „zu großen“ Terzen auf einer Geige oder mit der Stimme zu imitieren – beim Spiel auf einem selbstredend auch in Indonesien temperiert gestimmten Flügel löst sich derlei von selbst.
Ohnehin muss ich etwas relativieren. Ein Teil meines Programms im Jakarta Art Building war durchaus europäischer oder westlicher Herkunft – allerdings mit Ausrichtung auf indonesische Themen. Zum einen war das die in meinen Augen geniale Java-Suite von Leopold Godowsky, zum anderen zwei Stücke des großartigen spanischen Komponisten Jesús Torres, der mit seinem „Memento“ auf die Terroranschläge in Bali 2002 Bezug nimmt, und ebenso wie Godowsky auch ein motorisch bewegtes Stück auf die quirlige javanische Stadt „Jakarta“ – bei Godowsky noch „Old Batavia“ – komponiert hat. Des Weiteren standen Stücke des Indonesiers Jaya Suprana auf dem Programm und, als Uraufführung, meine eigenen Variationen auf ein weiteres Thema von Suprana. Da Suprana seinerseits in Deutschland ausgebildet wurde, ist die kulturelle Kluft, die ich dabei zu überbrücken hatte, überschaubar.
Boroda: Gut, aber indonesische Komponistenmusik ist klanglich, wie auch in Bezug auf die Formgestaltung, etwas ganz anderes als das, was Sie zuvor gespielt haben. Wie haben Sie den Bezug gefunden, was war die „Brücke“?
Klaas: Ich war schon einmal vor fünf Jahren in Jakarta, saß damals in der Jury eines internationalen Klavierwettbewerbs. Damals habe ich versucht, sozusagen nebenbei, möglichst vieles von der indonesischen Musikkultur aufzusaugen, wozu auf Java zunächst einmal „Gamelan“ in den verschiedensten, auch tänzerischen Ausprägungen gehört. Außerdem kommen gelegentlich junge indonesische Pianis tinnen und Pianisten zu meinen Meisterkursen nach Dortmund, wodurch ich Einblick in die Denkweisen und musikalischen Stärken wie Schwächen solcher Studierender erhalte.
Boroda: Ist die indonesische Musik, die Sie gespielt haben, auch technischpianistisch anders?
Klaas: Jaya Supranas Stücke sind zum Teil relativ konventionell im Sinne der romantischen Tradition des „lyrischen Klavierstücks“ konzipiert, zum Teil aber auch von einer geradezu besessenen, polyrhythmisch durchsetzten Motorik, die eine gewisse Ähnlichkeit zu amerikanisch-minimalistischen Ansätzen besitzt, dabei aber unberechenbarer, spontaner daherkommt.
Boroda: Wo würden Sie die Ihnen bekannte Musik indonesischer Komponisten positionieren – „Unikum, keine Analogie zu mir bekannter Musik“ – „Musik asiatischer Komponisten“ (wenn so ein Begriff überhaupt verwendet werden darf) – „Stilistisch eigenständige Musik, die sich gegen ‚europäische’ Musikeinflüsse nicht sperrt“?
Klaas: Soweit ich einen Überblick habe, glaube ich, die indonesische „klassische“ Musik (schwierige Begrifflichkeit) ist zurzeit noch in einem Stadium der Suche und der Entwicklung zur Eigenständigkeit. Die enorme Breite der entsprechenden Musikausübung und -ausbildung, wie wir sie von Japan, Südkorea und China her kennen, gibt es in Indonesien noch nicht. Viele Bemühungen sind aber im Gange. Integrative Komponistenpersönlichkeiten wie Toru Takemitsu, Isang Yun oder Gao Ping werden hoffentlich in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten auch in Indonesien heranwachsen – Komponisten, die nationale Idiome und „westliche“ Kompositionsstandards in den verschiedensten Besetzungen, auch Sinfonik und Oper, in ihrem Personalstil verschmelzen.
Boroda: Ein Konzert indonesischer Musik in Deutschland würde, dessen bin ich sicher, mit Interesse, wenn nicht gar mit Begeisterung aufgenommen. Was wäre, wenn Sie es sich „gegönnt“ – oder sich „erdreistet“ – hätten, in Indonesien einen Klavierabend vollständig aus den Werken beispielsweise Beethovens zu geben? Was wäre die Publikumsreaktion – Interesse? Begeisterung fürs Neue? Protest gegen das Unbekannte? Langeweile?
Klaas: Ich denke, gerade Beethoven mit seiner immensen Innenspannung kann man fast überall auf der Welt, wo überhaupt die Bereitschaft besteht, einem Konzert zu lauschen, ohne größere Rezeptionsprobleme spielen. Grundsätzlich ist man als Interpret aber gut beraten, auf unbekanntem Terrain mit einem stilistisch abwechslungsreichen Repertoire aufzuwarten: Klassik, Romantik und Moderne in sinnvoller Dosierung.
Boroda: Welche Reaktion haben Sie in Jakarta auf Ihre Interpretation der Musik des Zeitgenossen Jesús Torres erhalten?
Klaas: Das wurde mit großem Respekt und, beim motorischen Jakarta- Stück, sogar mit Begeisterung aufgenommen. Insgesamt aber kamen die romantischer ausgerichteten Stücke Godowskys noch besser an – eigentlich nicht viel anders, als man es in den meisten Konzerten hierzulande auch erwarten kann.