„Ein Komponist, der in keine Schublade passt“ – so titelte eine überregionale Zeitung im Jahr 1996 einen Artikel über den zeitgenössischen Komponisten Herbert Callhoff. Der anerkennende bis leicht resignierende Tonfall, der in dieser Überschrift mitzuschwingen scheint, steht bis heute für eine Rezeption, die sich im Umgang mit dem Werk des 1933 im rheinischen Viersen geborenen Komponisten schwertut. Um die Entwicklung seines kompositorischen Wirkens nachzuvollziehen, kehre man nicht nur zu den vielbeschworenen „Wurzeln“ zurück, sondern vielmehr zum Grund und Boden, auf dem das Lebenswerk von Herbert Callhoff steht.
Als ausgebildeter Kirchenmusiker, vertraut mit vielen Facetten und Formen, nicht nur der Kirchenmusik, studierte er in jüngeren Jahren bei Siegfried Reda und Jürg Baur Komposition. Die durch diese ästhetisch unterschiedlich ausgerichteten Ansätze erworbenen Fertigkeiten schlugen sich bei Callhoff in handwerklich solide gearbeiteten Frühwerken, wie etwa der „Missa brevis“ (1961–62) nieder, die Traditionsbezüge zur frankoflämischen Polyphonie mit zeitgenössischen Klangmöglichkeiten verband. Recht schnell wurde aber auch deutlich, dass Callhoff sich nicht als Vertreter einer bestimmten Kompositionsschule oder stilistischen Ausrichtung verstand. Seine 1972 entstandenen „Abbreviaturen für Trompete und Orgel“ arbeiten ein bis in die Mikrotonalität ausdifferenziertes Klangmaterial auf, ohne sich dabei im Experimentellen zu verlieren.
Die Suche nach einer klaren Form stand für den Komponisten von Anfang an im Mittelpunkt. In der Klangsprache blieb er in seinem Bekenntnis zu einer Atonalität konsequent. Ästhetische Richtungen wie die einer „Neuen Einfachheit“ oder einer wie immer auch gearteten Sehnsucht nach tonaler Retrospektive stand er vielleicht tolerant gegenüber. In Bezug auf sein eigenes Wirken verblieb er diesen Tendenzen dann aber doch in kritischer Distanz. Diese Ausrichtung zwischen Klarheit, Bodenständigkeit und einer Offenheit für Neues prägte auch sein Wirken als Orgel- und Tonsatzlehrer. Er nahm nicht für sich in Anspruch eine bestimmte Interpretationsschule zu vertreten. Genauso wenig drang er seinen Studenten einen von ihm präferierten Tonsatz- oder Kompositionsstil auf. Er vermittelte Neugier auf verschiedene Strömungen im Orgelspiel und Offenheit gegenüber verschiedensten Tendenzen zeitgenössischer Musik. Seine eigene Offenheit für Literarisches und Philosophisches kam nicht nur oftmals in Unterrichtsgesprächen zum Tragen, sondern hinterließ auch Spuren in seinem Werk.
Sein groß angelegtes Oratorium „La Danse macabre“ von 1992 verarbeitete nicht nur unterschiedlichste musikalische Materialien, sondern auch Tagebuchtexte von Max Frisch, Bildnerisches aus dem Genre des Totentanzes und philosophische Reflexionen. Doch sein komplexer Stil bei gleichzeitiger handwerklichen Solidität, die sich nicht nur in diesem Großwerk abzeichnete, war und ist bis heute nicht unumstritten. Bei der Aufführungen von „Cantos des amor y desesperation“ (1986) bei den „Wittener Tagen für neue Kammermusik“ kam es zu einem denkwürdigen Eklat. Dem seiner auf einer sich ständig steigernden Avanciertheit bestehenden Publikum schien dieser Stil zu „konservativ“ – allerdings gab es unter den Zuhörern durchaus viele Vertreter, die den allgemeinen „Buh“-Rufen dann doch einen entschiedenen Applaus entgegensetzten. Dabei darf seine Musik durchaus als „avanciert“ bezeichnet werden. Sie verlangt von den Interpreten eine subtile Austarierung zeitgenössischer Spielmöglichkeiten und zugleich ein hohes Maß an Sensibilität bei der Umsetzung von Mikrostrukturen unter größeren musikalischen Klangbögen, wie etwa im „Streichquartett Nr. 5“ (1994). Einen weiteren wichtigen Eckpfeiler im Schaffen von Herbert Callhoff stellt bis heute die Auseinandersetzung mit der Musik anderer Komponisten dar. Seine „Bruckner-Metamorphosen“ interpretieren nicht die Romantik aus zeitgenössischer Perspektive, sondern gehen Spuren der spätromantischen Musik nach und verwandeln diese in eine eigene, abstrahierende Klangsprache von irisierender Wirkung. Auch das jüngste Werk dieses Genres, Callhoffs Hommage an John Cage, eifert in keiner Weise dem Widmungsträger nach.
Auch hier ist es der eigene kompromisslos atonale, moderne und gleichzeitig geerdete Zugriff, bei gleichzeitiger Sorgfalt in der Ausarbeitung einer ausdifferenzierten Partitur, der das reichhaltige Schaffen von Herbert Callhoff prägt, das von der Kirchenmusik, über die Kammermusik bis ins Symphonische einen großen Bogen umspannt. Nicht von den Rändern her, sondern aus der Mitte versteht sich dieses unbedingt zeitgenössich musikalische Lebenswerk, dass sich anlässlich des 80. Geburtstags des Komponisten durchaus noch einmal neu zu beschauen lohnt.