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Zigeuner, spielt was Lustiges

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Das Berlin-Brandenburger Tonkünstlerensemble führt die „Czárdásfürstin“ auf
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Sommerzeit ist Festivalzeit, überall werden große und kleine Bühnen aufgebaut, und das erlebnishungrige Publikum strömt in die mehr oder weniger abgelegenen Spielstätten weit abseits der großen hehren Musentempel inmitten der großen Städte.

Dieses Jahr strömte vor allem der Regen, das Tief „Anton“ machte Künstlern und Technikern zu schaffen. Zum Glück ließ das Publikum sich das Vergnügen nicht verdrießen und harrte in jahreszeitgerechter Outdoor-Kleidung, also in handfesten Regenklamotten, tapfer aus.

In der 100 Jahre alten „Czárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán geht es fast ausschließlich um das Thema, ob Mann und Frau sich gebührend standesgemäß paaren oder durch Gefühle eher kompromittieren; ob Liebe oder Vernunft wichtiger sind und was überhaupt die „Gesellschaft“ darüber denkt.  Derlei veralteten Fragestellungen werden aber durch die zeitlos schwungvolle Musik von Kálmán weggefiedelt: Die „Czárdásfürstin“ hatte vor wenigen Tagen beim sechsten Rüdersdorfer Operettensommer auf der Bühne am Bergschreiberhaus Premiere.

Der Regisseur Stephan Wapenhans erarbeitete eine schlüssige und zeitgemäße Inszenierung, die das Ensemble in einer text- und ablaufgenauen, charmanten und kurzweiligen Form umsetzte. Plastisch herausgearbeitet sind die verschiedenen Interessenskonstellationen mit all ihren Wendungen, Brüchen und operettenhaften Zufällen.

Glanzstücke des Abends sind die Duette in wechselseitigen Konstellationen, die die drei Paare zu bewältigen haben. Ilonka Vöckel als Silva Varescu und Christian Miebach als ewig zwischen Liebe und Pflicht schwankender Thronfolger Edwin erlauben sich Momente der Melancholie und Ratlosigkeit, schwelgen aber auch im stimmlichen Glanz der unvergessenen Melodien. Alexandra Broneske als Kontesse Anastasia und Thomas Hartkopf als Edwins Freund Boni sorgen für Schwung und Esprit und Schlagerstar Regina Thoss als Edwins Mutter Anhilte und der immer spielfreudige Erwin Bruhn als „alter Edwin“, also als Vater von Edwin, geben dem Affen Zucker und unterhalten das Publikum aufs Beste.

Überhaupt gelang es dem Darsteller-Ensemble durchgehend, den Schmiss der Polkas, die operettenhaften Übertreibungen der Finali und die teils heiteren, teils sentimentalen Walzer zu erspüren und umzusetzen. Und immer, wenn es regnete oder die Mikroports ausfielen oder sonst eine Störung zu bewältigen war, kam Stephan Wapenhans auf die Bühne und hielt das Publikum als Showmaster bei Laune.       

Die musikalische Leitung von det Janze hatte Stefanie Bremerich-Jouvenal, die nicht nur Textbuch, Musiker und Bühne fest im Blick hatte, sondern auch präzise Einsätze gab und den schweren Klavierpart souverän bewältigte. Sie hatte auch praktisch im Alleingang fast alle Proben korrepetiert, die Termine der Sänger und Musiker gemanagt und dem Technik-Team immer wieder eingebläut, wo ein Brett fehlt, wo das Licht nicht reicht und wo noch am Regenschutz gearbeitet werden muss. Klar herausgesagt: Ohne solche Menschen, die bereit sind, sich über alle Grenzen hinweg in den Sommerferien selbstausbeuterisch zur Verfügung zu stellen, käme Theater wie dieses nicht zustande. Danke, Stefanie!    

An dieser Stelle muss aber auch auf die besonderen musikalischen Qualitäten des Berlin-Brandenburger Tonkünstlerensembles hingewiesen werden: Der diensthabende „Zigeuner“ Matthias Hummel (Violine), Bettina Matt (Flöte, Piccolo), Holger Holdgrün (Klarinette, Saxophon), Helen Barsby (Trompete), Peter Blazeowsky (Kontrabass) und Walter Thomas Heyn (Gitarre, Mandoline) schafften es, die schmissig-militante Dimension der Musik, die rasend figurierten „große“ Finali mit ihrem utopischen Grad an musikalischer Unwirklichkeit ebenso herauszuspielen wie die Ohrwürmer dieses Stückes, die jeder kennt. Die Liebesduette in dieser Inszenierung funktionieren, weil sie klingen, als handle es sich um die Überreichung der silbernen Rose. Und auch die fast schon filmmusikähnlichen, schwunghaften Elemente der Partitur ergeben nur einen Sinn, wenn der Preußenmarsch hindurchklingt. Dies ist hier der Fall, und deshalb geht ein großes Kompliment auch an den Arrangeur, also an mich. Theater hat ja blöderweise immer und überall dieses berückende Flair, dem sich Künstler gern aussetzen, weil sie in diesen Momenten aufleben, Anerkennung spüren und Energie tanken.

Denn ein gutes Geschäft ist diese Arbeit nicht. Wenn man in Erwägung zieht, dass zum Beispiel der Bearbeiter seit Februar an der Partitur sitzt und dann mit einer Gage heimgeht, für die eine Kindergärtnerin nicht drei Wochen arbeiten würde, dann kommt ein kleiner Wermutstropfen in die ganze Sache hinein. Aber diese Arbeit macht eben immer wieder Spaß. Und so werden sich bis zum letzten Erdentag immer wieder Künstler zusammenfinden, die für sehr wenig Gage sehr viel zu geben bereit sind. Zigeuner, spielt was Lustiges…

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