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Wie wichtig ist eigentlich Musik?

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Versuche einer realistischen Einordnung – Teil 1
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Die berufliche Lage für Musikschullehrkräfte stellt sich aktuell als schwierig dar, es gibt immer weniger Festanstellungen, viele altersbedingt frei werdende Stellen werden nicht wieder neu besetzt, sondern in mehrere Honorarstellen umgewandelt, weil das für die Schule beziehungsweise den Träger deutlich kostengünstiger ist. Mittlerweile sind solche Sätze Allgemeinplätze, man hört sie landauf, landab. In dieser Debatte gibt es jedoch auch verzerrte Wahrnehmungen, die geklärt werden sollten.

Wieder geht ein festangestellter Kollege in den wohlverdienten Ruhestand. Und was passiert? Natürlich, die Stelle wird nicht neu ausgeschrieben, sondern durch billigere Honorarkräfte ersetzt. Die Stundensätze sind niedriger, vor allem spart sich der Schulträger aber die gesamten Lohnnebenkosten. Die muss der Honorarlehrer selber vom eh schon kargen Lohn aufbringen. Karg bedeutet hier ein Stundenhonorar, das um die 20 Euro je erteilter Dreiviertelstunde liegt. Ferienzeiten sind meistens nicht durchbezahlt. Angesichts der vor allem in den Städten immer weiter steigenden Mieten und Energiekosten reichen solche Löhne oft gerade aus, um ein Singledasein auf mäßigem Niveau zu fristen. Da verdient man ja zuweilen als Lagerarbeiter – sorry, „Logistikfachkraft“ – fast mehr. Der ehedem bestehende Zusammenhang zwischen dem Qualifikationsniveau der Ausbildung und dem späteren Einkommen scheint sich langsam aufzulösen. Zwar lohnt sich eine akademische Ausbildung immer noch, aber zumindest im Musikbereich sehen sich immer mehr fertig ausgebildete Musiker und Musikpädagogen immer schlechteren Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten ausgesetzt. Für Instrumentalpädagogen gilt dabei, dass vor allem ihre gesellschaftliche Notwendigkeit noch weit hinter der von zum Beispiel Altenpflegern liegt. Die werden zwar meistens auch eher schlecht bezahlt. Angesichts der demographischen Entwicklung sowie der beginnenden Akademisierung dieses Sektors, ist dort jedoch langfristig mit leicht steigenden Gehältern zu rechnen.
Gesellschaftliche Relevanz? Altenpfleger haben sie. IT-Fachkräfte und Produktionsingenieure auch. Aber Musikpädagogen? Auch von der Kundenseite her sieht es nicht besonders gut aus. Da hat ja allein der Deutsche Fußballbund mehr Mitglieder, als an VdM-Schulen, privaten Musikschulen und bei Privatmusikerziehern jugendliche und erwachsene Schüler vorhanden sind. Gesellschaftlich bilden diese keine nennenswert kritische Masse. Und für das Funktionieren der Gesellschaft sind wir Musikpädagogen und Musiker bei weitem nicht so notwendig wie zum Beispiel die Lokführer, die die Funktionsfähigkeit der Bahn sicherstellen. Oder: Man erinnere sich noch an die streikenden Müllfahrer in den 1970er- Jahren. An solchen Punkten kann man Relevanz erkennen. Auch Macht. Musikpädagogen haben da für die Mehrheit allenfalls eine Randbedeutung, sind eher Ornament denn Kern.

Das gilt auch für die inhaltlichen Aspekte. Kinder und Jugendliche zu einer gewissen Lernanstrengung zu disziplinieren, sich mit zunächst ungewohnten Dingen – Bach, Beethoven – auseinanderzusetzen, fällt immer schwerer. Kein Wunder, dass peu à peu Musikpädagogen zu einer Art Edutainment überschwenken, um zumindest in Spurenelementen eine habituelle Anschlussfähigkeit an Lebenswirklichkeiten von Schülern und Eltern zu erhalten. Die Sache gerät dabei zunehmend aus dem Blickfeld. Diese Entwicklung gilt letztlich auch für allgemeinbildende Schulen.

Natürlich wäre es schön und wünschenswert, wenn möglichst viele sich mit Instrumenten beschäftigen würden, sich inniglich der Musik widmen und die unglaubliche Vielfalt der historischen Entwicklung von Musik zur Kenntnis nähmen. Was für Chancen im Bereich der emotionalen Formung und Persönlichkeitsbildung liegen in der Musik! Mit geradezu messianischem Eifer – und so manche Fortbildung gleicht wahrlich eher einem Gebetskreis auf einem evangelischen Kirchentag – wollen viele unseres Berufsstandes, erst recht, wenn sie frisch aus dem Studium kommen, die wunderbare Welt der Musik weiterverbreiten. JeKI und ähnliche Programme dienen ebenfalls diesem Ziel (eben: JEDES Kind et cetera, der Anspruch gesellschaftlicher Totalität steckt bereits im Titel), zumindest in der öffentlichen Darstellung und der Selbstsicht von Programmmanagern und Referenten in den Ministerien: Tolle Sache, das! Ein moralisch-erzieherischer Aspekt unterfüttert diese Haltung dann noch mit gefühlter Gewissheit. Was der Volksmund so schön umschreibt mit „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder“, breitet Friedrich Schiller in seinen „Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen“ ungleich komplexer aus. Im Kern geht es um die Vorstellung, dass man den charakterlichen Nukleus eines Menschen stärken und vor allem bessern kann, wenn man ihn systematisch mit den Künsten und ihren Ausprägungen vertraut macht. Ohne auf die – jedoch sehr interessante – dahinterstehende philosophische Problematik unterschiedlicher Menschenbilder einzugehen, nämlich dem positivistischen eines Rousseau und dem negativistischen eines Hobbes, möchte ich an dieser Stelle nur Ernst Jandl zitieren: „werch ein illtum!“ Denn die Schiller’schen Thesen sind auf die gesellschaftliche Realität der Jetztzeit nicht mehr anzuwenden. Die sittliche Formung des Menschen mit groß angelegter Kulturerziehung zu grundieren, daran ist schon der Sozialismus gescheitert.
Um es kurz zu sagen: Wir waren Nische, wir sind Nische, wir werden immer Nische bleiben. Und zwar unabhängig davon, ob sie – siehe Haselbach/Klein/Knüsel/Opitz: „Der Kulturinfarkt“, München 2012, S. 28 – „vergoldet“ ist oder nicht. Mit gesellschaftlicher Relevanz können wir uns jenseits rauschender Festivals und glamouröser Premieren schlichtweg nicht schmücken. Da unser Gemeinwesen demokratisch organisiert ist, also dem Mehrheitsprinzip unterliegt, können wir für uns eigentlich nur Minderheitenschutz in Anspruch nehmen. Wenn wir nicht die Mehrheit sind, wo ist sie dann zu finden?

Der Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Zimmer hat im Februar 2013 beim Kulturpolitischen Kolloquium in der evangelischen Akademie Loccum in einem Vortrag genau diese Mehrheit wie folgt verortet: „Der normative Horizont ist beliebig geworden. Wo keine Götter sind, walten Gespenster, wusste Novalis: Unsere Gespenster sind der Konsum, der Materialismus, der sich selbst genügt, der asoziale Individualismus, der nur noch die eigenen Bedürfnisse befriedigen will. Dazu passen ja auch die Unterhaltungsprogramme, wie sie von RTL, Sat 1 und diesen anderen Medien der obszönen Degradierung des Humanum dargeboten werden. Das ganze Leben ist ein Wettbewerb, der Markt bestimmt, ob Du schön und erfolgreich bist. Frauen sind für den Bachelor (und damit ist eben nicht der akademische Grad gemeint) einfach verfügbar, und wenn das zu langweilig wird, kann in einem Frauentausch einmal etwas Neues ausprobiert werden. Für alle, die da nicht mithalten können, kommen die therapeutischen Leitplanken gleich mit in Form von Lebens- und Schuldnerberatung, den strengsten Eltern der Welt, oder, wenn es wirklich einmal schief geht, in der spielerischen Darstellung dessen was passiert, wenn man seinesgleichen vor Gericht wieder trifft. Und wem das noch nicht reicht: Auf den Shopping-Kanälen kann man tagsüber ungeniert der Kauflust frönen und des nachts sich davon überzeugen, wie allgegenwärtig käuflicher Sex ist. Das ist bundesdeutsche Kulturwirklichkeit 2013 und erreicht vermutlich mehr Menschen als die subventionierte Hochkultur in unseren Theatern und Opernhäusern. Das ist die eigentliche spätrömische Dekadenz. Hat Kultur da irgendwie das Potential, gegenzusteuern?“ (zit. nach https://www.epenportal.de/web/datapool/storage/files100545/Standpunkte/…).

Oder verkürzt dargestellt: Max Bruch ist nicht Mehrheit, Mehrheit ist Mario Barth. Angesichts dieser übermächtigen Realität stünden selbst Rousseau und Schiller bestenfalls noch auf einem verlorenen Posten. Wobei man den ungehemmten Subjektivismus, der alle Orientierung an Inhalten, die nicht dem eigenen Subjekt entspringen, zunehmend verdrängt, durchaus als Spätfolge der romantischen Ichfindung eben von Rousseau und Schiller bezeichnen kann. Dort wurde so gesehen die Sprengladung gelegt, mit deren Hilfe uns heute Bildung und Kultur um die Ohren fliegen.

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