Die im Musikverlag Burkhard Muth jüngst erschienene Studie als Band 6 der Musikpädagogischen Impulse (herausgegeben von Peter Ackermann und Ulrich Mazurowicz) präsentiert die Dissertation der Heilpädagogin Katrin Brandl mit dem aussagekräftigen Titel: „Hans-guck-in-die-Luft und Zappelphilipp in Musikschule und allgemein bildender Schule“. Geschildert werden heilpädagogische und soziale Aspekte des Hyperaktivitäts-Syndroms und seine Beeinflussung durch Musikerziehung auf der Basis der medizinischen Grundlagen.
Die Brand’sche Studie ist, trotz des wissenschaftlichen Anspruchs, sehr verständlich und einleuchtend geschrieben, viele Tatbestände werden durch Grafiken verdeutlicht und erfrischend wirken die persönlichen Erfahrungsbeschreibungen der Autorin, deren Tochter Marie unter „Wahrnehmungsstörungen“ litt. Die dadurch erzwungene persönliche Auseinandersetzung mit der Materie führte Katrin Brandl zum Studium der Heilpädagogik.
Der erste Teil des 206 Seiten umfassenden Buches befasst sich zunächst mit dem Phänomen der Aufmerksamkeitsstörung mit und ohne Hyperaktivität. Über einen Einblick in Gehirnfunktionen und dort repräsentierte Wahrnehmnungsbereiche gelangt die Autorin zur Diagnostik, Entstehung und Aufrechterhaltung der AD(H)D, die sie aus Sicht der Psychologie, der Moto- und Ergotherapie sowie der Neurologie betrachtet. Auf der Basis eines erweiterten Störungsbilds beschreibt Katrin Brandl die Problematik der Diagnostik, die durch Zeitpunkt des Auftretens und verschiedene andere Kriterien stark differieren kann.
Der zweite Teil der Publikation ist der Musik gewidmet mit ihren Wirkungen und Transferleistungen auf den Menschen. Dabei wird in erster Linie die Frage erörtert, ob und wie der Umgang mit Musik dem AD(H)D-Kind förderlich sein kann. Eine umfangreiche Aufzählung von Modifikationen für die Didaktik und Methodik an Musikschulen und ergänzend an allgemein bildenden Schulen ermöglicht dem Pädagogen eine sofortige Umsetzung in die Praxis.
Zusätzlich wird ein im Rahmen eines Kindergartenprojektes für wahrnehmungsauffällige Kinder erarbeiteter Unterrichtsentwurf vorgestellt, der den Ansatz für die musikalische Arbeit mit AD(H)D-Kindern liefern kann.
Die im Anhang aufgeführten Diagnosekriterien bieten dem Leser die ergänzende Möglichkeit, eine erste vorsichtige Einschätzung eines betroffenen Kindes vorzunehmen.
Besonders hervorzuheben scheint mir die wichtige Verknüpfung von medizinischem Basiswissen, Musikpädagogik und Heilpädagogik. Die Gegenüberstellung von eigentlich bekannten Zitaten wie: „Wahrnehmung ist die Aufnahme gegebener Informationen in das Gehirn und Verarbeitung zu einer sinnlichen Erkenntnis, die im Zusammenhang mit einer gestellten Lebensaufgabe zweckmäßig genutzt werden kann…“ ( Straßburg) zu Aussagen wie: „Bei keinem anderen Fach muss ein Kind vier bis fünf Entscheidungen treffen und diese kontinuierlich über solche Zeitstrecken hinüber abarbeiten. Diese Kombination von konstanter, kontinuierlicher Achtsamkeit und Vorausplanung bei ständig sich verändernder physischer Beanspruchung konstituiert eine erzieherische Erfahrung von einzigartigem Wert.“ (Bastian). Oder: „Die intrinsische Motivation und der Selbstzweck von Musik schließlich bilden das auffälligste und anschaulichste Merkmal musikalischen Handelns.“ (Oerter). Die vorliegende Publikation von Katrin Brandl richtet sich an Musiklehrer an allgemein bildenden Schulen und an Musikschullehrer aber auch an Ärzte, Heil- und Sonderpädagogen, Ergo- und Mototherapeuten, Psychologen und Erzieher.
Ein überaus empfehlenswertes Buch mit gebündeltem Informationsschatz und vielen Aha-Erlebnissen für den Musiklehrer.
Katrin Brandl: Hans-guck-in-die-Luft und Zappelphilipp in Musikschule und allgemein bildender Schule. Medizinische Grundlagen, heilpädagogische und soziale Aspekte des Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Syndroms und seine Beeinflussbarkeit durch Musikerziehung, 206 S., 6 Grafiken, 2 Abb., Musikverlag Burkhard Muth, ISBN 3-929379-11-2 E-Mail: burkhard.muth.musikpaedagoge [at] t-online.de (burkhard[dot]muth[dot]musikpaedagoge[at]t-online[dot]de)