Schwalben segeln über den Köpfen der Zuhörer, die Hügel des Gut Aichets bei Thyrnau sind in warmes Abendlicht getaucht und zwischen nostalgischen Picknickkoffern und Heuballen speisen die Jazz-Fans. Denn auf der Bühne beim Picknickkonzert der Festspiele Europäische Wochen Passau am 11. Juli auf Gut Aichet, Thyrnau, steht das Bundesjazzorchester (BuJazzO) mit dem reizvollen Programm „Women in Jazz“ in Zusammenarbeit mit den Musikerinnen und Komponistinnen Meike Goosmann und Julia Hülsmann. Weiblicher Jazz – laut Goosmann und Hülsmann gibt es den nicht. Stattdessen meinen sie: „Ob Männer oder Frauen Jazz spielen, macht keinen Unterschied. Der Unterschied liegt im Charakter: Jeder Charakter ist anders.“ Hört man in den Sommerabend hinein, so klingt der Charakter von Goosmanns und Hülsmanns Stücken sehr farbenreich, persönlich und sensibel. Und blickt man zur Bühne, dann spiegeln die Gesichter der Musiker diesen Eindruck wieder.
Es ist ein großes, spannendes Projekt, das vom deutschen Musik-rat – neben vielen weiteren Projekten zur Förderung professioneller Musiker, Amateurmusiker und der Jugend – mit dem Bundesjazzorchester vor über zwanzig Jahren begonnen wurde. „Young German Jazz“ soll damit unterstützt werden und dazu tragen auch die Konzerttourneen durch die Welt und eben auch Deutschland bei. Bei den Europäischen Wochen Passau ist der Musikrat schon seit vielen Jahren mit seinen Projekten präsent, auch wenn es in den Anfangszeiten nicht immer einfach war, nationale Projekte in Passau zu platzieren, wie Wilhelm Mixa, Schatzmeister des Deutschen Tonkünstlerverbands und Mitglied im Präsidium des deutschen Musikrates, feststellt: „Internationale Musiker sind früher oft interessanter erschienen als nationale. Aber mittlerweile hat es sich auch in Passau herumgesprochen, dass es tolle nationale Projekte gibt.“
Das BuJazzO ist in der Tat ein solches Projekt. Zwei Mal im Jahr finden sich darin Jazzmusiker aus ganz Deutschland zusammen und studieren in intensiven Arbeitsphasen ein neues Programm ein. Die Musiker setzen sich dabei hauptsächlich aus Jazzstudenten zusammen, sie spielen ohne Gage und sind meistens für zwei bis drei Jahre beim Bundesjazzorchester mit an Bord – bei den Konzerten selbst spielen dann unterschiedliche Konstellationen.
Über viele Jahre hinweg wurde das Orchester geprägt durch den mittlerweile verstorbenen Bandleader Peter Herbolzheimer. Nun ist das Orchester in eine neue Phase eingetreten und bricht auf zu frischen Ufern. Etwas, was diese Entwicklung und Öffnung unterstützt, ist eine neue Philosophie zur Leitung des Orchesters. So gibt es nicht mehr einen festen Dirigenten, sondern prägen vielmehr verschiedene, wechselnde Dirigenten die Probenarbeit und gestalten jeweils einzelne Workshops. Einer von ihnen ist Steffen Schorn, der an diesem Sonntagabend am Dirigentenpult steht, der impulsiv und spannungsgeladen dirigiert und selbst früher Mitglied im Bundesjazzorchester war. Und wenn Schorn von der Arbeit mit den jungen Musikern spricht, von ihrer Begeisterungsfähigkeit, ihrem Talent und dem einmalig jungen Klangkörper des Orchester, dann beginnen seine Augen zu leuchten. „Es geht darum, die Musiker zu entfesseln und ihre Energie zu bündeln“, so Schorn. Am Wichtigsten aber sei ihm, „dass die Musiker stilistisch nicht mit Scheuklappen spielen“.
Denn wenn es nach Steffen Schorn geht, gibt es keine Schranken zwischen den Stilen und keine klaren musikalischen Trennlinien. Vielmehr seien die Grenzen fließend, und wenn man den Klängen des Bundesjazzorchesters auf der Bühne im Gut Aichet lauscht, dann versteht man, wovon Schorn spricht. Fein und ausgestaltet ist das Klangbild, mal meint man Anklänge an klassische Kammermusik, mal an Swing, mal an orientalische Musik herauszuhören.
Dem Orchester blieb vor dem Konzert nur wenig Probenzeit, um das Programm „Women in Jazz“ wieder aufzufrischen und sich an die außergewöhnliche Spielsituation im Freien zu gewöhnen. Doch von Anpassungsschwierigkeiten merkt man nichts, vielmehr zeugen der ausdifferenzierte Klang des Orchesters und das herausragende Zusammenspiel von der Professionalität, der Reife und nicht zuletzt der immensen Spielfreude der Musiker.
Diese steht den jungen Jazzern auch noch ins Gesicht geschrieben, als sie nach der letzten Zugabe glücklich und erschöpft die Bühne verlassen. Das nächste Projekt wartet schon: „BuJazzO goes India“ heißt es für das Frühjahr 2011.